Aktuell Iran 31. März 2015

Todesstrafe im Iran

Todesstrafe im Iran
Brief aus der Todeszelle

01. April 2015 - Selten können uns diejenigen, die in den Todeszellen im Iran ihr Dasein fristen, von ihren Erlebnissen berichten. Nun ist jedoch ein Brief von Hamed Ahmadi aufgetaucht, einem Mann, der am 4. März nach einem unfairen Gerichtsverfahren hingerichtet wurde. Der Brief gibt einen seltenen Einblick in die Höllenqualen der Häftlinge, die wissen, dass das Ende ihres Lebens bevorsteht.

"Es ist alles vorbei", sagte der Wärter und bestätigte damit die schlimmsten Befürchtungen.

Auf der anderen Seite der dicken Backsteinmauer des Raja’i-Shahr-Gefängnisses in Karadsch westlich von Teheran hängen am Galgen die Leichen von sechs sunnitischen Männern, die der kurdischen Minderheit im Iran angehörten.

Hamed Ahmadi, Jahangir Dehghani, Jamshid Dehghani, Kamal Molaee, Hadi Hosseini und Sediq Mohammadi waren 2012 zum Tode verurteilt worden, nachdem man sie wegen der vage definierten Straftat "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) für schuldig befunden hatte.

Die Männer hatten jegliche Beteiligung an bewaffneten oder gewaltsamen Aktivitäten bestritten und angegeben, nur deswegen ins Visier der Behörden geraten zu sein, weil sie ihren Glauben ausgeübt hatten. Dennoch bestätigte der Oberste Gerichtshof 2013 die Todesurteile der Männer. Die Behörden weigerten sich, die Fälle erneut zu überprüfen, obwohl sich ihnen durch Änderungen des Strafgesetzbuches die Möglichkeit dazu eröffnet hatte.

Die erschöpften Angehörigen der Männer hatten die gesamte Nacht vor dem Eingang des Gefängnisses gestanden und die Behörden angefleht, die Hinrichtungen nicht durchzuführen.

Sie konnten nichts tun, außer zu weinen – während die Wärter_innen sie verhöhnten und beleidigten. Sie sagten, sie mussten immer an die letzten Worte denken, die sie am vergangenen Dienstag mit ihren Lieben gewechselt hatten. Während des kurzen Treffens hatte man den Männern Ketten und Fesseln angelegt.

Hamed Ahmadi's Tochter

Hamed Ahmadi's Tochter

Alles was jetzt noch übrig ist, ist ein Brief von Hamed Ahmadi, in dem er ein düsteres Bild seiner letzten Jahre im Todestrakt zeichnet. Einer Zeit, die von der ständigen Angst vor der Hinrichtung begleitet war, bevor seinem Leben ein Ende gesetzt wurde.

"An einem kalten Herbstmorgen im November 2012 weckten sie mich auf und sagten, ich würde ins Sanandadsch-Gefängnis[Provinz Kordestan]verlegt werden. Normalerweise werden zum Tode verurteilte Personen nur zur Vollstreckung der Strafe verlegt. Ich fühlte, wie der Schatten der Hinrichtung sich auf mich legte. Alle Insassen des Trakts wurden versammelt. Damals befanden sich zehn Menschen im Todestrakt. Einige weinten, andere waren in Gedanken versunken. Wir dachten, dass man uns vielleicht einfach verlegen würde, doch die erniedrigenden Blicke der Wärter verrieten etwas anderes. Sie legten uns allen Handschellen und Augenbinden an, schoben uns in einen Bus und verhöhnten uns.

Ich versuchte mir eine schöne Erinnerung vor Augen zu rufen, um Kraft zu schöpfen. Aber es ist schwer, an Glück zu denken, wenn man sich an der Schwelle zum Tod befindet. Als wir ankamen, beförderten sie uns aus dem Bus und warfen unsere Habseligkeiten auf den Boden, der vom Regen ganz schlammig war. Sie tauschten unsere Metallhandschellen durch welche aus Plastik aus, zogen sie jedoch so fest, dass sie bei einigen blutende Einschnitte verursachten. Sie nahmen uns die Augenbinden ab und brachten uns in einen Raum, dessen Wände mit handschriftlichen Nachrichten von Menschen übersäht waren, die man vor ihrer Hinrichtung dorthin gebracht hatte. Wir nahmen die Gebetswaschung vor und beteten für Frieden und Trost.

