Amnesty Report Italien 20. Mai 2009

Italien 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Italienische Republik Staatsoberhaupt: Giorgio Napolitano Regierungschef: Silvio Berlusconi (löste im Mai Romano Prodi im Amt ab) Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 58,9 Mio. Lebenserwartung: 80,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 6/6 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 98,4%

Es kam 2008 zu schwerwiegenden Angriffen auf Roma, und es gab kaum Informationen darüber, ob in diesen Fällen gründlich ermittelt wurde. Zwangsräumungen verschärften die prekäre Lage der Roma noch weiter. Mehrere Personen erhielten Ausweisungsbescheide, und mindestens zwei tunesische Staatsbürger wurden in ihr Herkunftsland abgeschoben, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohten. Italien hatte nach wie vor keine umfassende Gesetzgebung zum Schutz von Asylsuchenden. Allerdings wurden eine Reihe europäischer Rechtsvorschriften in nationales Recht umgesetzt, die Verbesserungen im Asylverfahren mit sich brachten. Misshandlungsvorwürfe gegenüber Angehörigen der Polizei wurden nur unzureichend untersucht.

Diskriminierung von Roma

Roma wurden Opfer rassistischer Übergriffe und erhielten keinen Schutz durch die Behörden. Auch 2008 gab es rechtswidrige Zwangsräumungen, und die Präfekten, die in den Provinzen für die öffentliche Sicherheit zuständig sind, erhielten Sonderbefugnisse zur Überwachung der Roma-Siedlungen. Nach wie vor waren Roma und Sinti nicht als nationale Minderheiten anerkannt.

Angriffe auf Roma-Siedlungen

Immer wieder wurden Roma-Gemeinschaften angegriffen, und oft taten die Behörden nichts, um den gewalttätigen Ausschreitungen Einhalt zu gebieten.

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung zeigte sich im Mai besorgt über Berichte, wonach sich Politiker extrem abfällig über Migranten, Asylsuchende, Flüchtlinge, Afrikaner und Angehörige von Minderheiten geäußert hatten.

Im Juli erklärte eine Gruppe von UN-Experten, sie seien "bestürzt über die aggressive und diskriminierende Art, in der sich führende italienische Politiker, einschließlich Mitglieder der Regierung, über die Roma äußerten". Das so entstandene Roma-feindliche Klima sei verantwortlich für die jüngsten Angriffe extremistischer Gruppen auf Roma-Lager und auf einzelne Angehörige dieser Minderheit.

  • Am 13. Mai 2008 setzten im neapolitanischen Vorort Ponticelli rund 100 Personen, die mit Stöcken und Molotow-Cocktails bewaffnet waren, Teile einer Roma-Siedlung in Brand. Ein Molotow-Cocktail wurde auf einen Wohnwagen geworfen, in dem sich mehrere Kinder aufhielten, die fast verbrannt wären. Etwa 800 Roma mussten aus der Siedlung fliehen; in der Umgebung wurden am selben Tag weitere Roma attackiert.

  • Am 6. Juni 2008 wurde vor einer Bar in Rimini eine im sechsten Monat schwangere Roma-Frau mehrmals in den Rücken getreten.

  • Im Laufe des Jahres wurden in Neapel, Novara, Pisa, Rom und Venedig weitere Brandanschläge verübt.

Zwangsräumungen

Auch 2008 wurden erneut mehrere Roma-Siedlungen zwangsgeräumt.

  • Im April mussten in Mailand etwa 800 Roma ihre Unterkünfte in der Barackensiedlung Via Bovisasca verlassen. Es wurden keine Ersatzwohnungen zur Verfügung gestellt, und die Bewohner wurden obdachlos. Auch für Kinder, Alte und Schwangere wurden keine Vorkehrungen getroffen.

