Amnesty Report Georgien 18. Mai 2010

Georgien 2010

Amtliche Bezeichnung: Georgien Staatsoberhaupt: Micheil Saakaschwili Regierungschef: Nikoloz Gilauri (löste im Februar Grigol Mgaloblischwili im Amt ab) Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 4,3 Mio. Lebenserwartung: 71,6 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 39/33 pro 1000 Lebendgeburten

Die georgischen Behörden stellten die Untersuchung der während des Konflikts im Jahr 2008 von den georgischen und südossetischen Truppen begangenen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ein. Nach Beendigung der Auseinandersetzungen litt die Zivilbevölkerung im ehemaligen Konfliktgebiet unter der allgegenwärtigen Unsicherheit, Fällen von Drangsalierung und Festnahmen. Fast 26000 Menschen, zumeist ethnische Georgier, konnten nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Mitglieder der Opposition und Journalisten waren Berichten zufolge Schikanen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei ausgesetzt.

Hintergrund

Das Jahr 2009 war gekennzeichnet durch die unsichere Lage in und um Abchasien und Südossetien, jenen Regionen Georgiens, die 2008 ihre Unabhängigkeit erklärt hatten. Eine von April bis Juli dauernde politische Krise, während der auf Massendemonstrationen der Rücktritt von Präsident Micheil Saakaschwili gefordert wurde, sorgte für weitere Instabilität im Land.

Bewaffneter Konflikt

Ein im September veröffentlichter Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungsmission zum Konflikt in Georgien (Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia) bestätigte, dass 2008 die georgischen, russischen und südossetischen Kräfte international verbriefte Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht verletzt haben. Alle Konfliktparteien wurden dazu aufgerufen, Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Kriegs zu ergreifen. Bis zum Jahresende hatte keine Seite umfassende Untersuchungen zur Aufklärung der im Jahr 2008 und unmittelbar danach begangenen Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen Völkerrechts durchgeführt. Im Allgemeinen blieben die Verbrechen weiterhin ungeahndet. Bemühungen, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, waren nicht erkennbar.

Die Sicherheitslage in und um die ehemaligen Konfliktregionen blieb angespannt. Nachdem die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sowie die UN-Beobachtermission im Juni ihre Tätigkeit in Georgien beendet hatten, waren die Möglichkeiten einer internationalen Kontrolle und Überwachung der Lage erheblich eingeschränkt. Die Überwachungsmission der EU (EU Monitoring Mission), die einzige verbliebene Überwachungsgruppe mit internationalem Mandat, erhielt keinen Zugang zu den von De-facto-Machthabern beherrschten Gebieten in Südossetien und Abchasien. Zivilisten sollen wegen illegaler Überquerung der administrativen Grenzlinie zwischen Georgien und Südossetien bedroht und festgenommen worden sein.

Binnenvertriebene

Schätzungsweise 26000 Personen zumeist georgischer Herkunft konnten nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren, aus denen sie im Zuge einer offensichtlich vorsätzlichen Politik, die Teil der Kriegsstrategie war, gewaltsam vertrieben worden waren. Die meisten der georgischen Binnenflüchtlinge hatten Ersatzunterkünfte oder Entschädigung erhalten. Angesichts des Verlustes ihrer Lebensgrundlagen und fehlender Möglichkeiten, eine Arbeit zu finden, ist nach wie vor zu befürchten, dass sie ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte nicht in Anspruch nehmen können.

Gewalt gegen Frauen

Im April billigte die Regierung einen neuen Aktionsplan gegen häusliche Gewalt für die Jahre 2009 und 2010. Im Juli wurde ein sogenannter Nationaler Zuweisungsmechanismus eingeführt, der Orientierung bei der Identifizierung von Opfern häuslicher Gewalt geben und diese an verfügbare Betreuungs- und Unterstützungseinrichtungen verweisen soll. Die Regierung stellte Räumlichkeiten zur Verfügung und traf Vorbereitungen zur Einrichtung von Anlaufstellen. Bis zum Jahresende waren diese staatlichen Anlaufstellen für Opfer häuslicher Gewalt jedoch noch nicht einsatzbereit.

