Amnesty Journal 28. Januar 2010

Jeder wird zur Kampfmaschine

Screenshot aus "Metal Gear Solid 4"

Screenshot aus "Metal Gear Solid 4"

Kriegsspiele sind schon immer ein Teil der Videospielszene. Doch inzwischen haben sie eine neue Qualität erreicht: Der hoch technisierte, moderne Kampf wird zum ästhetischen Erlebnis – und zum Kassenschlager. Ein kritischer Blick auf ein verstörendes Phänomen.

Von Thomas Lindemann

Hinter einem umgeknickten Maschendrahtzaun erreicht man es: Ein Elendsviertel von Rio de Janeiro. Schlecht verputzte Klinkerwände und Wellblechdächer in verschiedenen Farben sind mit Liebe zum Detail dargestellt. In den Häuschen hängen Lampen vom Trödel, manch ein Bett wurde aus Holzpaletten und Bierkisten improvisiert. Auf einem Betonkübel leuchten Kinderzeichnungen. Die Bilder sind erstaunlich für ein Videospiel – die Szenerie stammt aus "Call of Duty: Modern Warfare 2".

Zeit, die Schönheit der Bilder zu genießen, lässt das neue Spiel aber nicht: Hinter den einfachen Holztüren und den niedrigen Mauern lauern Vermummte und Guerilleros, die den Spieler gnadenlos angreifen und die er komplett niederschießen muss. Eine traurige Armee der Armut, die mit ihren Karohemden und Kopftüchern eher wie Szene-DJs aussehen. Bei diesem Kampf werden am Anfang auch unbeteiligte Zivilisten getroffen, andere laufen gebückt und verängstigt davon – das Ganze erinnert fatal an die Bilder von echten Polizeieinsätzen in den Slums von Rio und zeigt den brutalen Realismus des Spiels.

"Modern Warfare 2", der neue Teil der Kriegsspiel-Reihe "Call of Duty", erschien im November. Am ersten Tag wurden fünf Millionen Spiele verkauft und über 300 Millionen Dollar umgesetzt. Das gab es noch nie. Das Spiel war der Erfolg des Jahres und ein Teil der Massenkultur. 2009 war überhaupt das Jahr der spektakulären Kriegsspiele. "Operation Flashpoint" und "Operation Anchorage" schickten Fans in die Schlacht gegen die Chinesen, "Killzone 2" gegen Aliens. Sie alle zelebrieren das moderne, hochtechnisierte Militär.

Widersprüchliche Emotionen
Das Beklemmende ist nicht, dass ein Spiel den Krieg darstellt – davon gibt es längst Hunderte. Sondern ausgerechnet dieses ­Videospiel ist das Beste unter den aktuellen. Eine spielerische Qualität wird man selbst als Pazifist anerkennen müssen. Das Dilemma besteht darin, dass es wirklich Spaß macht. Das Spiel löst widersprüchliche Emotionen aus. Solche Zweifel an der eigenen Wahrnehmung sind nicht neu. Gewalt gehört immer schon zu Medien. Am Ende von Homers Odyssee ermordet der Titelheld grausam die Schnorrer, die sich bei seiner Frau eingenistet haben. Auch moderne Kunstwerke sind oft brutal – jedenfalls gilt "Der Pate" nach wie vor als Filmklassiker.

Doch bleibt ein Unbehagen über die Leichtigkeit, mit der in aktuellen Videospielen die Kriegsmaschinerie zur Unterhaltung wird. Spiele wollen als vollwertige Kulturprodukte ernst genommen werden. Dann darf man sich aber wundern, warum sie sich so affirmativ zu High-Tech-Kriegen stellen, zum Beispiel auch zu dem, der gerade als "Kundus-Affäre" Deutschland bewegt.

