Amnesty Journal Syrien 25. Juli 2011

Aufstand gegen Assad

Mit größter Brutalität versucht die syrische Regierung von Baschar al-Assad, die landesweite Rebellion zu unterdrücken.

Von Larissa Bender

Während die Fernsehzuschauer die Revolution auf dem Kairoer Tahrir-Platz zeitweise in einer 24-Stunden-Übertragung mitverfolgen konnten, stellt sich die mediale Situation in Syrien gänzlich anders dar. Schon kurz nach Beginn der ersten Proteste wurden nahezu alle ausländischen Journalisten des Landes verwiesen. Inländische Journalisten, die objektiv über die Demonstrationen berichteten, wurden bedroht und sogar misshandelt. Überraschend hatte die Regierung zwar bereits im Februar das seit langem bestehende Verbot von Facebook und YouTube aufgehoben. Dabei war sie sich der Bedeutung dieser Medien für die Aufstände der sogenannten Facebook-Generation durchaus bewusst. Was als Zugeständnis an die Bevölkerung ausgegeben wurde, diente in Wirklichkeit nur dazu, dem Geheimdienst die Überwachung zu erleichtern.

Der Aufstand begann am 15. März, als es zu ersten Demonstrationen in Damaskus und in Qamischli kam. Größere Protestkundgebungen ereigneten sich in der Kleinstadt Deraa an der Grenze zu Jordanien. Dort hatten Jugendliche, inspiriert durch die Ereignisse in Tunesien und Ägypten, die Parole "Das Volk will den Sturz des Regimes" an Hauswände geschrieben. Sie wurden von den Sicherheitskräften verhaftet und – so heißt es – schwer misshandelt. Die Familienangehörigen demonstrierten daraufhin für die sofortige Freilassung ihrer Kinder, die Sicherheitskräfte reagierten mit größter Brutalität. Als mehrere Tote zu beklagen waren, eskalierte die Situation. Die islamische Tradition, Tote spätestens nach einem Tag zu beerdigen, hat stets große Beerdigungsumzüge zur Folge, in deren Rahmen es wiederum zu Protesten kam. Schon bald wurden auf den Demonstrationen auch politische Reformen und ein Ende der ­Korruption gefordert.

Als die Sicherheitskräfte angesichts der zunehmenden Proteste die Kontrolle verloren, schickte das Regime die dem Bruder des Präsidenten Maher al-Assad unterstehende Vierte Division nach Deraa, die als besonders loyal und brutal gilt. Die Stadt wurde von der Stromversorgung abgeschnitten, das Telefonnetz gekappt, das Wasser abgesperrt. Nachdem das Militär die Stadt schließlich über zehn Tage belagert und dabei Dutzende Menschen getötet und Hunderte verhaftet hatte, legte sich der Protest. Am 6. Mai, dem "Freitag der Herausforderung", bei dem im ganzen Land Hunderttausende auf die Straßen gingen, herrschte in Deraa nahezu Grabesstille.

Als Reaktion auf das brutale Vorgehen der Armee in Deraa forderten die Demonstranten landesweit nun nicht mehr nur Reformen, sondern den Sturz des Regimes. Auf die Versuche des Regimes, durch bewaffnete Schlägerbanden, sogenannte Schabiha, konfessionelle Unruhen zu schüren und Angst zu verbreiten, reagierten die Demonstranten mit den Rufen: "Syrien ist eins!", "Kein Konfessionalismus!" und "Wir sind keine Salafiten und keine bewaffneten Banden!"

Trotzdem geht das Regime unter dem Vorwand, bewaffnete Gruppen zu bekämpfen, in den Hochburgen der Proteste weiterhin mit brutaler Gewalt vor. Auch Banias, Homs, Muaddamia, Anchal und viele andere Städte sind seitdem von der Außenwelt abgeschnitten und von Panzern umstellt. Auf den Dächern werden Heckenschützen postiert, anschließend rückt das Militär ein, durchkämmt Haus für Haus und nimmt alle Männer zwischen 15 und 40 Jahren fest.

Anfang Mai ist nach Angaben von Menschenrechtsorgani­sationen die Zahl der Getöteten in ganz Syrien bereits auf über 900, die der Festgenommenen auf mindestens 11.000 gestiegen. Die tatsächlichen Zahlen dürften jedoch weitaus höher ­liegen. Die Gefängnisse sind völlig überfüllt, die Menschen werden in eigens errichteten Lagern und in Sportstadien untergebracht. Folter ist an der Tagesordnung. Nach Informationen von Amnesty International werden die meisten Gefangenen an unbekannten Orten festgehalten und können weder von ihren Anwälten noch ihren Familien Besuch erhalten. Ein Häftling ­berichtete Amnesty, er sei mit Gewehrkolben, Kabeln und Stöcken geschlagen worden. Ein anderer erzählte, man habe ihm und seinen Mithäftlingen tagelang in überfüllten Räumlich­keiten die Nahrung verweigert, Wasser gab es nur aus einer ­Toilette.

Syriens Präsident Baschar al-Assad, der im Jahr 2000 als Nachfolger seines Vaters zum Präsidenten gewählt wurde, versucht mit aller Härte, die Proteste zu unterdrücken. Dabei galt der in Europa ausgebildete Augenarzt lange Zeit als Hoffnungsträger für ein von der Außenwelt abgeschottetes Land, in dem seit bald vierzig Jahren die sozialistische Baath-Partei regierte. Zum ersten Mal forderten führende Oppositionspolitiker im September 2000 mit dem "Appell der 99" öffentlich die Aufhebung des Ausnahmezustands und politische Reformen. Dies war der Auftakt des sogenannten Damaszener Frühlings, der eine neue Diskussionskultur in Syrien ins Leben rief.

Zugleich erlebte das Land unter dem neuen Präsidenten einen augenfälligen ökonomischen Wandel: Internet und Mobil­funk­netze wurden ausgebaut, ausländische Banken zugelassen, liberale Wirtschaftsgesetze erlassen und das Land für ausländische Investitionen geöffnet. Auch wenn die Korruption zunahm und die Menschen gegen die Vetternwirtschaft der Präsidentenfamilie aufbrachte, entstand in den großen Städten eine neue Mittelklasse, die von der wirtschaftlichen Öffnung profitierte, während die Armut in den ländlichen Gebieten weiter wuchs.

Doch Baschar al-Assad ist heute genauso wie bei seinem Amtsantritt weit davon entfernt, grundlegende politische Veränderungen einzuleiten. Schließlich würde er damit die Herrschaft des gesamten al-Assad-Clans aufs Spiel setzen. Bereits 2001 wurden deshalb die ersten Diskussionsforen wieder geschlossen und etliche Oppositionelle ins Gefängnis geworfen. Auch die vorsichtigen Reformversprechen, die die Regierung ­unter dem Druck der Demonstrationen in den vergangenen Wochen verkündete, ändern nichts an der grundsätzliche Lage.

So beschloss die Regierung Ende März, die seit 1963 geltenden Notstandsgesetze aufzuheben. Das Hohe Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und den rund 250.000 staatenlosen Kurden im Land wurde endlich die Staatsbürgerschaft zuerkannt. Mitte April wurde eine neue Regierung ernannt, die sich jedoch nur unwesentlich von der alten unterscheidet. Diese politischen Zugeständnisse kommen zu spät und sind für die Demonstranten nicht mehr glaubwürdig. Baschar al-Assad hat die gewaltvolle Option gewählt. Die Zukunft des Landes ist völlig offen.

Die Autorin ist Journalistin und Arabisch-Übersetzerin.

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