Amnesty Report Venezuela 12. Mai 2009

Venezuela 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Bolivarische Republik Venezuela Staats- und Regierungschef: Hugo Chávez Frías Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 28,1 Mio. Lebenserwartung: 73,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 24/19 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 93%

Es gab zahlreiche Angriffe auf Journalisten. Menschenrechtsverteidiger litten weiterhin unter Schikanen. Die schlechten Zustände in den Gefängnissen lösten Hungerstreiks in den Haftanstalten des Landes aus. Es wurden einige wichtige Schritte zur Umsetzung des im Jahr 2007 erlassenen Gesetzes über Gewalt gegen Frauen unternommen, doch zeigten viele der dafür verantwortlichen Behörden dabei nur geringes Engagement. Die fehlende Waffenkontrolle trug zum hohen Ausmaß der Gewalt und der mangelhaften öffentlichen Sicherheit bei.

Hintergrund

Am 31. Juli 2008 lief die Geltungsdauer des Ermächtigungsgesetzes ab, das Präsident Hugo Chávez Frías in die Lage versetzt hatte, in weiten Bereichen Gesetze per Dekret zu erlassen, darunter auch über die öffentliche Sicherheit und die Reform von Institutionen. Die gesetzgebende Gewalt wurde damit wieder vollständig in die Verantwortung der Nationalversammlung übergeben. Während der 18 Monate, in denen das Gesetz in Kraft war, hatte Präsident Chávez insgesamt 66 Dekrete auf unterschiedlichen Feldern der Gesetzgebung erlassen.

Ein Gesetz über Inlandsgeheimdienste und Sicherheit, das im Mai per Präsidialdekret erlassen worden war, wurde im darauffolgenden Monat zurückgezogen, nachdem Proteste gegen verschiedene Aspekte des Gesetzes stattgefunden hatten. So war darin eine Bestimmung enthalten, die die Bürger verpflichtet hätte, dem Staat Informationen über Mitbürger zu liefern oder sich andernfalls strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen.

Berichten zufolge waren Journalisten tätlichen Angriffen sowohl seitens der Sicherheitskräfte als auch von Zivilisten ausgesetzt. Mit der großen Zahl von Kleinwaffen, die sogar innerhalb des Gefängnissystems im Umlauf waren, blieb die mangelhafte öffentliche Sicherheit ein ernstes Problem.

Im November fanden Bürgermeister- und Gouverneurswahlen statt. In Ausführung eines Beschlusses zur Bekämpfung der Korruption wurde einigen Funktionären in Politik und Verwaltung wegen erwiesener Korruption das passive Wahlrecht aberkannt, womit ihre Kandidatur bei den Wahlen verhindert wurde. Der Oberste Gerichtshof bestätigte im August die Verfassungsmäßigkeit dieser Entscheidung.

Im Dezember urteilte der Oberste Gerichtshof, dass eine Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der drei Richter wieder in ihre Ämter eingesetzt und für ihre im Jahr 2003 erfolgte Abberufung entschädigt werden sollten, "undurchführbar" sei. Der Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofs gab Anlass zur Sorge, dass hierdurch Bestimmungen der Verfassung, die die Umsetzung rechtlicher Entscheidungen internationaler Institutionen garantieren, untergraben werden könnten.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Laufe des Jahres wurde über einige Fortschritte berichtet. Dazu gehörten die Ausbildung von Staatsanwälten und die Einrichtung von Sondergerichten. Einige Behörden, für die sich nach dem im Jahr 2007 erlassenen Gesetz über das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt (Ley Orgánica sobre el Derecho de las Mujeres a una Vida Libre de Violencia) Pflichten und Verantwortlichkeiten ergaben, erfüllten jedoch ihren Auftrag nicht. Dazu zählten das Gesundheitsministerium, das Innen- und Justizministerium sowie lokale Behörden. Bei Jahresende gab es in den meisten Teilen des Landes noch immer keine Zufluchtsstätten, in denen Frauen, die Gewalt ausgesetzt waren, Schutz finden konnten. Zudem reichten die vorhandenen Ausbildungsmöglichkeiten nicht aus, um die Polizeibeamten zu befähigen, das Gesetz tatsächlich umzusetzen. Außerdem genossen Täter, die ihre Verbrechen vor 2007 begangen hatten, weiterhin Straffreiheit.