  • Im Juni zerstörten Polizisten in der italienischen Hauptstadt die Siedlung Campo Boario, in der 130 italienische Roma lebten. Die Bewohner wurden zunächst in einem Übergangslager im Vorort Tor Vergata untergebracht, wo es nicht einmal fließendes Wasser und Stromanschluss gab. Im Oktober verlegte man sie dann mit ihren Wohnwagen auf einen einige Kilometer entfernten Parkplatz.

Gegen Roma gerichtete Bestimmungen

Am 26. Mai verhängte der Ministerpräsident einen einjährigen Ausnahmezustand über die Roma-Siedlungen in den Regionen Latium, Kampanien und Lombardei. Die Präfekten in den drei Regionen erhielten Sonderbefugnisse. Sie konnten die Bewohner der Siedlungen zählen lassen, Zwangsräumungen durchführen und entgegen landesweit gültigen Bestimmungen selbst von Kindern Fingerabdrücke nehmen lassen.

Nach heftiger Kritik von Menschenrechtsorganisationen wurde die letztgenannte Maßnahme auf Situationen beschränkt, in denen keine Möglichkeit bestand, die Identität einer Person auf andere Weise zu ermitteln.

Rassismus

Auch im Jahr 2008 kam es zu rassistisch motivierten Übergriffen wie Beschimpfungen, Attacken und Zerstörung fremden Eigentums. Der Menschenrechtskommissar des Europarats sowie der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung erklärten, rassistische Äußerungen von Politikern und gezielt gegen Migranten gerichtete Rechtsvorschriften würden zu einem ausländerfeindlichen Klima beitragen. Sie drängten die italienischen Behörden, Maßnahmen gegen Volksverhetzung zu ergreifen und die Strafen für rassistische Delikte zu erhöhen.

Rechte von Zuwanderern und Asylsuchenden

Migranten und Asylsuchende ohne gültige Papiere, darunter auch Schwangere und Familien mit Kindern, wurden unmittelbar nach der Einreise routinemäßig in spezielle Haftzentren verbracht, ehe sie die Möglichkeit hatten, um internationalen Schutz nachzusuchen. In manchen Haftzentren wurde ihnen das Recht verwehrt, vor Gericht Widerspruch gegen ihre Inhaftierung und die Haftbedingungen zu erheben.

Berichten zufolge kamen in den Haftzentren mehrere Menschen zu Tode, weil sie nicht rechtzeitig ärztliche Hilfe erhielten.

  • Im Haftzentrum Cassabile wurden die Asylsuchenden bis zu fünf Wochen lang festgehalten, ehe sie einen Asylantrag stellen konnten.

  • Am 24. Mai 2008 starb der Marokkaner Hassan Nejl im Übergangslager Turin, nachdem er erkrankt war. Nach Angaben von Mithäftlingen erhielt er nicht rasch genug ärztliche Hilfe. Eine gerichtliche Untersuchung seines Falls wurde eingeleitet, Ende des Jahres lag jedoch noch kein Ergebnis vor.

Nach einem Erlass vom 3. Oktober wird die Abschiebung eines Asylsuchenden ausgesetzt, wenn dieser Rechtsmittel gegen die Ablehnung seines Asylantrags eingelegt hat. Außerdem erhielten die örtlichen Präfekten die Befugnis, die Bewegungsfreiheit von Migranten und Asylsuchenden auf ein bestimmtes Gebiet zu beschränken.

Einige Stadtverwaltungen ergriffen Maßnahmen, die sich gegen Migranten richteten. Am 11. Februar erklärte ein Mailänder Gericht ein Rundschreiben des Stadtrats wegen seines diskriminierenden Inhalts für ungültig. Demnach hätten Kinder von Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis nicht in einen Kindergarten aufgenommen werden dürfen.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats und die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen äußerten sich besorgt, als die Regierung am 21. Mai 2008 ein sogenanntes Sicherheitspaket vorlegte, das eine Reihe von Vorschriften zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung enthielt. Nach einem in dem Paket enthaltenen Erlass, der am 24. Juli in das Gesetz Nr. 125/08 umgewandelt wurde, kann bei einem Migranten, der eine Straftat begeht, der illegale Aufenthalt im Land strafverschärfend gewertet werden und zu einer höheren Strafe führen.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

In Italien fand keine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen statt, die im Rahmen des US-amerikanischen Programms rechtswidriger Gefangenenüberstellungen begangen wurden.

