Amnesty Journal 26. März 2019

Deutsche Museen: Forscher und NGOs wollen neuen Umgang mit Raubgut

Auf einem Thron sitzt ein König, ein Mann mit Hut daneben stellt seinen Fuß darauf

Als angebliche Schenkung an den deutschen Kaiser kam der Thron des kamerunischen Königs Njoya 1908 nach Berlin.

Die deutsche Kulturpolitik steht unter Druck. Wenige Monate vor Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin fordern Forscher und NGOs eine schnelle Rückgabe von Kulturgütern – und eine breite Rückendeckung der Politik.

Von Uta von Schrenk

 

Man ist unter sich an diesem Abend im Berliner Centre Français, mal wieder. Auf dem Podium die Wissenschaftler Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, die für den französischen Präsidenten eine Machbarkeitsstudie über die Restitution afrikanischen Kulturerbes geschrieben haben, im Publikum postkoloniale Aktivisten und Mitglieder der afrikanischen Gemeinde Berlins.

Eingeladen hat die Berater Emmanuel Macrons jedoch keineswegs das politische Berlin, sondern eine Bürgerinitiative – Berlin Postkolonial. Dabei sahen sich die Staatsministerinnen für Kultur im Auswärtigen Amt und Bundeskanzleramt, Michelle Müntefering und Monika Grütters, durchaus bemüßigt, auf den französischen Bericht zu reagieren und "markante Schritte" zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte sowie "Lösungen bis hin zu Rückgaben" in Aussicht zu stellen.

Die deutsche Kulturpolitik steht unter Druck, seitdem Macron im Frühjahr 2018 konkrete Restitutionen angekündigt hat. Erheblich zu diesem Druck beigetragen hat aber auch die für Ende des Jahres erwartete Eröffnung des Humboldt-Forums – ausgerechnet im dann wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss des letzten deutschen Kaisers und obersten Kolonialherren. Kern des kulturellen Prestigeobjekts wird eine der größten deutschen ethnologischen Sammlungen sein, darunter Tausende koloniale Kulturgüter. Die Sammlung umfasst 25.000 Objekte des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst.

Wie aber den Ruch einer "kolonialen Trophäenschau", so postkoloniale Kritiker, loswerden? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und damit verantwortlich für die Sammlungen, versucht es mit der Flucht nach vorn. "Wir wollen Objekte bei der Eröffnung des Humboldt-Forums zeigen, von denen wir jetzt schon wissen, dass wir sie danach zurückgeben werden." Ein Teil der Ausstellung soll sich mit dem Maji-Maji-Krieg und der Kolonialgeschichte Tansanias beschäftigen. Er wurde mit tansanischen Partnern gemeinsam kuratiert. Dieser Krieg sei "eines der blutigsten Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, aber hier kaum bekannt", sagt Parzinger.

Eine "tabula rasa"

Es gibt in Deutschland weitaus mehr als die tansanischen Objekte, die das Humboldt-Forum zeigen will. Hier lagern Tausende afrikanischer Kulturgüter in Museumsdepots, in öffentlichen wie privaten Sammlungen oder werden auf Kunstauktionen gehandelt. Dort, in Namibia, Tansania oder Kamerun, stehen einstige Königspaläste leer, fehlen rituelle Gegenstände für Zeremonien oder sind historische Begebenheiten in Vergessenheit geraten, weil es nichts mehr gibt, das an sie erinnert.

"Wir fordern die schnellstmögliche Rückgabe aller Kulturgüter, die eine rituelle oder religiöse Bedeutung haben", sagt Moctar Kamara, Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland. "Es kann nicht sein, dass ein Afrikaner nach Berlin kommen muss, um etwas über seine Geschichte zu erfahren." Die europäischen Kolonialisten haben in Afrika "tabula rasa" gemacht, sagt Kamara, "sie haben für die völlige Zerstörung afrikanischer Kultur gesorgt" – und alles, was gefiel, mitgehen lassen, ob mit Gewalt, sanftem Druck oder findigem Handel. "Wir müssen uns unsere eigene Kultur zurückerobern", sagt Kamara, "und das geht nicht ohne die Benin-Bronzen oder den Königsthron aus Kamerun und andere kulturell oder rituell bedeutende Objekte".

