Amnesty Journal Pakistan 06. Februar 2009

Die Schuld, eine Frau zu sein

Pakistan
Mukhtaran Mai war 30 Jahre alt, als sie im Juni 2002 in Pakistan vom Ältestenrat ihres Dorfes dazu verurteilt wurde, von vier Männern vergewaltigt zu werden. Sie wurde bestraft, weil ihr damals zwölfjähriger Bruder angeblich die Ehre einer einflussreichen und sozial höher stehenden Familie verletzt hatte. Derart angeordnete Gruppenvergewaltigungen sind in Pakistan kein Einzelfall. Meist werden sie jedoch stillschweigend hingenommen und gelangen nie an die Öffentlichkeit.

Mukhtaran Mai, die aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammt und weder lesen noch schreiben konnte, hat die ihr zugewiesene Opferrolle nicht angenommen. Anstatt sich umzubringen oder sich still in die soziale Ächtung zu fügen, wie es in solchen Fällen von den Frauen erwartet wird, wehrte sie sich – öffentlich und rechtlich. Sie brachte die Täter vor Gericht. Ihr Fall wurde national und international bekannt. Sie blieb trotz Drohungen in ihrem Dorf wohnen und von der Entschädigung, die sie vom Staat erhielt, baute sie zwei Schulen und gründete eine Frauenhilfsorganisation. Sie will etwas verändern: "Nur Bildung kann verhindern, dass so etwas passiert", sagt sie und meint die tägliche Gewalt gegen Frauen und Kinder in Pakistan.

Pakistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Analphabetenrate weltweit. Rund 30 Prozent der Männer und sogar 73 Prozent der Frauen können nicht lesen und schreiben. Bildung wird besonders bei den ländlichen Bevölkerungsgruppen als Luxus gesehen, denn die Kinder müssen schon früh zu Hause mitarbeiten. Viele Eltern können sich die Schulgebühren nicht leisten. Mit fatalen Folgen: Menschen mit nur geringer Schulbildung sind den pakistanischen Feudalstrukturen sowie Willkür und Gewalt häufig schutzlos ausgeliefert. Das offizielle Rechtssystem stellt für sie eine unüberwindbare Hürde dar. Sie verstehen weder das Gesetz, noch wissen sie, wie man Rechtsbeistand bekommen kann.

Umso beeindruckender sind der Mut und die Beharrlichkeit von Mukhtaran Mai. Ihr Engagement für Mädchen und Frauen vermittelt eine hoffnungsvolle Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben. Mehr als 250 Mädchen und 160 Jungen haben mittlerweile ihre Schulen besucht. Mukhtaran Mai selbst sitzt in der fünften Klasse.

Von Heike Köhn

Weitere Artikel