Tunesien: Filmemacher ohne medizinische Versorgung

Das Bild zeigt das Porträtbild eine Mannes

Der tunesische Regisseur Issam Bouguerra

Der Filmemacher Issam Bouguerra ist seit dem 24. August 2021 wegen des Konsums und Besitzes von Cannabis inhaftiert und es läuft ein Strafverfahren gegen ihn. Die Gefängnisbehörden verweigern ihm den Zugang zur medizinischen Versorgung von gesundheitlichen Beschwerden, an denen er schon länger leidet. Die erste Anhörung in seinem Gerichtsverfahren wurde vom 6. Oktober auf den 24. November verschoben. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Amnesty International fordert die tunesischen Behörden auf, die Anklagen gegen ihn fallen und ihn freizulassen, da die Kriminalisierung des Eigengebrauchs und Besitzes von Drogen gegen die Menschenrechte verstößt.

Appell an

Justizministerin

Minister of Justice

Leila Jaffel

31 Boulevard Bab Bnet

Tunis

TUNESIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Tunesischen Republik

Herrn Chiheb Chaouch

Geschäftsträger a.i.

Lindenallee 60

14050 Berlin


Fax: 030-3082 0683

E-Mail:
at.berlin@tunesien.tn und at.berlin@diplomatie.gov.tn

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie die Anklagen gegen Issam Bouguerra fallen und lassen Sie ihn frei, da er sich nur aufgrund des Konsums von Drogen in Haft befindet.
  • Veranlassen Sie bitte umgehend, dass Issam Bouguerra bis zu seiner Freilassung Zugang zu der von ihm benötigten medizinischen Versorgung hat, falls nötig in einer medizinischen Einrichtung außerhalb des Gefängnisses.
  • Ich möchte höflich darauf dringen, dass die tunesischen Behörden eine umfassende Überprüfung der Drogenpolitik und aller -gesetze, einschließlich Gesetz N.92-52, vornehmen, mit dem Ziel die Kriminalisierung des Konsums und Besitzes von Drogen für den persönlichen Gebrauch zu beenden. Stellen Sie zudem sicher, dass Gesundheits- und andere Sozialleistungen ausgeweitet werden, um die mit dem Drogenkonsum einhergehenden Risiken thematisiert werden.

Sachlage

Die tunesischen Strafvollzugsbehörden verweigern Issam Bouguerra den Zugang zu einer angemessenen medizinischen Untersuchung, obwohl er aufgrund seiner Hämorrhoiden-Blutungen und der ärztlichen Empfehlung, sich regelmäßig auf Darmkrebs untersuchen zu lassen, dringend fachärztliche Untersuchungen benötigt. Er erhält derzeit nur unzureichende medizinische Hilfe in der Gefängnisklinik und hat die Gefängnisbehörden wiederholt gebeten, ihn zu einem*r Fachärzt*in außerhalb des Gefängnisses zu bringen.

Der Vater von Issam Bouguerra besuchte ihn am 3. und am 17. Oktober im Gefängnis von Mornaguia in der Nähe von Tunis. Er berichtete Amnesty International, dass sein Sohn seit mehreren Wochen an den Blutungen leidet. Da in der Familie von Issam Bouguerra Darmkrebs aufgetreten ist und seine Mutter daran starb, hat der*die Hausärzt*in empfohlen, alle sechs Monate eine Kontrolluntersuchung durchführen zu lassen. Seit Issam Bouguerras Festnahme verweigern ihm die Gefängnisbehörden jedoch die erforderlichen medizinischen Untersuchungen, da in der Gefängnisklinik die Ausstattung fehlt, um die von ihm benötigten Untersuchungen, wie z. B. einen Scan oder eine Darmspiegelung, durchzuführen. Issam Bouguerra hat seit April wiederholt darum gebeten, eine_n Fachärzt_in außerhalb des Gefängnisses konsultieren zu können, aber die Gefängnisbehörden ignorieren seine Bitte.

Die Lage, in der sich Issam Bouguerra befindet, teilen Tausende Menschen, die in Tunesien allein wegen ihres Drogenkonsums inhaftiert sind. Laut einem aktuellen Bericht der internationalen NGO Lawyers without Borders (Anwälte ohne Grenzen) wurden 2019 mehr als 2.500 Personen wegen Drogendelikten inhaftiert, 60 % von ihnen wegen Drogenkonsums.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Amnesty International ist der Ansicht, dass die Kriminalisierung von Besitz und Konsum von Drogen die Menschenrechte verletzt.

Issam Bougerra ist ein 39-jähriger tunesischer Filmemacher aus Kairouan. Nachdem er in Tunesien Grafikdesign studiert hatte, ging er in die USA, um seinem Interesse für den Film nachzugehen, und studierte Filmwissenschaften in Los Angeles. Er führte bei mehreren Fernsehserien für tunesische und algerische Fernsehsender Regie. Er ist vor allem für seinen Kurzfilm "Faracha" (Schmetterling) bekannt, der die Geschichte eines Jungen aus Kairouan, einer verarmten und konservativen tunesischen Stadt, erzählt, der beschließt, trotz aller Missbilligung seiner Leidenschaft zu verfolgen. "Faracha" wurde von der Kritik hoch gelobt und gewann den Couple d'Or für den besten Kurzspielfilm 2022 beim zweiten Mon premier Film-Festival in Paris, als Issam Bouguerra sich bereits im Gefängnis befand.