Mitwirkung an rechtswidrigen Überstellungen

  • Am 3. Dezember 2008 wurde das Verfahren gegen sieben italienische Staatsbürger, in der Mehrzahl Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes SISMI (Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare), im Zusammenhang mit der Entführung des Ägypters Abu Omar erneut ausgesetzt. Der ägyptische Staatsbürger mit Aufenthaltserlaubnis in Italien war im Februar 2003 in Mailand auf offener Straße entführt und nach Ägypten ausgeflogen worden, wo er umgehend in Haft genommen und dem Vernehmen nach gefoltert wurde. Im Februar 2007 kam er ohne Anklageerhebung wieder frei.

Im November erklärte der italienische Ministerpräsident, durch die Verwendung von Beweismaterial, das sich auf Kontakte zur CIA beziehe, wären Staatsgeheimnisse bedroht. Der Richter entschied daraufhin, das Verfahren auszusetzen, da die Mehrzahl der Beweise mit CIA-Kontakten zusammenhing. Die Fortsetzung des Prozesses war von einer Entscheidung des Verfassungsgerichts abhängig, die für März 2009 erwartet wird.

Ende 2008 hatte der Justizminister den Antrag eines Mailänder Gerichts auf Auslieferung von 26 US-Bürgern noch nicht an die US-Behörden weitergeleitet. Es handelte sich dabei u.a. um Konsulatsmitarbeiter, CIA-Agenten und einen Oberst der US-Luftwaffe.

Antiterrorgesetz

Das sogenannte Pisanu-Gesetz (Gesetz Nr. 155/05), das die Ausweisung von Personen vorsieht, die terroristischer Straftaten verdächtigt werden, galt auch 2008 weiter. Die Abschiebung kann vom Innenminister oder einem Präfekten angeordnet werden, wenn Verbindungen zu Terroristen vermutet werden. Eine gerichtliche Genehmigung oder Bestätigung der Ausweisungsanordnung ist in dem Gesetz nicht vorgesehen. Es enthält auch keine wirksamen Schutzvorkehrungen gegen die Rückführung in ein Land, in dem der Betroffene möglicherweise von Folter und Misshandlung bedroht ist.

  • Am 28. Februar 2008 verbot der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der italienischen Regierung, den Tunesier Nassim Saadi in sein Herkunftsland abzuschieben, nachdem er der Verschwörung zu einer Straftat schuldig befunden worden war. Der italienische Innenminister hatte 2006 die Ausweisung von Nassim Saadi angeordnet. Ungeachtet diplomatischer Zusicherungen hätten ihm im Fall der Rückkehr nach Tunesien Menschenrechtsverletzungen gedroht.

  • Am 4. Juni 2008 wurde der Tunesier Sami Ben Khemais Essid in einem beschleunigten Verfahren für Personen, die nach Ansicht der italienischen Behörden eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen, in sein Herkunftsland abgeschoben. Die Ausweisung erfolgte, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer einstweiligen Verfügung verlangt hatte, diese auszusetzen, solange der Fall geprüft werde.

  • Am 13. Dezember 2008 wurde der Tunesier Mourad Trabelsi in sein Herkunftsland abgeschoben. Auch in diesem Fall hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die italienische Regierung durch eine einstweilige Verfügung aufgefordert, die Abschiebung auszusetzen, da Mourad Trabelsi in Tunesien Folter und andere Misshandlungen drohen könnten. Weder seine Familie noch sein Anwalt konnten am Jahresende Angaben zu seinem Verbleib machen.

