Aktuell Indien 09. Juni 2010

Indien: Erste Schuldsprüche zur Katastrophe in Bhopal - zu wenig, zu spät

Verfallende Anlage auf dem Gelände der Firma Union Carbide in Bhopal, Indien, 2002.

Verfallende Anlage auf dem Gelände der Firma Union Carbide in Bhopal, Indien, 2002.

7. Juni 2010 - Nachdem am Montag sieben indische Staatsbürger aufgrund der Union-Carbide-Gaskatastrophe von 1984 verurteilt wurden hat Amnesty International die indische und US-amerikanische Regierung aufgerufen, auch die Union Carbide Corporation (UCC) mit Sitz in den USA zur Rechenschaft zu ziehen.

Sieben indische Staatsangehörige, die früher für das indische Unternehmen Union Carbide India Ltd (UCIL) arbeiteten, wurden von dem Gericht in Bhopal der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden: ein Schuldspruch, auf den maximal zwei Jahre Haft stehen.

"Zu wenig, zu spät"

"Es sind historische Urteilssprüche, aber es ist zu wenig und es ist zu spät. 25 Jahre auf das Ergebnis eines Strafprozesses zu warten, ist für die Überlebenden der Katastrophe und die Angehörigen der Toten eine inakzeptable Zeitspanne", sagte Audrey Gaughran, Leiterin der Abteilung Global Issues bei Amnesty International.

Verfallende Anlage auf dem Gelände der Firma Union Carbide in Bhopal, Indien, 2002.

Verfallende Anlage auf dem Gelände der Firma Union Carbide in Bhopal, Indien, 2002.

Mehr als 25 Jahre nach der Katastrophe wurde das Gebiet noch immer nicht gereinigt und das Leck und seine Auswirkungen wurden noch immer nicht genau untersucht. Mehr als 100.000 Menschen leiden weiterhin an gesundheitlichen Problemen, ohne die notwendige medizinische Versorgung zu erhalten, und Überlebende warten noch immer auf eine angemessene Entschädigung und volle Wiedergutmachung für ihre Leiden.

Verantwortliche entziehen sich der Justiz

Gegen die Firma UCC mit Sitz in den USA und ihren ehemaligen Vorsitzenden, Warren Anderson, wurde im Jahr 1987 Anklage erhoben. Allerdings haben sich beide geweigert, vor Gericht zu erscheinen.

"Während die indischen Mitarbeiter nun angeklagt und verurteilt wurden, konnten sich die ausländischen Beschuldigten der Justiz entziehen, indem sie einfach im Ausland blieben. Das ist völlig inakzeptabel", sagte Audrey Gaughran.

Kinder fördern Wasser aus einem verseuchten Brunnen in Bhopal, 2004.

Kinder fördern Wasser aus einem verseuchten Brunnen in Bhopal, 2004.

Die UCC mit Sitz in den USA ist seit 2001 eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von The Dow Chemical Company (Dow). Überlebende und Menschenrechtsgruppen setzen sich dafür ein, dass sich Dow mit den laufenden Auswirkungen der Katastrophe befasst, einschließlich der Verunreinigung des Wassers durch chemische Abfälle. Aber das Unternehmen hat die Aufrufe immer wieder ignoriert und jede Verantwortung für die UCC-Verpflichtungen in Bhopal geleugnet.

Indien und USA müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen

"Allzu oft erweisen sich komplexe Unternehmensstrukturen und die Tatsache, dass die Unternehmen über mehrere Gerichtsbarkeiten hinweg tätig sind, als Haupthindernisse bei dem Versuch, sie zur Rechenschaft zu ziehen", sagte Audrey Gaughran. "Die Verurteilung der indischen Angeklagten reicht in diesem Fall eindeutig nicht aus – die Regierungen von Indien und den USA müssen sicherstellen, dass die ausländischen Angeklagten, einschließlich UCC, ebenfalls vor Gericht gestellt werden."

Der massive Gasaustritt tötete in den ersten Stunden und Tagen 7.000 bis 10.000 Menschen, und weitere 15.000 in den folgenden 20 Jahren. Mehr als 100.000 leiden weiterhin unter schweren gesundheitlichen Problemen.

Opfer warten auf Gerechtigkeit

Die strafrechtlichen Verfolgungen in Bhopal fanden weder innerhalb eines angemessenen Zeitraums statt, noch waren sie effektiv. In den Jahrzehnten zwischen den ersten Verhaftungen und der Strafverfolgung starben Tausende von Menschen an den aus dem Gasaustritt resultierenden Erkrankungen.

Der indische Staat ist seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachgekommen, da er die Strafverfolgung über Jahre andauern ließ und sowohl Opfern als auch Angeklagten das Recht auf eine zügige Feststellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit vorenthielt.

Alle Bemühungen um die Auslieferung von Warren Anderson blieben erfolglos. UCC widersetzt sich weiterhin der indischen Gerichtsbarkeit und kommt den wiederholten Aufforderungen, vor dem Strafgerichtshof von Bhopal zu erscheinen, nicht nach. Dies hat eine strafrechtliche Verfolgung von Anderson und UCC bisher unmöglich gemacht.

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Hintergrund

Am 2. Dezember 1984 entwichen tonnenweise tödliche Chemikalien aus der UCC-Pestizidfabrik in Bhopal in Zentralindien. Rund eine halbe Million Menschen waren ihnen ausgesetzt. Zwischen 7.000 und 10.000 Menschen starben unmittelbar danach, weitere 15.000 über die folgenden 20 Jahre.

Nur wenige Stunden nach der Tragödie wurden gegen neun Personen und drei Konzerne Tatvorwürfe erhoben. Dazu gehörten acht Inder, die für UCIL bzw. die Anlage in Bhopal arbeiteten, und Warren Anderson, US-Staatsbürger und damaliger Vorsitzender von UCC. Die beschuldigten Unternehmen waren UCIL mit Sitz in Indien, die Muttergesellschaft UCC mit Sitz in den USA und UCE, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der UCC mit Sitz in Hongkong, aber amtlich eingetragen in den USA. Die Verhaftungen wurden zügig vorgenommen, obwohl erst im Jahr 1987 Anklagen erhoben wurden.

2005 wurde Dow vom Gericht in Bhopal vorgeladen, der Gerichtsverhandlung beizuwohnen und darüber Rechenschaft abzulegen, warum seine hundertprozentige Tochter und erklärte Schuldnerfirma USS nicht vor Gericht erscheinen solle. Die Dow-Tochtergesellschaft in Indien, Dow Chemical India Private Ltd, erwirkte die Aussetzung der Vorladung.

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