Das beste aktuelle Spiel ist auch das fragwürdigste
In einem Kapitel von "Modern Warfare 2" muss der Spieler als Undercover-Agent mit den Terroristen arbeiten, die Hunderte Reisende in einem Flughafen umbringen. Dieses Kapitel des Spiels ist eine gezielte Provokation und hat ihm viel Aufmerksamkeit verschafft. Viel fragwürdiger ist eigentlich ein anderer Abschnitt, in dem man im Schneesturm eine ganze Militärbasis ausschaltet – zu zweit.

Zweimal in diesem Spiel wird der Spieler aber auch selbst Opfer von Kriegsverbrechen. Er tritt auf einen vermeintlichen Verbündeten zu, wird niedergeschossen, in eine Grube geworfen und verbrannt. Alles aus der Ich-Perspektive dargestellt – eine grausame Szene ungewöhnlicher Art. Dadurch wird das Kriegsspiel noch nicht zum Anti-Kriegsspiel, aber es nimmt der Sache viel ihrer Eindimensionalität. Am Ende des interaktiven Kriegs steht die Idee, dass es im Kampf weder Gut noch Böse gibt.

Die nervenaufreibende Konsequenz, mit der ein Spieler in eine hektische Kriegsmaschinerie hineinzieht, zeigte zuerst "Killzone 2" von Sony, das erste Stahlgewitter des Jahres 2009. Es war als Science-Fiction-Krieg gegen Aliens aufgemacht, aber mit Gasmasken und knatternden Sturmgewehren am Ersten Weltkrieg geschult. Seine Story speiste sich aus Patriotismus, Schwarzweißdenken und archaischem Chauvinismus des Stärkeren. Ideen und Haltungen, die wir überwunden glaubten.

Darf Gewalt unterhalten?
Dürfen Gewalt und Aggression als Bühne für Unterhaltungsmedien dienen? "Hält man sich das Leid der Opfer in Kriegen vor Augen, scheint dies verwerflich", sagt Martin Lorber, Pressesprecher bei Electronic Arts, einem der größten und wichtigsten Spiele-Hersteller. "Doch wie alle Medien greifen auch Computer- und Videospiele das auf, was in der Welt geschieht und verarbeiten dies. Dabei fließen alle möglichen Themen ein. Natur, Freundschaft, Liebe, aber auch so unschöne Dinge wie Aggression, Gewalt und Krieg", sagt Lorber. "Wollte man letztere ganz und gar von einer medialen Verarbeitung ausschließen, müsste man sie auch aus den Nachrichten, der Antikriegsliteratur, vielen Kunstwerken, Theaterstücken, Opern und mehr verbannen."

Bei Electronic Arts erscheint im März "Battlefield Bad Company 2", ebenfalls ein technisch ausgefeiltes Kriegsspiel, das allerdings als eine Art virtueller Mannschaftssport im Internet gedacht ist. Es wird wieder für Aufsehen sorgen, da es sich so überzeugend am modernen Krieg orientiert.

Kriegsspiele schlicht immer verwerflich zu nennen, wäre wohl verkürzend. Aber man muss im Moment eine Hinwendung der Spielekonzerne zu besonders martialischen Materialschlachten feststellen – eine etwas traurige Zeitdiagnose.

Kluge Kriegsspiele – kein Widerspruch in sich
Denn es geht auch anders. 2008 erschien mit "Metal Gear Solid 4" eine Art nachdenkliches Kriegsspiel, das den Spieler immer wieder in ausweglose Situationen warf. Er steuert darin einen alternden Soldaten, der nicht gewinnen kann, und sich daher verstecken muss, schleichen, einfach nur trickreich entkommen. Der Krieg wurde dort von Konzernen der Zukunft geführt, ohne Patriotismus, er zeigte nur noch das Elend sinnlosen Tötens. Das Spiel war ein Riesenerfolg – allerdings vor allem in Fernost. Es wandte die Mittel der Science Fiction so an, wie große Science-Fiction-Literatur das immer tat: Zur Kritik an der Welt.

Der Autor ist Kulturjournalist und lebt in Berlin.

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