Folter und andere Misshandlungen

Auch 2008 versäumte es Italien, Folter als eigenen Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufzunehmen und ein wirksames Beschwerde- und Aufsichtsorgan für die Polizei einzuführen. Nach wie vor gab es Vorwürfe über Folterungen und andere Misshandlungen durch Polizeibeamte. Die Opfer waren vor allem Migranten.

  • Das Verfahren zum Tod von Federico Aldrovandi wurde fortgesetzt. Er war am 25. September 2005 in Ferrara ums Leben gekommen, nachdem ihn vier Polizeibeamte angehalten hatten. Die Polizisten wurden wegen Totschlags im Affekt angeklagt. Am 25. November wurden neue Beweise vorgelegt, die darauf hindeuten, dass sein Tod auf die Fixierungsmethoden der Polizisten zurückzuführen war. Demnach erschwerten die Maßnahmen Federico Aldrovandi das Atmen und führten zu einem Herz-Lungen-Versagen.

  • Im Fall von Aldo Bianzino, der im Oktober 2007 in Perugia zwei Tage nach seiner Verhaftung im Gefängnis gestorben war, gab es neue Entwicklungen. Eine unmittelbar nach seiner Verhaftung durchgeführte ärztliche Untersuchung hatte ergeben, dass sein Gesundheitszustand ausgezeichnet war. Bei der Autopsie wurden jedoch eine Gehirnblutung und ein Leberriss festgestellt. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen unbekannt wegen Totschlags und gegen einen Gefängniswärter wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Angehörigen von Aldo Bianzino waren überzeugt, dass sein Tod auf Misshandlungen während der Haft zurückzuführen war. Weitere auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft durchgeführte forensische Untersuchungen stellten im Februar 2008 eine natürliche Todesursache fest – ein Hirnaneurysma. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin, das Verfahren wegen Totschlags einzustellen. Dagegen legte die Familie von Aldo Bianzino Widerspruch ein. Im Oktober 2008 entschied das Gericht, das Verfahren nicht einzustellen.

  • Am 29. September wurde in Parma der Ghanaer Emmanuel Bonsu Berichten zufolge nach seiner Festnahme von Beamten der Stadtpolizei so heftig geschlagen, dass er eine Verletzung am Auge davontrug. Nach vier Stunden wurde er wieder freigelassen. Zehn Polizisten wurden u.a. wegen Entführung, Misshandlung und Machtmissbrauch unter Anklage gestellt.

Gerichtsverfahren wegen G8-Gipfel

Die Verfahren gegen Demonstranten und Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 wurden 2008 fortgesetzt.

  • Im Januar wurde das Innenministerium zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 35000 Euro an den Arzt M. P. verurteilt, der während des G8-Gipfels von Polizisten mit heftigen Schlägen misshandelt worden war.

  • Am 14. Juli wurden 15 Personen, darunter Polizisten, Gefängniswärter und Ärzte, wegen Amtsmissbrauchs und Misshandlung von Demonstranten in der Polizeikaserne Bolzaneto zu Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt. Im November räumte der Richter ein, er habe die Beschuldigten nur wegen geringerer Delikte verurteilen können, weil Folter kein eigener Tatbestand im Strafgesetzbuch sei. Wahrscheinlich wird keiner der Verurteilten seine Gefängnisstrafe antreten müssen, weil die ihnen zur Last gelegten Straftaten bereits vor Beendigung des Rechtsmittelverfahrens verjährt sein werden.

  • Am 13. November wurden 13 Polizeibeamte der Misshandlung von Demonstranten in der Armando-Diaz-Schule sowie der Verleumdung, der Unterschiebung von Beweisen und anderer Straftaten schuldig gesprochen. Sie müssen ebenso wie das Innenministerium Entschädigungen an die Opfer leisten. Das Gericht verhängte Freiheitsstrafen von einem Monat bis zu vier Jahren.

Amnesty International: Berichte

Italy: The witch-hunt against Roma people must end (EUR 30/006/2008)

State of denial – Europe’s role in rendition and secret detention (EUR 01/003/2008)

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