Amnesty Journal 25. September 2012

Quälen mit System

Schriftzug "Stop Folter", Folter dabei durchgestrichen

Wo? Wer? Wie? Was dagegen tun? Mit "Folter" legt Manfred Nowak, der ehemalige UNO-Sonderbericht­erstatter über Folter, einen hellsichtigen Überblick seiner sechsjährigen Arbeit vor.

Von Maik Söhler

Die überwältigende Mehrheit der Folteropfer sind einfache und überwiegend arme Menschen" – Manfred Nowaks Resümee über seine Tätigkeit als UNO-Sonderberichterstatter über Folter fällt nüchtern aus. Mit "Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren" hat Nowak, der eine Professur für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien innehat, nun ein Buch vorgelegt, das weit mehr ist als ein Bericht über sechs Jahre Arbeit für die UNO. "Auch wenn die Folter für alle Staaten dieser Welt absolut verboten ist, so habe ich dennoch in 17 von 18 Staaten, also in mehr als 90 Prozent aller Staaten, Folter feststellen können", heißt es zusammenfassend. 18 Staaten hat Nowak in offizieller Mission zwischen 2004 und 2010 besucht, und allein Dänemark (inklusive Grönland) zeichnet sich durch "die völlige Abwesenheit von Folter" sowie die mit Abstand besten Haftbedingungen für Strafgefangene aus. Im stärksten Kontrast zum Vorbild Dänemark stehen Nepal und Äquatorialguinea, denen der Autor eine "systematische Praxis der Folter" bescheinigt.

Folter besteht aus der Perspektive Nowaks nicht allein aus dem physischen (Schläge, Misshandlungen mit Hitze, Strom, Werkzeugen, etc., sexuelle Gewalt, Andeuten des Erstickens) oder psychischen (Schlafentzug, grelles Licht, Lärm, Ausnutzung von Phobien, Isolationshaft, etc.) Quälen eines Gefangenen. Sie tritt schon dort auf, wo das Opfer dauerhaft entmenschlicht, in Ohnmacht und Hilflosigkeit gehalten wird. Der Übergang von struktureller Gewalt zur Folter in Gefängnissen ist fließend, auch das zeigt Nowaks Buch.

Neben Staaten wie Georgien, Indonesien und Jamaika hat sich der Berichterstatter auch Österreich und Griechenland vorgenommen. Über Österreich schreibt Nowak ausnahmsweise nicht als UNO-Sonderberichterstatter; hier beschreibt er die Misshandlung und Folterung des mit einer Österreicherin verheirateten Gambiers Bakary Jassey durch Polizisten der Wiener Sondereinheit Wega – ein Fall, der einzigartig ist und doch ein Schlaglicht auf den Umgang österreichischer Behörden mit Flüchtlingen wirft. In Griechenland werden Prinzipien und ­daraus folgende Menschenrechtsverletzungen untersucht, die aus dem derzeitigen europäischen Asylrecht resultieren.

Nowaks Buch gewinnt seine Stärke aus einer exakten und pointierten Beschreibung der Realität in Gefängnissen aus aller Welt. Gleichzeitig schärft er den Blick auf die Verhältnisse, die über nationale Straf- und Gefängnissysteme hinausgehen: "Viele Gesellschaften und insbesondere solche, in denen Religion eine wichtige Rolle spielt, tun sich sehr schwer, sich vom Vergeltungsstrafrecht zu verabschieden und sich einem modernen, an den Menschenrechten orientierten Strafrechts- und Gerechtigkeitsdenken zuzuwenden."

Manfred Nowak: Folter. Die Alltäglichkeit des Unfassbaren. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2012. 240 Seiten, 22 Euro.

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Kultur

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