Amnesty Report Albanien 10. Mai 2011

Albanien 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Albanien Staatsoberhaupt: Bamir Topi Regierungschef: Sali Berisha Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 3,2 Mio. Lebenserwartung: 76,9 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 18/17 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99%

Familiäre Gewalt war nach wie vor weit verbreitet. Frauen und Mädchen wurden weiterhin Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution. Es gingen Beschwerden über Misshandlungen durch Polizeibeamte ein. Die Haftbedingungen in den Polizeistationen waren häufig sehr schlecht, doch gab es 2010 Verbesserungen bei den Haftbedingungen und der Behandlung von Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen. Waisen wurden aus staatlichen Einrichtungen in die Obdachlosigkeit entlassen, da man ihnen die vorrangige Berücksichtigung bei der Vergabe von Sozialwohnungen verweigerte, obwohl ihnen dies nach albanischem Recht zusteht.

Hintergrund

Die politische Pattsituation nach der umstrittenen Parlamentswahl im Juni 2009 dauerte an. Zwar beendete die wichtigste Oppositionspartei, die Sozialistische Partei (Partia Socialiste e Shqipërisë), im Mai ihren Parlamentsboykott, doch verließ sie wiederholt aus Protest das Parlament. Die legislative Arbeit des Parlaments einschließlich der Wahlreform verlief schleppend. Zu den verabschiedeten Gesetzen gehörten ein Antidiskriminierungsgesetz sowie ein Gesetz zum Schutz von Kinderrechten. Politiker beschuldigten sich gegenseitig der Korruption. In einigen Fällen wurden diesbezüglich Untersuchungen eingeleitet. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz war weiterhin gering. Im November 2010 kam die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass Albanien die Kriterien für den Kandidatenstatus der EU-Mitgliedschaft nicht erfüllt, und drängte auf weitere Reformen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Familiäre Gewalt war weit verbreitet, doch gab es Fortschritte bei der Gesetzgebung zur Bekämpfung von Gewalt und bei deren Umsetzung. Wenngleich viele Fälle häuslicher Gewalt nach wie vor nicht angezeigt wurden, stieg die Zahl der gemeldeten Vorfälle. In den ersten neun Monaten wurden 1423 Fälle zur Anzeige gebracht, 433 mehr als im Vergleichszeitraum 2009. Familiäre Gewalt war nach dem Strafgesetz kein spezifischer Straftatbestand und wurde im Allgemeinen nur auf Antrag des Opfers verfolgt bzw. dann, wenn die Tat zum Tod oder zu schweren Verletzungen führte. Opfer suchten vermehrt Schutz durch Zivilverfahren, zogen jedoch häufig ihre Klage später zurück. Die Gründe hierfür waren wirtschaftliche und gesellschaftliche Zwänge sowie fehlende Rechtsbeihilfe. Dies hatte zur Folge, dass von den Gerichten relativ wenig Schutzanordnungen verhängt wurden. So erhielt beispielsweise das Bezirksgericht von Tirana im Berichtsjahr 538 Anträge von Betroffenen, in der Mehrzahl Frauen, stellte aber nur 129 Schutzanordnungen aus.

Die Regierung begann mit der Registrierung von Fällen familiärer Gewalt, um entsprechende politische Maßnahmen ergreifen zu können. Mitarbeiter im Gesundheitswesen wurden geschult, um Opfer häuslicher Gewalt zu erkennen und zu behandeln. Im September verabschiedete das Parlament Ergänzungen zu einem Gesetz von 2006 über Maßnahmen gegen Gewalt in der Familie. Dazu zählt die Einrichtung einer Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt. Außerdem sind Verfahren für ein koordiniertes Vorgehen im Umgang mit Fällen familiärer Gewalt, eine kostenlose Rechtshilfe bei Anträgen auf Schutzanordnung sowie die Übernahme der Gerichtskosten durch den Täter vorgesehen.

Menschenhandel

Der Menschenhandel, insbesondere der Handel mit Mädchen und jungen Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden, hielt 2010 an.

  • Im Mai nahm wurden Kristaq Prifti und Roland Kuro festgenommen. Man warf ihnen vor, ein 14-jähriges Mädchen nach Griechenland verschleppt und dort fünf Jahre lang zur Prostitution gezwungen zu haben.

Der im Juni veröffentlichte Bericht des US-Außenministeriums zu Menschenhandel (US State Department Trafficking in Persons Report 2010) erkannte die Bemühungen der albanischen Behörden zur Bekämpfung des Menschenhandels an. Gleichzeitig forderte er, die bei verurteilten Menschenhändlern beschlagnahmten Mittel dafür einzusetzen, um den Schutz und die Integration der Opfer zu finanzieren. Er drängte auf Verbesserungen, um Kinder, die Opfer von Menschenhandel wurden, ausfindig zu machen und zu schützen, und forderte außerdem die rigorose Verfolgung von Polizeikräften, die sich am Menschenhandel beteiligen.

