Journalist inhaftiert

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Mehman Aliyev, Direktor der unabhängigen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Turan, befindet sich seit dem 24. August willkürlich in Haft. Die offenbar konstruierten Anklagen umfassen Steuerhinterziehung und andere Straftaten und sind offenbar Vergeltungsmaßnahmen für seine Arbeit als kritischer Journalist. Die Anschuldigungen gegen ihn folgen demselben Muster, das in Aserbaidschan seit einigen Jahren eingesetzt wird, um Regierungskritiker_innen zum Schweigen zu bringen.

Appell an

Ilham Aliyev

Office of the President of Azerbaijan

19 Istiqlaliyyat Street


Baku AZ1066

ASERBAIDSCHAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Aserbaidschan

S. E. Herrn Ramin Hasanov

Hubertusallee 43


14193 Berlin

Fax: 030-2191 6152

E-Mail: berlin@mission.mfa.gov.az

Amnesty fordert:

  • Heben Sie den Hausarrest von Mehman Aliyev bitte unverzüglich auf, da die Anklagen gegen ihn politisch motiviert zu sein scheinen.
  • Ich fordere Sie auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung in Aserbaidschan zu respektieren und Menschenrechtler_innen und Journalist_innen nicht wegen ihrer legitimen Aktivitäten zu schikanieren. Sie müssen ihrer Tätigkeit ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen nachgehen können.

Sachlage

Am 24. August wurde Mehman Aliyev, Chefredaktuer der unabhängigen Nachrichtenagentur Turan, vom aserbaidschanischen Finanzministerium als Zeuge zu einem Verhör vorgeladen. Anlass war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung, das Anfang des Monats gegen Turan eingeleitet worden war. Als Mehman Aliyev mit seinem Anwalt zum Verhör beim Ministerium eintraf, teilten ihm die dortigen Beamt_innen mit, dass sein Status jetzt nicht mehr "Zeuge" sondern "Verdächtiger" sei. Seinem Anwalt verweigerten sie die Teilnahme an der Vernehmung mit der Behauptung, er benötige jetzt eine spezielle Erlaubnis, um seinen Mandanten vertreten zu können. Mehman Aliyev wurde nach dem Verhör inhaftiert, ohne mit seinem Anwalt sprechen zu können. Am 25. August ordnete das Gericht eine dreimonatige Untersuchungshaft gegen ihn an. Ihm werden Steuerhinterziehung, Missbrauch seiner Funktion und illegales Unternehmertum vorgeworfen.

Die gegen Mehman Aliyev erhobenen Vorwürfe beziehen sich auf Anschuldigungen der Behörden, denen zufolge er seine Befugnisse als Direktor der Turan-Agentur missbraucht habe. Er hätte nicht alle erhaltenen Zuwendungen gemeldet und somit die entsprechenden Steuern hinterzogen. Die Steuerbehörden beschuldigen Mehman Aliyev insbesondere der illegalen Bereicherung, indem er Zuwendungen in Höhe von 148.310 Aserbaidschan-Manat (etwa 73.000 Euro), die er im Zeitraum zwischen 2010 und 2014 erhalten haben soll, nicht gemeldet habe. Außerdem habe er zwischen 2010 und 2016 Steuern in Höhe von 60.080 Aserbaidschan-Manat (etwa 29.500 Euro) hinterzogen. Mehman Aliyev bestritt jedes Fehlverhalten und unterstreicht, dass seine Agentur alle anfallenden Steuern pünktlich bezahlt habe. Kürzlich hätten die Steuerbehörden Turan aufgrund ähnlicher Anschuldigungen bereits überprüft – und entlastet. Mehman Aliyev hatte wegen dieser Angelegenheit das Verwaltungsgericht für Wirtschaftsfragen in Baku angerufen und auf Defizite und Unregelmäßigkeiten in der Untersuchung hingewiesen. Sein Anwalt legte Rechtsmittel gegen die Inhaftierung ein, die gerichtliche Anhörung vor dem Berufungsgericht wurde auf den 30. August angesetzt.

