Amnesty Report Armenien 26. Mai 2016

Armenien 2016

 

Die Polizei löste 2015 mehrfach überwiegend friedliche Protestkundgebungen auf, in einigen Fällen unter Einsatz exzessiver Gewalt, was zu weiteren und ausgedehnteren Protesten führte. Die Organisatoren der Protestaktionen waren mit Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung aufgrund zweifelhafter Anklagen konfrontiert. Berichten zufolge wurde ein regierungskritischer Demonstrant angegriffen und verprügelt. Folter und andere Misshandlungen sowie Straflosigkeit für die Täter gaben nach wie vor Anlass zu Besorgnis. Kriegsdienstverweigerer hatten auf der Grundlage neuer Bestimmungen, die 2013 eingeführt worden waren, erstmals Zugang zu einem zivilen Ersatzdienst.

Hintergrund

Am 6. Dezember 2015 stimmten die Bürger Armeniens in einem Referendum für eine Verfassungsänderung, die ab 2018 Machtbefugnisse des Staatspräsidenten auf das Parlament und den Regierungschef überträgt. Die Opposition äußerte den Verdacht, der amtierende Staatspräsident könnte nach dem Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit 2018 das Amt des Regierungschefs anstreben.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Das Jahr 2015 war geprägt von zunehmender öffentlicher Unzufriedenheit, zahlreichen Demonstrationen zu sozialen und politischen Anliegen und einem harten Vorgehen der Behörden gegen die Organisatoren und Protestierenden. Auslöser für die heftigsten landesweiten Proteste im Juni und Oktober 2015 waren eine geplante Strompreiserhöhung und die Verfassungsreform, die es dem Staatspräsidenten erlauben würde, über seine zweite Amtszeit hinaus an der Macht zu bleiben.

Am 21. September 2015 wurde Smbat Hakobian, der einer regie-rungskritischen politischen Gruppe angehört, auf dem Heimweg von einer Demonstration gegen die Regierung in der Hauptstadt Eriwan so schwer verprügelt, dass er Kopfverletzungen und Rippenbrüche davontrug. Die Polizei leitete Ermittlungen ein und nahm drei Verdächtige fest. Die Ermittlungen zu einem ähnlichen Angriff auf drei Demonstranten im Jahr 2014 hatten 2015 noch zu keinen Ergebnissen geführt.

Exzessive Gewaltanwendung

Die Polizei ging 2015 mehrfach mit exzessivem Gewalteinsatz und Festnahmen gegen friedliche Demonstrierende und weitgehend friedliche Kundgebungen vor. Engagierte Bürger, die sich an regierungskritischen Protesten beteiligten, liefen Gefahr, von der Polizei und regierungstreuen Gruppen gewaltsam angegriffen zu werden.

Am 15. Januar 2015 hinderte die Polizei Tausende Menschen an der Teilnahme an einem Demonstrationszug zum russischen Konsulat in Gjumri, wo sie gegen die Ermordung einer sechsköpfigen Familie durch einen russischen Soldaten protestieren wollten. Nach Angaben von Augenzeugen eskalierte die Situation, als Polizisten in Kampfmontur mit Schlagstöcken, Tränengas und Blendgranaten gegen die Protestierenden vorgingen, die daraufhin Steine warfen. Die Polizei nahm 21 Per-sonen fest und ließ sie am nächsten Tag wieder frei. Dem Vernehmen nach wurden neun Demonstrierende und drei Polizeibeamte verletzt. Es wurden Ermittlungen eingeleitet, die jedoch Ende 2015 noch nicht abgeschlossen waren.

Nachdem die Regierung Strompreiserhöhungen angekündigt hatte, starteten am 19. Juni 2015 Tausende Menschen aus Protest einen mehrtägigen Sitzstreik im Stadtzentrum von Eriwan. Am 23. Juni zogen etwa 500 Demonstrierende zum Präsidentenpalast und blockierten die Straße vor der Polizeiabsperrung. Um die Menschenmenge auseinanderzutreiben, ging die Polizei mit exzessiver Gewalt vor und setzte Wasserwerfer ein. Als Reaktion darauf warfen einige Demonstrierende mit Wasserflaschen, an-sonsten blieb die Menge jedoch friedlich. 237 Personen wurden festgenommen und ohne Anklage wieder freigelassen. Die Polizei ging auch gegen Journalisten mit übermäßiger Gewalt vor, indem sie deren Ausrüstung konfiszierte und beschädigte. Später entschuldigte sich die Polizei offiziell dafür. Die Ermittlungen zu dem Vorfall dauerten Ende 2015 noch an.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Fünf Mitglieder der Oppositionsbewegung Founding Parliament wurden festgenommen, nachdem sie eine regierungskritische Kundgebung für den 24. April 2015 angekündigt hatten, den Tag, an dem in Armenien der Opfer des Völkermords an den Armeniern vor 100 Jahren gedacht wurde. Man warf ihnen vor, Massenunruhen geplant zu haben, obwohl sie eine offizielle Erlaubnis für die Kundgebung eingeholt hatten. Am 9. April 2015 ordnete ein Gericht in Eriwan an, sie zwei Monate lang in Untersuchungshaft zu halten. Nach Massenprotesten in Eriwan kamen sie am 4. Mai 2015 frei, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen sie wurden jedoch nicht eingestellt.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam und Gefängnissen boten ebenso Anlass zur Sorge wie die Straflosigkeit für die Täter. Örtliche Menschenrechtsgruppen wiesen darauf hin, dass Beamte, die unter Folterverdacht standen, in vielen Fällen vorübergehend ihres Amtes enthoben wurden, um später die gleiche oder eine höhere Position in einer anderen Dienststelle zu übernehmen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen Zum Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie trafen sich am 17. Mai 2015 etwa 100 Aktivisten an einem geschlossenen Veranstaltungsort. Die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen gab weiterhin Anlass zur Sorge. Hassreden waren weit verbreitet, und es gab weiterhin keine gesetzliche Regelung zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Kriegsdienstverweigerer

Armenien begann damit, ein Gesetz aus dem Jahr 2013 umzusetzen, das einen zivilen Ersatzdienst vorsieht, der Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen erlaubt, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, anstatt in der Armee zu dienen.

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