Drohende Zwangsräumung

Ergebnis dieser Urgent Action

Die geplante Zwangsräumung Tausender Bewohner_innen der informellen Siedlung Deep Sea in Nairobi ist vorläufig gestoppt worden. Die Europäische Union hat einem Dialog mit der kenianischen Straßenbaubehörde zugestimmt, um sicherzustellen, dass die Räumung der Bewohner_innen aufgrund eines Straßenbauprojekts in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen durchgeführt wird.

Tausende Bewohner_innen der informellen Siedlung Deep Sea in Nairobi sind unmittelbar von Zwangsräumung bedroht. Sie haben von der Straßenbaubehörde KURA die Anordnung erhalten, bis zum 8. Juli ihre Häuser zu räumen.

Appell an

GESCHÄFTSFÜHRENDER GENERALDIREKTOR VON KURA
Eng. Peter Mundinia
Kenya Urban Roads Authority
IKM Place, 5th Ngong Avenue
P.O Box 41727 – 00100, Nairobi, KENIA
(Anrede: Dear Eng. Peter Mundinia / Sehr geehrter Herr Generaldirektor)
E-Mail: info@kura.go.ke oder pmundinia@kura.go.ke

AMTIERENDE LEITERIN DER DELEGATION DER EUROPÄISCHEN UNION IN KENIA
Marjaana Sall
European Union
P O Box 45119-00100, Nairobi, KENIA
(Anrede: Dear Marjaana Sall / Sehr geehrte Frau Sall)
E-Mail: Delegation-Kenya@eeas.europa.eu oder
Delegation-Kenya-INFO@eeas.europa.eu

Sende eine Kopie an

KABINETTSSEKRETÄR
Hon. Eng. Michael S.M. Kamau
Ministry of Transport and Infrastructure
P.O. Box 52692-00200
Nairobi
KENIA
Fax: (00 254) 20 2730330

BOTSCHAFT DER REPUBLIK KENIA
S. E. Herrn Joseph Kipng'etich Magutt
Markgrafenstraße 63
10969 Berlin
Fax: 030-25 92 66 50
E-Mail: office@kenyaembassyberlin.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 19. August 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

An die Straßenbaubehörde KURA:

  • Bitte setzen Sie alle Bauarbeiten für Missing Link aus, bis die internationalen Menschenrechtsstandards und entsprechenden Schutzmaßnahmen gegen rechtswidrige Zwangsräumungen eingehalten werden.

An die EU:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Bauarbeiten für Missing Link solange ausgesetzt werden, bis die internationalen Menschenrechtsstandards und entsprechenden Schutzmaßnahmen gegen rechtswidrige Zwangsräumungen eingehalten werden. Stellen Sie auch sicher, dass die von der EU zur Verfügung gestellten Finanzmittel nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen.

  • Nehmen Sie bitte dringend eine Sorgfaltsprüfung vor, um zu prüfen, welche Folgen das Straßenbauprojekt für die Menschenrechte hat.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging KURA to halt construction of the 'Missing Link’ road project until international human rights safeguards against forced evictions have been adhered to.

  • Calling on the EU to halt further progress on the 'Missing Link’ road project until international human rights safeguards have been put in place and to ensure that its funding does not lead to human rights violations.

  • Asking the EU to urgently carry out due diligence to assess the human rights impact of the 'Missing Link’ road project.

Sachlage

Etwa 3.000 Bewohner_innen der informellen Siedlung Deep Sea in Nairobi droht unmittelbar die rechtswidrige Zwangsräumung. Grund ist ein Straßenbauprojekt der kenianischen Straßenbaubehörde (Kenya Urban Roads Authority – KURA) namens Missing Link, welches von der Europäischen Union und der kenianischen Regierung finanziert wird. Die Anwohner_innen wenden sich weder gegen den Bau der Straße, noch weigern sie sich umzuziehen. Sie fordern lediglich von KURA, ihr Recht auf angemessenes Wohnen zu respektieren und dafür zu sorgen, dass die Räumung internationalen Menschenrechtsstandards entspricht. KURA hat die Bewohner_innen nicht in angemessener Form hinsichtlich alternativer Unterbringung konsultiert. Stattdessen hat die Straßenbaubehörde den Betroffenen eine nicht angemessene "Entschädigung" in Aussicht gestellt.

Bei einer Räumung würden die Bewohner_innen, die auf dem für den Straßenbau ausgewiesenen Gelände ein Geschäft betreiben, und solche, die in den angrenzenden Gemeinden arbeiten, möglicherweise ihrer Lebensgrundlage beraubt. Auch die Schulbildung von 300 Kindern, die in der Siedlung leben, würde beeinträchtigt werden. Zudem sollen fünf der acht Sanitäreinrichtungen der Gemeinschaft in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die Bewohner_innen von Deep Sea haben den Versuch unternommen, eine einstweilige Verfügung gegen die Zwangsräumung zu erwirken, dies wurde jedoch von der zuständigen Abteilung des Hohen Gerichts abgewiesen. Am 7. Juli trafen sich Vertreter_innen von Amnesty International mit Angehörigen der Straßenbaubehörde KURA, um den Bedenken um fehlende Verfahrensgarantieren erneut Ausdruck zu verleihen. KURA sicherte daraufhin zu, sich mit Vertreter_innen der Siedlung zu treffen. Dieses Treffen fand am 8. Juli statt. KURA soll von den Bewohner_innen als Voraussetzung für jedwede Verhandlungen verlangt haben, ihren Antrag vor Gericht zurückzuziehen. Die Straßenbaubehörde erklärte zudem, dass die Frist zur Räumung der Häuser am 8. Juli auslaufe und die Behörde nach wie vor beabsichtige, die Räumung vorzunehmen.

