Amnesty Journal Libanon 16. Juli 2013

"Hoffnung bringt Kreativität mit sich"

Ikone arabischer Untergrund-Musik. Die libanesische Indie-Sängerin Yasmine Hamdan

Ikone arabischer Untergrund-Musik. Die libanesische Indie-Sängerin Yasmine Hamdan

Sie gilt als Ikone der Untergrund-Musik in der ­arabischen Welt: Die Sängerin Yasmine Hamdan über Radikalismus, Veränderungen und musikalische Traditionen.

Sie sind in Kuwait und Beirut aufgewachsen, seit sieben Jahren leben Sie in Paris. Was bedeuten Ihnen die Umbrüche in der arabischen Welt?
Ich war sehr hoffnungsvoll und bin es immer noch. Aber es ist noch zu früh, um zu sagen, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln werden. Jedes Land hat seine eigenen Probleme, Konflikte und Realitäten. Der Radikalismus macht mir Angst. Und was gerade in Syrien passiert, ist sehr schmerzhaft und beunruhigend. Ich fürchte, dass sich das auch auf den Libanon auswirken wird.

Wann waren Sie zuletzt dort?
Vor zwei Monaten. Der Libanon ist ein seltsamer Ort. Es liegt immer eine gewisse Spannung in der Luft, als könne jederzeit an jedem Ort etwas hochgehen. Es gibt einen großen Druck auf das Land, und die Balance im Land ist sehr fragil. Wir hatten seit den siebziger Jahren keine demographische Erhebung mehr, weil sich alles um Quoten und Konfessionen dreht, tatsächlich geht es um die Verteilung von Macht, um Geld und Korruption.

Gibt es nicht trotzdem eine kulturelle Aufbruchstimmung?
Im Libanon hatte ich nie das Gefühl, etwas verändern zu können. Es war, als würde man unter Besatzern leben. Zwar herrscht Meinungsfreiheit, aber es kommt immer darauf an, welche Themen man zu welchem Zeitpunkt anspricht. Es fühlt sich sehr befreiend an, jetzt eine andere Realität wahrzunehmen. Viele junge Menschen haben Hoffnung geschöpft und Hoffnung bringt Kreativität mit sich. Ich sehe mich als Teil ­dieser Bewegung.

Welchen Einfluss hat die westliche Politik auf die Entwicklung in der Region?
Ich möchte nicht verallgemeinern. Aber die internationale Haltung gegenüber der arabischen Welt ist manchmal unfair und verwirrend. Husni Mubarak etwa war der Nummer-Eins-Verbündete des Westens. Von einem Tag auf den anderen wurde er dann zum Diktator. Gaddafi war in Paris – zwei Jahre bevor er gestürzt wurde. Ben Ali war bestens befreundet mit der Hälfte der französischen Minister. Das ist korrupt. Ich ärgere mich auch über manches, das in westlichen Medien gesagt und aus dem Kontext gerissen wird. Andererseits entwickelt sich die arabische Welt nicht so, dass wir einen Dialog auf Augenhöhe führen können. Die arabische Welt ist ein Ghetto geworden.

Ist der Islamismus eine Reaktion auf die westliche Doppel­moral?
Wenn dein Bruder getötet wird oder dein Bein abgeschossen wird, dann radikalisiert sich mancher. Das ist nicht richtig. Ich bin nicht gegen Religion, aber gegen religiösen Radikalismus. Und es macht mich wütend, dass diese Leute immer lauter werden – und dass sie im Westen so viel Gehör finden. Wir haben eine vielfältige, pluralistische Kultur. Aber die Wahrnehmung der arabischen Welt ist einseitig.

Sie sind im Libanon mit dem Indie-Elektro-Duo Soapkills ­bekannt geworden. Welche Bedeutung hatte die Band?
Soapkills sind ein Symbol für die Zeit nach dem Bürgerkrieg: Beirut war im Umbruch, und wir waren ein Teil davon. Ich erinnere mich an viele verrückte Konzerte – unser erster Gig in einem Pub in Damaskus oder ein Auftritt vor dem König von Jordanien. Alles war so neu und unglaublich. Einmal hatten wir in Syrien ein Konzert in einem Garten. Am Ende standen dreißig Leute auf der Bühne: Die einen tanzten traditionelle Dabke-Schritte, andere HipHop-Bewegungen, dazwischen kleine Mädchen – es war fantastisch.

