Amnesty Report Tschechische Republik 08. Mai 2012

Tschechien 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Tschechische Republik Staatsoberhaupt: Václav Klaus Regierungschef: Petr Necas Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 10,5 Mio. Lebenserwartung: 77,7 Jahre Kindersterblichkeit: 3,5 pro 1000 Lebendgeburten

Bei Demonstrationen gegen Roma, die von "rechtsextremen" politischen Gruppierungen im Norden des Landes organisiert wurden, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Regierung hat ungeachtet eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterhin nichts gegen die Diskriminierung von Roma im Bildungswesen unternommen.

Diskriminierung – Roma

Der Menschenrechtskommissar des Europarats stellte im März 2011 fest, dass rassistische und gegen Roma gerichtete Äußerungen von Politikern der etablierten Parteien sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene nach wie vor gang und gäbe waren. Sowohl der Kommissar als auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes brachten ihre Besorgnis über die anhaltende systematische und gesetzwidrige Ausgrenzung von Roma-Kindern aus dem Regelunterricht zum Ausdruck.

Rassismus und Gewalttaten

  • Vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen Roma und Nicht-Roma in Nov Bydzÿov in der Region Hradec Králové (Königgrätz) erklärte der Bürgermeister des Ortes im November 2010: "(...) die Bürger (...) wollen, dass die Roma verschwinden. (...) die Hände der Kommunalregierung sind jedoch durch geltende Gesetze gebunden." Vertreter der Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit (Delnická strana sociální spravedlnosti – DSSS) begrüßten die Äußerungen des Bürgermeisters und bekundeten ihre Bereitschaft, der Gemeinde "zu helfen". Am 12. März 2011 organisierte die Partei einen Protestmarsch in Nov Bydzÿov. Dabei wurden drei Roma von Demonstranten tätlich angegriffen. Nichtstaatliche Organisationen zeigten sich angesichts von Berichten über exzessive Gewaltanwendung der Polizei gegen friedliche Gegendemonstranten besorgt. Diese hatten mit einer Blockade versucht, die Protestteilnehmer daran zu hindern, durch den vornehmlich von Roma bewohnten Ortsteil zu marschieren.

  • Im März bestätigte das Obergericht von Olomouc (Olmütz) das Urteil des Kreisgerichts von Ostrava (Ostrau), das vier Männer des rassistisch motivierten Mordes und der Sachbeschädigung für schuldig befunden hatte. Die Täter hatten im Jahr 2009 einen Brandanschlag auf eine Roma-Familie in dem Dorf Vítkov verübt. Sie legten im Juli vor dem Obersten Gericht Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Obergerichts ein, die im Dezember abgewiesen wurden.

  • Am 11. Juli wurde ein Brandanschlag in Bchory in der Region Mittelböhmen verübt, bei dem niemand zu Schaden kam. Nach den Angaben einer Polizeisprecherin gegenüber den Medien waren die Täter durch den Ortsteil gezogen und hatten dabei rassistische Parolen skandiert. Wenige Stunden danach nahm die Polizei vier Männer fest. Der Regionalstaatsanwalt erhob gegen einen von ihnen Anklage wegen versuchter schwerer Körperverletzung aus rassistischen Beweggründen. Die drei anderen müssen sich wegen Gewaltanwendung gegen eine Gruppe von Personen und gegen Einzelpersonen verantworten.

  • Im Anschluss an zwei Vorfälle zwischen Roma und Nicht-Roma veranstalteten "rechtsextreme" politische Gruppierungen, darunter die DSSS, im August eine Reihe von Protestkundgebungen in den Orten Nov Bor, Rumburk, Varnsdorf und Sluknov in Nordböhmen. Die Proteste, die von Zusammenstößen zwischen den Protestteilnehmern und der Polizei begleitet waren, dauerten bis Ende September an. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung kamen Sondereinheiten der Polizei zum Einsatz. Hochrangige Behördenvertreter und Politiker, darunter der Staatspräsident, verurteilten die Gewalttaten gegen Roma, und der Polizeisprecher bekundete den Willen, rassistisch motivierte Übergriffe künftig zu verhindern.

Als Reaktion auf die zunehmenden Spannungen zwischen Roma und Nicht-Roma in der Region von Sluknov traf der Innenminister am 8. November mit den Bürgermeistern aus der Region zusammen. Er kündigte die Einrichtung einer Sondereinheit der Polizei zur Wahrung der öffentlichen Ordnung an. Wie es hieß, führte der Ministerpräsident die Spannungen auf eine allzu großzügige Sozialpolitik zurück. Er vertrat dem Vernehmen nach außerdem die Ansicht, dass der Staat "Drückeberger und Straftäter", denen die Sozialleistungen nicht zustünden, nicht unterstützen sollte.

