Amnesty Journal 16. Januar 2012

Strafanzeige gegen "Nummer Zwei"

Das europäische Menschenrechtszentrum ECCHR will Hartmut Hopp, Gründungsmitglied der Colonia Dignidad in Chile, zur Verantwortung ziehen. Der Arzt entzog sich einer Verurteilung in Chile, indem er im Frühjahr nach Deutschland ausreiste.

Er war ein Mann der ersten Stunde: Schon 1962 zog Hartmut Hopp nach Chile und baute dort die Colonia Dignidad mit auf, eine Siedlung deutscher Staatsbürger, die später durch Folterungen, Morde, illegalen Waffenhandel und Kindesmissbrauch traurige Berühmheit erlangte. In den siebziger Jahren zählte Hopp zur Führungsriege um den Koloniegründer Paul Schäfer. Als einziger Arzt der Sekte leitete Hopp das Krankenhaus, in dem Kinder mit Elektroschocks gefoltert und Menschen systematisch mit Psychopharmaka ruhig gestellt wurden. Im Auftrag Schäfers unterhielt er enge Kontakte zur Militärjunta, er traf sich regelmäßig mit Manuel Contreras, dem Chef des chilenischen Geheimdienstes (DINA), aber auch General Augusto Pinochet gehörte zu seinen Gesprächspartnern. Hopp spielte vermutlich eine zentrale Rolle bei der Zusammenarbeit zwischen dem Regime und der Colonia Dignidad. Etwa, wenn es darum ging, chilenische Oppositionelle in der deutschen Enklave zu Tode zu foltern und "verschwinden" zu lassen.

Seit Mai dieses Jahres lebt "Schäfers rechte Hand" wieder in Deutschland. Er ist nicht ganz freiwillig zurückgekehrt: Nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990 begann in Chile die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in der "Kolonie der Würde", wie der Siedlungsname in deutscher Übersetzung heißt. Nach einem lang andauernden Verfahren verurteilte Chiles Oberster Gerichtshof Hopp im Januar 2011 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch zu fünf Jahren Haft. Doch der 67-Jährige verließ das Land Richtung Deutschland, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Denn laut Gesetz darf kein Deutscher ins Ausland ausgeliefert werden. Mitte November beantragten die chilenischen Richter dennoch Hopps Auslieferung. Sie berufen sich dabei auf die Havanna-Konvention, nach der Straftäter im Interesse der Opfer auch ohne entprechendes Abkommen ausgeliefert werden können.

Wolfgang Kaleck vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) wählte einen anderen Weg. Im August stellte seine Organisation bei der Krefelder Staatsanwaltschaft zwei Strafanzeigen gegen die "Nummer Zwei" der Colonia Dignidad. Schließlich handele es sich um Taten, die in einer deutschen Kolonie stattgefunden hätten, so der Anwalt. Eine Anzeige bezieht sich auf drei chilenische Oppositionelle, die von der DINA gefoltert wurden und in der Enklave "verschwanden". In der anderen geht es um zwei Personen, die in ihrer Kindheit vergewaltigt wurden.

Eigentlich hätte die deutsche Justiz schon längst aktiv werden müssen. "Jedes Mal, wenn Deutsche aus der Colonia Dignidad nach Deutschland eingereist sind, hätte man strafrechtlich gegen sie vorgehen müssen", erklärt Kaleck. Die Bonner Staatsanwaltschaft habe zwar seit 1985 gegen Hopp und andere Führungsmitglieder ermittelt, doch ohne Ergebnis, kritisiert er. Nun hofft Kaleck darauf, dass die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen das Verfahren ernster nimmt.

Amnesty International hatte die Enklave immer im Blick. 1977 veröffentlichte Amnesty eine Broschüre, in der die Colonia Dignidad als "Folterlager der DINA" bezeichnet wurde. Doch da deren Statthalter in Deutschland, die "Private Mission e.V.", gegen diese Darstellung klagte, durfte Amnesty nicht mehr behaupten, dass in der Kolonie gefoltert werde. Es folgte der bis dato längste Zivilprozess der Nachkriegsgeschichte. "Bis dann 1997 der Kläger verschwand", erinnert sich Amnesty-Mitarbeiter Klaus Walter. Die "Private Mission e.V." hatte sich aufgelöst. Amnesty bekam zwar schließlich Recht, blieb aber auf den sechsstelligen Prozesskosten sitzen.

Text: Wolf-Dieter Vogel

Schlagworte

Amnesty Journal

Weitere Artikel