Dass in der Debatte um die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter immer wieder nur wenige prominente Beispiele genannt werden, kommt nicht von ungefähr. Zum Großteil wissen die afrikanischen Staaten nicht einmal, was sie zurückfordern könnten. Denn es fehlt an Überblick, was geraubt wurde. Dieses Wissen hüten bislang die europäischen Museums- und Sammlungsbeauftragten – wenn überhaupt. Denn auch hier fehlt es an Überblick, was in den Depots vorhanden ist. "Extrem intransparent" sei der bisherige Umgang mit den kolonialen Sammlungen, beklagt der Historiker Christian Kopp von Berlin Post­kolonial.

Insofern ist das Brisante an dem Bericht, den die deutsch-französische Kunsthistorikerin Savoy und der senegalesische Ökonom Sarr in Auftrag des französischen Präsidenten verfasst haben, nicht die Empfehlung, das geraubte afrikanische Kulturerbe zurückzugeben. Das hat eine französische Regierungskommission bereits 1980 empfohlen.

Geteiltes Herrschaftswissen 

Es ist der 9.000-seitige Anhang, den die Kunsthistorikerin und der Ökonom dem Präsidenten zur baldigen feierlichen Übergabe an jene afrikanischen Staaten empfehlen, die einst französische Kolonien waren. Tausende Seiten Inventarlisten französischer Museen über geraubte afrikanische Kulturgegenstände wären somit geteiltes Herrschaftswissen. Unmittelbar nach Lektüre des Berichts, der bereits einige prominente Kulturgüter auflistet, bereiten die ersten afrikanischen Staaten Rückgabeforderungen vor. "Diese maximale Transparenz ist ein wichtiger Teil des Berichts", sagt Christian Kopp, "Vorbedingung für eine Diskussion ist das Wissen darum, wo welche Objekte liegen".

Die Frage, ob der französische Regierungsbericht als Blaupause auch für Deutschland taugt, wird unter Museumsmitarbeitern, Forschern und Kulturpolitikern nun eifrig diskutiert. Immerhin hatte die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgelegt, die Rolle Deutschlands im Kolonialismus aufzuarbeiten. "Der Bericht von Savoy und Sarr hat da eine Bresche geschlagen", sagt Larissa Förster. Die Ethnologin, die zur Provenienz afrikanischer Kulturgüter forscht und mit Kollegen in einem Appell eine umfassende Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus fordert, wünscht sich dringend "mehr Geschwindigkeit in der Sache".

Sie begrüßt daher die gemeinsamen Eckpunkte der Kulturminister der Länder, Vertreter des Bundes und der kommunalen Spitzenverbände zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. "Es kann doch nicht den einzelnen Sammlungsverantwortlichen oder Sammlungen abverlangt werden, die moralisch-ethische Entscheidung für oder wider eine Rückgabe alleine zu tragen", sagt Förster. Da brauche es schon eine breitere Rückendeckung der Politik. Schließlich seien Bund, Länder und Gemeinden Träger der öffentlichen Museen und Sammlungen und damit entscheidungsbefugt – egal, ob es sich um konkrete Rückgaben oder um die Bewilligung von Geldern für nötige Provenienzforschung handele.

Nicht bei null beginnen

"Die Erforschung der Provenienzen ist nur langfristig zu leisten", betont Parzinger. Bestände müssen gesichtet, die Herkunft fraglicher Objekte geklärt, Inventarlisten veröffentlicht werden – eine Aufgabe von Jahrzehnten. "Es kann nicht sein, dass nun wieder zehn Jahre Provenienzrecherche betrieben und erst dann gehandelt wird", sagt Kopp. Schließlich müssten die Forscher ja nicht bei Null beginnen, viele Objekte lagerten in den Sammlungen unter dem Stichwort "Kriegsbeute".

"Die Rückgaben müssen sukzessive laufen, und die Verhandlungen darüber schnellstmöglich beginnen, selbst wenn dann im ersten Jahr nicht gleich Hunderte von Objekten restituiert werden könnten." Ohnehin, sagt Kopp, müsse in vielen Fällen nicht mehr recherchiert werden, die Sachlage sei klar. Es fehle vielmehr an politischem Willen zur Rückgabe.

Seit Juni 2017 fordert etwa der namibische Staat von Deutschland die Wappensäule vom Kreuzkap zurück. Das ursprünglich portugiesische Herrschaftszeichen, für Namibia Beweis kolonialer Landnahme, wurde von den deutschen Kolonialherren in ihre Heimat verbracht, nachdem sie das afrikanische Gebiet für sich beansprucht hatten. Die Wappensäule steht heute im Deutschen Historischen Museum. Eine Rückgabe wurde jetzt angekündigt. 

Weitere Artikel