Issam Bouguerra wurde erstmals am 20. September 2021 zu einem Verhör vorgeladen. Die tunesischen Behörden unterzogen ihn einem Urin-Drogentest. Dies stellt eine Verletzung seines Rechts auf Privatsphäre dar. Die Polizei durchsuchte auch sein Mobiltelefon und fand ihren Angaben zufolge "verdächtige Fotos im Zusammenhang mit Drogen". Sie beschlagnahmten sein Telefon und seinen Laptop und durchsuchten auch seine Wohnung.

Issam Bouguerra steht gemäß den Paragrafen 4 und 5 des Gesetzes Nr. 92-52 über Betäubungsmittel (Gesetz 52) unter Anklage. Paragraf 4 sieht eine Freiheitsstrafe von einem bis fünf Jahren und eine Geldstrafe von bis zu 3.000 tunesischen Dinar (rund 900 Euro) für jede Person vor, die Drogen konsumiert oder im Besitz von Drogen oder Pflanzen angetroffen wird. Paragraf 5 sieht eine Freiheitsstrafe von 6 bis 10 Jahren und eine Geldstrafe von bis zu 15.000 tunesischen Dinar (rund 4.500 Euro) für diejenigen vor, die Drogen zum Zwecke des Handels anbauen, ernten, erzeugen, besitzen, sich aneignen, anbieten, transportieren, vermitteln, kaufen, verkaufen, liefern, verteilen, extrahieren oder herstellen. Die Behörden haben keine Beweise dafür vorgelegt, dass Issam Bouguerra in den Drogenhandel verwickelt war oder die Absicht hatte, die Drogen zu verkaufen oder daraus einen Gewinn zu erzielen. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Die Überbelegung der Gefängnisse ist in Tunesien ein Dauerthema. Zurzeit befinden sich rund 22.000 Insass*innen in den für insgesamt maximal 18.000 Personen ausgelegten Gefängnissen. Viele sind wegen Drogendelikten inhaftiert. Tunesische und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen haben eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die durch Drogengesetze begünstigt werden, die die Bestrafung von Drogenbesitz und Eigenkonsum angelegt sind. Dazu zählen körperliche und verbale Übergriffe durch Polizeibeamt*innen. Das Gesetz Nr. 92-52 wurde 2017 zwar geändert, um die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern, doch die Menschenrechtsverletzungen, die sich aus diesem Gesetz ergeben, gehen unvermindert weiter.

Amnesty International wendet sich gegen das pauschale Verbot von Drogen, mit dem Regierungen Millionen von Menschen bestrafen, stigmatisieren, dämonisieren und mit Gewalt gegen sie vorgehen, um Drogenkonsum zu unterbinden und andere durch Abschreckung davon abzuhalten. Amnesty International appelliert an die tunesischen Behörden, gemäß internationaler Menschenrechtsnormen und -standards einen sensibleren Ansatz zu verfolgen, um sicherzustellen, dass die Menschen durch Maßnahmen zur Drogenkontrolle geschützt und nicht gefährdet werden. Amnesty International fordert die tunesischen Behörden auf, neue Modelle der Drogenkontrolle einzuführen, die den Schutz der Gesundheit und der Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen, einschließlich der Entkriminalisierung des Konsums und Besitzes von Drogen für den Eigengebrauch und der wirksamen Regulierung von Drogen, um legale und sichere Kanäle für diejenigen zu schaffen, die Zugang zu Drogen haben dürfen. Diese Politik muss mit einer Ausweitung der Gesundheits- und anderer sozialer Dienste einhergehen, um drogenbedingte Probleme anzugehen, sowie mit weiteren Maßnahmen, um die zugrundeliegenden sozioökonomischen Ursachen zu bekämpfen, die Menschen dazu veranlassen, in den Drogenhandel einzusteigen, wie z. B. Armut, Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verweigerung von Bildung oder Wohnungslosigkeit.

Die gleiche Forderung wurde von der UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Gesundheit erhoben, die den Mitgliedsstaaten empfahl, "...die innerstaatlichen Gesetze zu reformieren, um den Besitz und Gebrauch von Drogen zu entkriminalisieren oder nicht länger zu bestrafen und den Zugang zum kontrollierten medizinischen Gebrauch zu verbessern". In einer aktuellen Studie der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen vom 18. Mai 2021 wird den Staaten empfohlen, "Personen, die nur wegen Eigengebrauchs oder Besitzes von Drogen inhaftiert sind, umgehend freizulassen und ihre Verurteilungen mit dem Ziel der Löschung des Eintrags im Strafregister zu überprüfen".