Amnesty Journal Vereinigte Staaten von Amerika 30. Dezember 2013

NSA-Affäre: "Die Über­wachung verletzt Menschen­rechte"

Brasilien und Deutschland fordern Reaktion der UN, nachdem die Überwachung von 35 Regierungschefs durch die NSA bekannt wurde

Brasilien und Deutschland fordern Reaktion der UN, nachdem die Überwachung von 35 Regierungschefs durch die NSA bekannt wurde

Die Art und das Ausmaß der Kommunikationsüberwachung, wie sie von Großbritannien, den USA und anderen Nationen betrieben wird, gibt Anlass zu ernsthaften ­Bedenken bezüglich der Menschenrechte.

Ein Kommentar von Michael Bochenek, dem Leiter der Abteilung "Recht und Politik" im internationalen Amnesty-Sekretariat in London

Seit im Oktober bekannt wurde, dass die US-amerikanische National Security Agency (NSA) weltweit 35 Regierungschefs abgehört hat, ist die internationale Entrüstung über das massive elektronische Überwachungsprogramm weiter gestiegen. Einige der Betroffenen verlangen nicht nur Antworten von Präsident Barack Obama, sondern wollen die Auseinandersetzung darüber auch in der UNO führen. Jede Debatte der UNO zu diesem Thema muss sich darüber im Klaren sein, wie sehr diese Überwachung grundlegende Menschenrechte verletzt. Sie darf sich nicht darauf beschränken, Regierungschefs zu schützen oder grenzüberschreitende Überwachung zu verhindern. Sie muss sich vielmehr mit den Auswirkungen befassen, die diese weitreichenden elektronischen Überwachungsprogramme auf die gesamte Gesellschaft haben.

Die Art und das Ausmaß der Kommunikationsüberwachung, wie sie von den USA, Großbritannien und anderen Nationen betrieben wird, gibt Anlass zu ernsthaften ­Bedenken bezüglich der Menschenrechte. Es ist offensichtlich, dass das Recht auf Privatsphäre nicht respektiert wird, betroffen sind aber auch die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Die Privatsphäre ist essenziell für die Freiheit und Würde eines Menschen. Sie ist entscheidend für seine persönliche Identität, Integrität, Intimität, Autonomie und Kommunikation, und sie ist von entscheidender ­Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt. Jegliche Maßnahmen, die in die Privatsphäre eingreifen, müssen im Verhältnis stehen zu dem legitimen Ziel, das sie ver­folgen. Die jeweiligen Rechtfertigungen müssen von Gerichten und Parlamenten transparent, konsequent und unabhängig kontrolliert werden.

Selbst wenn die individuelle Kommunikation nicht überwacht wird, können die ­Daten, die massenhaft aus den verschiedensten Quellen gesammelt werden, so zusammengesetzt werden, dass die individuelle Privatsphäre auf alarmierende Weise verletzt wird. So lässt sich ein sehr genaues Bild gewinnen vom Privatleben einer Person, ihrem sozialen Umfeld, ihrem Tagesablauf, ihrem Gesundheitszustand, ihren politischen Ansichten, etc. Wenn wir persönliche Informationen an Unternehmen weitergeben, können wir die Geschäftsbedingungen einsehen, unter denen wir unsere Daten offenlegen. Wenn Regierungen das Internet jedoch flächendeckend überwachen, scheint es keinerlei Bedingungen zu geben. Unsere Privatsphäre ist offenbar zum Abschuss freigegeben.

Anders gesagt: Stellen Sie sich vor, ein Regierungsmitarbeiter sitzt in Ihrem Wohnzimmer, blättert durch Ihre Aufzeichnungen, schaut den E-Mail-Verkehr des Tages durch und notiert die besuchten Webseiten. Würden Sie sich dabei nicht unwohl fühlen? Einigen mag das egal sein. Doch in meinem Arbeitsbereich ist diese Vorstellung sehr bedrohlich. Wir wissen, dass die Regierungen die gesammelten Informationen regelmäßig an ihre Verbündeten weiterleiten. Was, wenn Teile der Unterhaltung, die ich gestern mit einer Anwältin in einem anderen Land führte, ihrer Regierung ­bekannt werden? Was wenn diese Regierung bereits lange einen Grund sucht, um die Arbeit der Menschenrechtsanwältin zu unterbinden? Selbst wenn ihre Regierung derzeit nicht repressiv reagiert, wie sieht es in zehn Jahren aus?

Wir haben es hier mit schwerwiegenden Gefahren für die Menschenrechte zu tun. Sie erfordern eine ernsthafte Reaktion, um sicherzustellen, dass persönliche Frei­heiten künftig nicht mehr durch massenhafte Überwachungsprogramme beschnitten werden. Die Staaten müssen ihr Vorgehen einer eingehenden Prüfung unterziehen und ehrlich über die Risiken sprechen, die sie eingehen. Sie müssen sich dazu verpflichten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Datenschutz und Sicherheit einzuhalten, das die grundlegenden menschlichen Freiheiten angemessen würdigt.

Den ungekürzten Originaltext in englischer Sprache finden Sie auf www.amnesty.org

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