Amnesty International würde die Zwangsräumung als rechtswidrig betrachten, wenn die Bedenken der Organisation und der Bewohner_innen von Deep Sea um fehlende Verfahrensgarantieren nicht ausgeräumt werden. Rechtswidrige Zwangsräumungen verletzen die Menschenrechte der Betroffen, so z. B. die Rechte auf Wohnen, Wasser, Sanitärversorgung, Bildung und Gesundheit.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Deep Sea ist eine informelle Siedlung in Nairobi mit fast 12.000 Einwohner_innen. Sie ist eine relativ sichere Siedlung und fungiert als Sprungbrett für Menschen, die ihre wirtschaftliche Lage langsam verbessern und ihre Familie versorgen möchten.
Seit 2009 ist die Gemeinschaft bereits von Zwangsräumung bedroht. Damals erfuhr sie zum ersten Mal von dem geplanten Straßenbauprojekt namens Missing Link, das die kenianische Straßenbaubehörde (Kenya Urban Roads Authority – KURA) mit Finanzhilfen der Europäischen Union und der kenianischen Regierung realisieren möchte. Die Straße würde durch das wirtschaftliche Zentrum und die Hauptstraße von Deep Sea führen und ein Viertel der dortigen Bevölkerung betreffen.

KURA traf sich am 27. Juni 2015 mit Bewohner_innen der Siedlung, um sie darüber zu informieren, dass sie bis zum 8. Juli Zeit haben, ihre Häuser zu räumen. Die Betroffenen wurden von der Ausarbeitung des Umsiedlungsplans ausgeschlossen und bei der Festlegung der "Entschädigung" nicht konsultiert. Die von KURA angebotene "Entschädigung" basiert in keiner Weise auf einer Bewertung der Räumungsauswirkungen auf einige marginalisierte Sektoren in der Siedlung und ist kein angemessener Verlustausgleich für die Betroffenen. Auch können sie sich davon keine angemessenen alternativen Unterkünfte in einer sicheren Umgebung mit grundlegenden Diensten wie Wasser und Sanitärversorgung leisten. Die Bewohner_innen von Deep Sea wissen wenig darüber, wie und wann Beschwerden von Einwohner_innen bearbeitet werden und welche Art von Rechtsmitteln zur Verfügung steht. Die Straßenbaubehörde KURA hat sich bisher nur unzureichend mit den Bewohner_innen der Siedlung auseinandergesetzt und wird mit diesem Vorgehen nicht den internationalen Menschenrechtsstandards gerecht, die sie als staatliche Stelle in Kenia einhalten muss.

Zahlreiche internationale Menschenrechtsverträge wie z. B. der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker schreiben vor, rechtswidrige Zwangsräumungen zu verhindern und zu unterlassen. Kenia ist Vertragsstaat dieser Abkommen. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betont, dass erst dann auf Räumungen zurückgegriffen werden darf, wenn alle anderen realisierbaren Alternativen ausgeschöpft sind. Selbst wenn eine Zwangsräumung berechtigt erscheint, kann sie nur durchgeführt werden, wenn angemessener verfahrensrechtlicher Schutz vorhanden ist. Dies schließt auch die Konsultierung der Betroffenen sowie eine angemessene Benachrichtigung über die Räumung mit ein. Zudem müssen angemessene alternative Unterkünfte sowie eine Entschädigung zum Ausgleich aller Verluste zur Verfügung gestellt werden. Bei der Räumung müssen bestimmte verfahrenstechnische Schutzmaßnahmen eingehalten werden und die Betroffenen müssen Zugang zu Rechtsmitteln und weiteren Maßnahmen wie z. B. Rechtshilfe erhalten. Regierungen sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass im Zuge einer Räumung niemand obdachlos wird oder in anderer Weise Gefahr läuft, in seinen Menschenrechten verletzt zu werden.

Die EU ist gemäß dem Völkerrecht verpflichtet, sicherzustellen, dass die von ihr zur Verfügung gestellten Finanzmittel nicht zur Verletzung der Menschenrechte eingesetzt werden. Im Vertrag über die Europäische Union ist festgeschrieben, dass die Europäische Kommission auf internationaler Ebene das Völkerrecht und die Menschenrechte zu achten hat. Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU sieht im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit vor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten diejenigen Verpflichtungen einzuhalten haben, die sie unter dem Dach der UN und anderen relevanten internationalen Organisationen vereinbart haben. Die EU hat es bei diesem Straßenbauprojekt bislang versäumt, die Einhaltung der Menschenrechte auf angemessene Weise sicherzustellen, und muss daher in Zusammenarbeit mit der kenianischen Regierung dringend dafür sorgen, dass keine weiteren Menschenrechtsverletzungen begangen werden.