Die Nachrichtenagentur Turan ist der letzte unabhängige Medienbetrieb, der noch innerhalb Aserbaidschans tätig ist. Turan schreibt seit 1990 auf Englisch, Russisch und Aseri über wichtige und auch heikle Themen aus dem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Sowohl die Art der Anschuldigungen als auch das Strafverfahren zielen anscheinend darauf ab, die Nachrichtenagentur aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung unter Druck zu setzen. Amnesty International hat detailliert dokumentiert, wie Regierungskritiker_innen auf der Grundlage von willkürlichen Anklagen wegen illegalen Unternehmertums, Steuerhinterziehung und Amtsmissbrauch inhaftiert wurden. Dabei spielt der Vorwurf, dass Zuwendungen nicht gemeldet worden seien, eine wichtige Rolle. Solche Zuwendungen müssen in Aserbeidschan erst seit der Einführung neuer Gesetze im Februar 2014 registriert und versteuert werden. Doch die Behörden wenden diese Bestimmungen rückwirkend an, um Regierungskritiker_innen strafrechtlich zu verfolgen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 16. August stürmten Beamt_innen der Steuerbehörde das Büro von Turan in Baku. Sie beschlagnahmten Finanzunterlagen und durchsuchten die persönlichen Sachen der Mitarbeiter_innen. Dazu zählten auch Unterlagen, Daten und Veröffentlichungen, die mit der journalistischen Arbeit in Verbindung stehen. Vor seiner Festnahme berichtete Mehman Aliyev, dass der Gerichtsbeschluss, der ihm von den Steuerbeamt_innen bei der Durchsuchung vorgelegt wurde, weder den Zutritt zu noch die Durchsuchung der Büroräume gestattete. Turan war bereits früher Forderungen der Steuerbehörden nachgekommen und hatte dort Kopien sämtlicher Unterlagen vorgelegt.

Amnesty International betrachtet seit Langem mit Sorge, dass die aserbaidschanischen Behörden ihrer internationalen Verpflichtung zum Schutz der Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit nicht nachkommen. Menschenrechtsverteidiger_innen, unabhängige Journalist_innen und Regierungskritiker_innen werden wegen ihrer Arbeit häufig auf der Grundlage von konstruierten oder politisch motivierten Anklagen inhaftiert, um ihre kritischen Äußerungen mit dieser Vergeltungsmaßnahme zu unterbinden. Auch über Folter und andere Misshandlung sowie Schläge in Haft wird regelmäßig berichtet.

Seit 2013 wurden mehrere prominente Regierungskritiker_innen, darunter Menschenrechtsverteidiger_innen und politische Aktivist_innen, auf der Grundlage von konstruierten Anklagen wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten festgenommen. In Aserbaidschan werden Vorwürfe wegen Steuerhinterziehung und Amtsmissbrauch häufig dazu eingesetzt, um Angehörige von NGOs zu inhaftieren, die den Behörden kritisch gegenüberstehen.

Amnesty International hat die willkürliche Anwendung des Strafrechts in Aserbaidschan in den vergangenen Jahren detailliert dokumentiert. Hierbei ging es um bekannte Regierungskritiker_innen (meist Menschenrechtler_innen, Journalist_innen und Anwält_innen) wie z. B. Intigam Alieyv, Rasul Jafarov, Khadija Ismayilova und Leyla Yunus. Auf internationalen Druck hin wurden manche von ihnen 2015 und 2016 freigelassen. Andere befinden sich jedoch nach wie vor in Haft. Die aserbaidschanischen Behörden greifen nach wie vor auf dieselben Anklagen zurück, um Regierungskritiker_innen festzunehmen und zum Schweigen zu bringen.

In Aserbaidschan wurden 2013 und 2014 restriktive Gesetze eingeführt, die seither von den Behörden willkürlich und unter Verstoß gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit angewendet werden. Mit den Gesetzen sollten die legitimen Tätigkeiten unabhängiger regierungskritischer NGOs eingeschränkt bzw. unterbunden werden, insbesondere durch die willkürliche Verweigerung der Registrierung und die Auferlegung beschwerlicher Erfordernisse hinsichtlich Berichterstattung, Steuern und anderer Angelegenheiten. Wenn sie sich nicht registrieren lassen können, müssen aserbaidschanische NGOs andere Wege finden, um die existierenden Einschränkungen zu umgehen und Möglichkeiten zur Finanzierung ihrer legitimen Aktivitäten zu finden. Die Behörden setzen diese Erfordernisse streng durch und wenden sie in manchen Fällen rückwirkend an. Zudem manipulieren sie die Verfahren zur Berichtsform. Damit schaffen die Behörden eine Rechtfertigung für willkürliche Festnahmen und für die Strafverfolgung ihrer Kritiker_innen mit der Begründung finanzieller Unregelmäßigkeiten, welche von den Behörden als Steuerhinterziehung bzw. Machtmissbrauch eingestuft werden.