Sie hätten als arabischer Mainstream-Popstar Karriere machen können.
Ich hatte verrückte Angebote. Ägyptische Musikmanager ­kamen wie in einem schlechten Mafiafilm zu mir und fragten mich: "Willst du einen Scheck über 50.000 Dollar, einen Mercedes?" Es war surreal, aber auch lustig. Aber sie wollten nicht das Gleiche wie ich.

Vermissen Sie das Beirut von früher?
Wir haben damals an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit gelebt. Das Stadtzentrum von Beirut war für mich mal ein magischer Ort. Im Bürgerkrieg war es die Grenze zwischen Ost und West, Schreckliches ist dort passiert, es war komplett zerstört. Wenn wir dort durch die Straßen streiften, gab es nur Hunde, Ruinen und kaputte Straßen: wie eine Fantasy-Geisterstadt, sehr mysteriös und sehr inspirierend. Vor dem Krieg waren dort die traditionellen Märkte, die Souks. Auch mein Großvater hatte dort einen Laden. Die Gegend hatte einen besonderen Charakter. Jetzt ist daraus eine Hochglanz-Shopping-Mall geworden, unser Disneyland. Man findet dort Zara und Mango und all die globalen Ketten und Cafés und alle tragen die gleichen Marken. Es ist verrückt, wie die Erinnerung ausgelöscht und durch das Gegenteil ersetzt wurde.

In Ihrer Musik zitieren Sie kuwaitische Folklore, Gedichte aus den zwanziger Jahren und arabische Klassiker von Mohammed Abdel Wahab oder Umm Kulthum. Sind Sie nostalgisch?
Nein, aber diese Leute sind für mich eine große Inspiration. Als ich in Beirut begann, Musik zu machen, fühlte ich mich sehr existenzialistisch, allein. Ich habe in meiner Kindheit viele Brüche erlebt. Als ich mit meiner Familie am Golf gelebt habe, war das sehr klaustrophobisch. Ich war in Kuwait, als Saddam Hussein dort einmarschierte. Und ich habe noch etwas vom Bürgerkrieg im Libanon miterlebt. Als ich in den Neunzigern nach Beirut kam, war das Land zur Hälfte zerstört, und ich fühlte den Schmerz und die Hoffnungslosigkeit, die die Stadt erlitten hatte. Diese Künstler gaben mir Hoffnung.

Wollen Sie Erinnerungen konservieren?
Es ist Teil unserer Geschichte, dass Dinge ausgelöscht und verschwunden sind. Alles, was meine Mutter bis zu ihrem 23. Lebensjahr besaß, ist an einem Tag verbrannt. Das Haus meines Großvaters wurde nach dem Krieg komplett ausgeräumt. Aber wir entstammen einer oralen Kultur. Die Neigung, etwas zu archivieren und zu sammeln, ist uns fremd. Darum gibt es in der arabischen Welt kaum Nationalarchive. Es ist aber wichtig, Erinnerungen zu bewahren und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Als Künstlerin trage ich Fragmente zusammen und stelle so ein Narrativ wieder her.

Sie verbinden arabische Poesie mit TripHop.
Nicht nur. Es sind auch indische Instrumente und Texturen dabei. Ich bin nicht nur von arabischen Sängern und Komponisten, sondern auch von den Cocteau Twins, Neil Young und Arvo Pärt beeinflusst worden, oder von somalischer und chinesischer Musik. Man reist mit seinem Kopf und seinen Ohren.

Wollten Sie bewusst Bauchtanz-Klischees vermeiden?
Ich singe auf Arabisch und habe ein arabisches Publikum. Meine Wurzeln sind in der arabischen Welt. Das inspiriert mich, das ist mein Material. Aber ich kann damit gehen, wohin ich will.

Was sagten Ihre Eltern dazu, dass Sie Sängerin geworden sind?
Ich musste mich durchsetzen. Ich lebe ein anderes Leben, als es meine Mutter gelebt hat. Das hat zu Spannungen geführt. Aber als meine Eltern gesehen haben, dass alles gut läuft, haben sie sich etwas beruhigt.

Ihr Mann, der palästinensische Filmemacher Elia Suleiman, stammt aus Israel. Waren Sie mal dort?
Nein, ich kann da nicht hin, ich habe einen libanesischen Pass. Und umgekehrt ist es auch ein Problem. Unsere Länder sind immer noch im Krieg. Ich hoffe, dass diese Grenzen in Zukunft aufweichen werden, sie sperren jeden in ein Ghetto.

Fragen: Daniel Bax

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