  • Im Mai 2004 war Alexandra Hidalgo entführt und einer sieben Stunden dauernden Tortur unterzogen worden, während der sie von einer Gruppe von Männern vergewaltigt und gefoltert wurde. Bis Ende 2008 waren nur zwei ihrer Peiniger vor Gericht gestellt worden. Obwohl sie anonyme Drohungen erhielt und Vergeltungsmaßnahmen von ihrem früheren Ehemann fürchtete, den sie beschuldigt hatte, unter den Tätern gewesen zu sein, erhielt sie keinen ausreichenden Schutz. Trotz eines Haftbefehls, der gegen ihren Ex-Mann ausgestellt worden war, befand sich dieser Ende des Jahres noch auf freiem Fuß.

Menschenrechtsverteidiger

Regierungsvertreter versuchten, die legitime Menschenrechtsarbeit zu untergraben, indem sie haltlose Anschuldigungen gegen Menschenrechtsorganisationen erhoben. Lokale Menschenrechtsverteidiger, die die indigene Gemeinschaft der Yukpa in einem Landdisput mit lokalen Grundbesitzern in Machiques im Staat Zulia unterstützten, wurden bedroht und im August 2008 festgenommen. Nachdem der betagte Vater von Sabino Romero Izarra, einem der Sprecher der Gemeinschaft, gestorben war, wurden offizielle Ermittlungen aufgenommen. Vorliegenden Informationen zufolge war er von einer Gruppe bewaffneter Männer erschlagen worden.

Im September wurden zwei leitende Mitarbeiter von Human Rights Watch des Landes verwiesen, nachdem ein Bericht der Organisation, der die Menschenrechtsbilanz der Regierung kritisierte, der Öffentlichkeit vorgestellt worden war.

  • Der Menschenrechtsverteidiger José Luis Urbano war wegen seiner Tätigkeit als Präsident der Stiftung für die Verteidigung des Rechts auf Bildung (Fundación Pro-Defensa del Derecho a la Educación) wiederholt bedroht worden. Im Mai 2008 erhielt er Drohungen vom Direktor einer Schule, an der er Missstände aufgedeckt hatte. Der Schuldirektor forderte auch dazu auf, Gewalt gegen Urbano anzuwenden. Gleichfalls im Mai erhielt der Menschenrechtler telefonische Morddrohungen. Im September versuchte die Polizei, in das Haus seiner Schwester einzubrechen, wobei die Polizisten Drohungen gegen ihren Bruder ausstießen. Es wird angenommen, dass dies eine Vergeltungsmaßnahme dafür war, dass José Luis Urbano über Schikanen durch einen Angehörigen derselben Polizeieinheit berichtet hatte. Die Behörden waren über die Drohungen informiert worden, doch ist nicht bekannt, ob bis zum Jahresende Ermittlungen eingeleitet wurden.

Haftbedingungen

Im Februar wies der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte die Behörden an, Maßnahmen zum Schutz der Häftlinge im Gefängnis Rodeo im Bundesstaat Miranda zu ergreifen. Im gesamten Berichtsjahr führten die schlechten Zustände in den Gefängnissen zu einer Reihe von Hungerstreiks und anderen Protestaktionen.

Polizei und Sicherheitskräfte

Im April 2008 billigte Präsident Chávez das neue Polizeigesetz (Ley Orgánica del Servicio de Policía y del Cuerpo de Policía Nacional), das von einer Nationalen Polizeireformkommission entworfen worden war. Zu den Punkten, die die Kommission besonders hervorgehoben hatte, gehörte die Notwendigkeit, den Schusswaffengebrauch durch die Polizei zu kontrollieren und einen Verhaltenskodex für die Polizei aufzustellen und zu implementieren.

Das Büro des Generalstaatsanwalts kündigte an, dass 2009 ein Untersuchungsteam ernannt werden solle, das die Aufgabe habe, die vorliegenden Berichte über mehr als 6000 Fälle extralegaler Hinrichtungen zu überprüfen. Es handelt sich hierbei um zwischen 2000 und 2007 bei Zusammenstößen mit der Polizei getötete Personen.

Amnesty International: Mission und Bericht Eine Delegation von Amnesty International besuchte Venezuela im Juli, um einen Bericht über Gewalt gegen Frauen in der Familie zu lancieren.

"The law is there, let’s use it" – Ending domestic violence in Venezuela (AMR 53/001/2008)

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