Versammlungsfreiheit

Bei Demonstrationen, die zwischen April und Juli 2009 stattfanden, sollen Oppositionsanhänger von nicht identifizierten maskierten Männern bedroht, eingeschüchtert und geschlagen worden sein. Berichte, denen zufolge Polizeibeamte bei mehreren dieser Vorfälle anwesend waren, aber nicht einschritten, gaben Anlass zu Befürchtungen, dass die Behörden es unterlassen hatten, Demonstranten Schutz zu gewähren und das Recht auf Versammlungsfreiheit zu garantieren. Zwar wurden zu einigen der gemeldeten Vorfälle Ermittlungen aufgenommen, doch führten die Behörden keine vollständigen und unabhängigen Untersuchungen durch. Ebenso wenig stellten sie die für Übergriffe Verantwortlichen vor Gericht.

Im Juni in Kraft getretene Änderungen des Gesetzes zur Regelung des Versammlungs- und Demonstrationsrechts enthielten für Verstöße gegen das Gesetz drastische Strafandrohungen. Dies weckte bei Menschenrechtlern die Befürchtung, dass die neuen Rechtsvorschriften zur Einschränkung des Rechts auf Versammlungsfreiheit benutzt werden könnten.

Exzessive Gewaltanwendung

Polizeibeamte sollen am 6. Mai 2009 während einer gewalttätigen Auseinandersetzung vor dem Polizeipräsidium in Tiflis in rücksichtsloser Art und Weise Aufprallgeschosse auf demonstrierende Anhänger der Opposition abgefeuert haben. Dabei erlitten mehrere Personen Kopfverletzungen. Bei einem anderen Vorfall, der sich am 15. Juni ereignete, haben Polizeibeamte Berichten zufolge vor dem Polizeipräsidium von Tiflis friedlich demonstrierende Angehörige der Opposition unter Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt auseinandergetrieben. Sie sollen die Protestierenden ohne Vorwarnung mit Schlagstöcken angegriffen haben. 17 Demonstranten mussten zur Behandlung ihrer Wunden Krankenhäuser aufsuchen, zwei Personen stationär aufgenommen werden. Unter den Verletzten befand sich ein Vertreter des Büros des Ombudsmanns, der von Polizeibeamten inhaftiert und geschlagen worden sein soll. Beide Vorfälle zogen Ermittlungen nach sich. Bis zum Jahresende waren dabei jedoch noch keine Fortschritte festzustellen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalisten, die über die Demonstrationen der Monate April bis Juni berichteten, waren Meldungen zufolge Bedrohungen und Gewalt sowohl durch die Behörden als auch durch Anhänger der Opposition ausgesetzt. Zeugen berichteten, dass Polizeibeamte am 15. Juni 2009 während der Auflösung einer Protestkundgebung der Opposition etliche Journalisten angegriffen und ihre audiovisuelle Ausrüstung beschlagnahmt hätten. In einigen Fällen wurden Bänder mit Aufzeichnungen der Vorgänge nicht zurückgegeben, in anderen Fällen fehlten Teile der Bandaufzeichnungen.

Vor und während der Demonstrationen wurde eine große Anzahl von Angehörigen der Opposition unter der Anklage des Besitzes von Drogen und Waffen festgenommen. Sowohl der Ombudsmann als auch Menschenrechtsorganisationen äußerten die Befürchtung, dass einige Demonstranten wegen ihrer politischen Aktivitäten festgenommen worden sein könnten und ihre Gerichtsverfahren nicht den internationalen Standards für faire Prozesse entsprachen.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International besuchten Georgien in den Monaten Juni und November.

Civilians in the aftermath of war: The Georgia-Russia conflict one year on (EUR 04/001/2009)

South Caucasus: promptly adopt and enforce legislation on domestic violence (EUR 04/002/2009)

Georgia: Police reportedly use excessive force against the demonstrators (EUR 56/001/2009)

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