Ich begann mich zu fragen, ob ich meine Tochter wohl je wiedersehen würde. Als sie geboren wurde, konnte ich nicht dabei sein. Ich bat Gott darum, meiner Familie Kraft zu geben und hoffte, dass sie mir wenigstens erlauben würden, mich von ihnen zu verabschieden.

Die Tür öffnete sich. Unsere Herzen begannen zu rasen. Der Alptraum vom Tod würde jetzt zur Realität werden. Sie trennten uns voneinander. Der Mut verließ uns und unsere Ängste übernahmen immer mehr die Kontrolle. Die Zeit verging langsamer als je zuvor in unserem Leben. In der vorherigen Nacht war im Fernsehen eine Dokumentation über uns übertragen worden. Alle waren der Ansicht, dass dies ein Zeichen dafür war, dass unsere Urteile bald schon vollstreckt würden.
Es sind jedoch danach noch 45 Tage vergangen. An jedem dieser Tage rechneten wir damit, dass man uns am nächsten Tag hinrichten würde. Aber niemand holte uns. Wir gingen 45-mal dem Tod entgegen. Wir verabschiedeten uns 45-mal vom Leben.
Gerade als wir begannen zu hoffen, dass wir nicht hingerichtet würden, als wir uns wieder erlaubten, an das Leben zu denken, erschienen unsere Namen auf der Liste der Personen, die in das Raja’i-Shahr-Gefängnis verlegt werden sollten. Erneut der Alptraum vom Tod. Erneut das wiederkehrende gedankliche Bild eines Mannes, der am Galgen baumelt. Dort angekommen, gaben sie uns hellblaue Kleidung. Die ist für die Häftlinge bestimmt, die hingerichtet werden sollen. Nicht eine Sekunde lang hatte ich etwas anderes vor Augen als dieses Bild der Hinrichtungsszene. Drei Tage vergingen.
Ich verlor jegliche Orientierung. Mein Hirn funktionierte nicht mehr.

Ich schlug ununterbrochen gegen die Tür und forderte laut schreiend, dass jemand kommen und meine Fragen beantworten soll. Warum sind wir hier? Meine Familie macht sich Sorgen. Erlaubt mir wenigstens, jemanden anzurufen. Endlich durfte ich einen Anruf tätigen. Als sie meine Stimme hörte, fing meine Schwester an zu weinen: "Du lebst? Der Abgeordnete für Sanandadsch hat angerufen und behauptet, dass ihr alle hingerichtet wurdet." Sie hatten bereits eine Trauerfeier für uns abgehalten.
Danach rief ich meinen Bruder an. Er befand sich vor dem Gefängnis. Ich fragte ihn, ob er von den sechs Personen gehört habe, die sich nicht mehr bei uns befanden. Er weinte und sagte: "Sie haben sie heute gehängt und die Leichen nicht freigegeben." Ich verlor die Kontrolle und fing an zu weinen und zu schreien. Die Männer, mit denen ich dreieinhalb Jahre in einer Zelle gelebt hatte, waren einfach nicht mehr da. Ich konnte es nicht fassen. Ich fühlte mich zerrissen und zerbrochen. Man hatte ihnen nicht einmal die Chance gegeben, ihren Familien Lebewohl zu sagen.

Die drohende Hinrichtung begleitete mich und meine Familie jede Sekunde. Meine Familie wurde mit mir immer und immer wieder hingerichtet. Erhielten sie einen Tag lang keine Nachricht von mir, so kamen sie sofort zum Gefängnis und dachten, dass es vorbei sei … Man hielt uns in einer Situation fest, in der sich jede Minute so anfühlte, als hätte man uns eine Schlinge um den Hals gelegt."

Dies sind die letzten Worte, die die Angehörigen von Hamed Ahmadi von ihm haben.
Was ihm passiert ist, ist schockierend, aber an der Tagesordnung im Iran.

Nur in China werden mehr Hinrichtungen durchgeführt als im Iran. Allein 2013 bestätigten die iranischen Behörden die Hinrichtung von 369 Häftlingen. Es steht jedoch zu befürchten, dass es sich tatsächlich um mehr als 700 handelt. Zahlreiche Hinrichtungen werden nicht dokumentiert oder finden im Geheimen statt.

Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten machen einen unverhältnismäßig großen Anteil der Hinrichtungsopfer aus. Oftmals geht ihren Hinrichtungen ein unfaires Verfahren voraus, bei dem "Geständnisse" unter Folter oder anderen Misshandlungen erzwungen und als Beweismittel zugelassen werden.

Eine englischsprachige Version dieses Textes ist ursprünglich auf Vice.com veröffentlicht worden

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