Bildung

Im Mai 2011 legten etwa 50 Fachleute aus den Reihen nichtstaatlicher Organisationen, der Wissenschaft und von staatlichen Stellen ihre Tätigkeit in den Arbeitsgruppen des Bildungsministeriums nieder. Dies geschah aus Protest dagegen, dass die Regierung nicht genügend Mittel für die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für integrative Bildung bereitgestellt habe, sowie gegen Rückschritte bei der Umsetzung der notwendigen Reformen. Der Schritt wurde des Weiteren damit begründet, dass eine fortgesetzte Teilnahme an den Arbeitsgruppen nur dazu gedient hätte, die Untätigkeit der Behörden zu kaschieren.

Die Regierung wurde außerdem weiterhin dafür kritisiert, dass sie dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache D. H. und andere gegen die Tschechische Republik nicht Folge geleistet hat. In dem Urteil war festgestellt worden, dass Roma-Schüler beim Zugang zu Bildung vom Staat diskriminiert wurden, und die Tschechische Republik wurde angewiesen, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen eine solche Diskriminierung verhindert und deren Folgen entgegengewirkt wird. Die Regierung billigte im Mai Änderungen der Erlasse zur Beratung in Schulen und dem Unterricht für Kinder, Schüler und Studenten mit besonderen Bildungsbedürfnissen. Diese traten am 1. September in Kraft, wobei nichtstaatliche Organisationen des Landes jedoch bemängelten, dass der erforderliche solide Rechtsrahmen zur Durchsetzung des Gerichtsurteils mit den Änderungen nicht geschaffen worden sei. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung kam überdies im September zu dem Schluss, dass die geänderten Erlasse sogar zu einer Verfestigung der Diskriminierung führen könnten.

Das Ministerkomitee des Europarats forderte die Regierung nach einer Überprüfung im Juni auf, den Nationalen Aktionsplan rascher umzusetzen und genaue Informationen über den derzeitigen Stand bereitzustellen. Das Komitee wies außerdem mit Besorgnis darauf hin, dass noch vieles getan werden müsse, damit Roma-Kinder im Bildungssystem nicht mehr diskriminiert werden.

Recht auf Wohnen

< Das Kreisgericht von Prag wies im August 2011 zwei Klagen wegen der ethnischen Diskriminierung und Ausgrenzung von Roma beim Zugang zu Wohnraum ab. Die Klagen bezogen sich auf Roma-Familien in Kladno, die im Rahmen einer Zwangsräumung von der Stadt in einer nicht angemessenen Unterkunft auf einem früheren Schlachthofgelände außerhalb der Stadt untergebracht wurden. Das Gericht befand, dass die Umsiedlung der Familien keiner Ausgrenzung und Diskriminierung gleichkomme. Überdies wurde die Stadt vom Gericht nicht aufgefordert, zu begründen, warum allein Roma-Mieter an diesen Ort umgesiedelt wurden. Die nichtstaatliche Organisation Z§vule práva, die die Roma-Kläger vor Gericht vertrat, legte vor dem Obergericht Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Zwangssterilisierung von Roma-Frauen

  • Im Juni 2011 verfügte der Oberste Gerichtshof eine Revision der Rechtssache einer Roma, die nach eigenen Angaben ohne ihre informierte Zustimmung sterilisiert worden war, durch das Obergericht in Olomouc in Mähren. Der Oberste Gerichtshof schloss sich der Rechtsauffassung des Gerichts erster Instanz nicht an, wonach ein Sterilisierungsopfer keinen Anspruch auf Entschädigung habe, weil die Verjährungsfrist abgelaufen war.

Rechte von Migranten

Im Januar 2011 trat ein Gesetz in Kraft, mit dem die Höchstdauer der Haft für Verstöße gegen Einwanderungsbestimmungen auf 18 Monate erhöht wurde. Dies gab Anlass zu der berechtigten Sorge, dass künftig ausländische Staatsbürger allein zu Zwecken der Einwanderungspolitik für einen unangemessen langen Zeitraum in Gewahrsam genommen werden könnten. Das Innenministerium legte im Juli den Entwurf eines neuen Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern vor. Darin war vorgesehen, dass die Höchstdauer der oben genannten Haft beibehalten wird. Auch brachte der Menschenrechtsbeauftragte seine Sorge darüber zum Ausdruck, dass im Falle einer Verabschiedung und Umsetzung des Gesetzes ein diskriminierendes Zwei-Klassen-System für tschechische Staatsbürger und deren Familienangehörige, die nicht aus EU-Staaten kommen, geschaffen würde.

  • Gegen die Forstwirtschaft wurden glaubwürdige Anschuldigungen wegen Menschenhandels mit ausländischen Arbeitsmigranten und Betrugs erhoben. Demnach sollen die Arbeitnehmer in dieser Branche gezwungen worden sein, bis zu zwölf Stunden pro Tag ohne Entlohnung zu arbeiten. In einigen Fällen hat man Angaben zufolge überhaupt keinen Lohn ausgezahlt und das oftmals über mehrere Monate. Polizeiliche Ermittlungen hinsichtlich dieser Berichte waren zum Jahresende noch nicht abgeschlossen, wobei das Tempo und die Effizienz der Untersuchung beanstandet wurden. Tschechische Forstunternehmen setzten ihre Praxis der Anwerbung neuer Arbeitskräfte für die Saison 2011 fort.

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