»Verschwindenlassen«

  • Das Schicksal von Remzi Hoxha, einem ethnischen Albaner aus Mazedonien, der 1995 Opfer des "Verschwindenlassens" wurde, blieb weiterhin unaufgeklärt, obwohl das Verfahren gegen Ilir Kumbaro, Arben Sefgjini und Avni Koldashi, drei ehemalige Beamte des staatlichen Geheimdienstes, in Tirana fortgesetzt wurde. Die Anklage wirft ihnen die Entführung und "Folterung mit gravierenden Folgen" von drei Männern vor, darunter Remzi Hoxha. Gegen Ilir Kumbaro wurde der Prozess in Abwesenheit geführt. Er war 2008 in Großbritannien verhaftet worden, wurde im Dezember 2009 jedoch wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem ein britisches Gericht seinem Rechtsmittel gegen die Auslieferung nach Albanien mit der Begründung stattgegeben hatte, der Haftbefehl sei nicht mehr gültig. Im August 2010 wurde er in London auf Grundlage eines neuen Haftbefehls erneut festgenommen, eine Woche später jedoch gegen Kaution freigelassen.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im Februar 2010 wurden drei Häftlinge aus Ägypten, Tunesien und Libyen aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo nach Albanien überstellt. Seit 2006 nahm Albanien elf ehemalige Guantánamo-Häftlinge auf, die nicht in ihre Heimatländer zurückgeführt werden konnten, da ihnen dort Verfolgung drohte.

Justizsystem

Im November 2010 kritisierte die parlamentarische Versammlung des Europarats die Entscheidung der albanischen Behörden, Almir Rrapo, der die US-amerikanische und albanische Staatsbürgerschaft besitzt, aufgrund von Anklagen einschließlich eines Tötungsdelikts an die USA auszuliefern. Mit dieser Entscheidung wurde eine verbindliche Interimsmaßnahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ignoriert, die seine Auslieferung ausgesetzt hatte. Das Berufungsgericht von Tirana entschied – ohne eine dauerhafte Zusicherung der zuständigen US-Behörden, ihn nicht zum Tode zu verurteilen – für seine Auslieferung. Nach seiner Abschiebung hob das Hohe Gericht Albaniens die Entscheidung des Berufungsgerichts auf.

Folter und andere Misshandlungen

Es wurde nur selten Anklage wegen Folter erhoben, mit Ausnahme von Fällen, in denen Misshandlungen durch die Polizei zu schweren Verletzungen oder zum Tod führten. Im Allgemeinen wurden Polizeibeamte wegen "Willkürakten" angeklagt, einem geringfügigeren Delikt, das meist mit einer Geldstrafe geahndet wurde.

  • Im April 2010 wurden auf Empfehlung der Ombudsperson Ermittlungen gegen zwei Polizeibeamte in Tirana eingeleitet, die der Folter verdächtigt wurden. Ihnen wurde vorgeworfen, drei junge Männer während und nach ihrer Inhaftierung 2009 schwer geschlagen zu haben. Nach Abschluss der Ermittlungen im Dezember wurden die beiden Polizisten der "Willkür im Dienst" angeklagt.

  • Im Oktober 2010 befand das Bezirksgericht Tirana den Polizeibeamten Vlash Ashiku für schuldig, 2008 während seiner Dienstzeit Tomor Shehu mit der Faust ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen zu haben. Er wurde wegen "Willkürakten" zu einer geringen Geldstrafe (15 US-Dollar) verurteilt.

Der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) besuchte Albanien im Mai, um Maßnahmen zur Umsetzung seiner früheren Empfehlungen zu prüfen.

Haftbedingungen

Trotz der Renovierung einiger Polizeistationen waren die Haftbedingungen in vielen Polizeistationen nach wie vor sehr hart. Häufig fehlte es an separaten Räumlichkeiten zur Unterbringung von Frauen und Kindern. Bei den Haftbedingungen in Gefängnissen und Untersuchungsgefängnissen gab es 2010 einige Verbesserungen. So wurde mit dem Bau von zwei neuen Untersuchungsgefängnissen begonnen, und in mindestens fünf Gefängnissen wurden Bildungsprogramme gestartet. In sechs Haftanstalten wurden spezielle Abteilungen für Häftlinge mit psychischen Erkrankungen oder Drogenabhängigkeit eingerichtet.

Das Problem der Überfüllung wurde durch die Entlassung von über 1000 Häftlingen auf Bewährung gemildert. Es herrschten jedoch weiterhin große Probleme, die häufig mit dem baufälligen Zustand einiger Gefängnisgebäude in Zusammenhang standen. Im April bezeichnete die Ombudsperson die Haftbedingungen in der Abteilung für weibliche Untersuchungsgefangene im Gefängnis 313 als schlecht. Es wurden dort Feuchtigkeit, mangelhafte Heizungs- und Sanitäranlagen sowie Ungezieferbefall festgestellt.

Recht auf angemessenen Wohnraum

Nach albanischem Recht gehören obdachlose registrierte Waisen bis zum Alter von 30 Jahren zu den schutzbedürftigen Gruppen, die bei der Vergabe von Sozialwohnungen Vorrang genießen. Dieses Gesetz wurde jedoch nicht umgesetzt. Viele von ihnen, darunter auch junge Menschen, die in staatlichen Fürsorgeheimen aufgewachsen waren, aber keinen offiziellen Waisenstatus hatten, mussten weiterhin in Schlafsälen aufgegebener, baufälliger Schülerwohnheime leben oder darum kämpfen, eine einfache private Unterkunft mieten zu können. Das geforderte Einkommen, um am sozialen Wohnungsbauprogramm teilnehmen zu können und staatlich geförderte Hypotheken zu bekommen, war für diese Gruppe zu hoch angesetzt. Ein Projekt des sozialen Wohnungsbaus, das durch ein Darlehen der Entwicklungsbank des Europarats gefördert wurde und den Bau von 1100 Mietwohnungen für einkommensschwache Familien vorsah, war Ende 2010 noch nicht abgeschlossen.

Amnesty International: Mission und Berichte

Eine Delegierte von Amnesty International besuchte Albanien im November.

Ending domestic violence in Albania: The next steps (EUR 11/001/2010)

In search of shelter: Leaving social care in Albania (EUR 11/004/2010)

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