Amnesty Journal 05. August 2009

Madeleine Afité: "Ich habe einfach keine Angst"

Ein Gespräch mit der Menschenrechtsverteidigerin Madeleine Afité. Die 52-jährige Kamerunerin ist Vorsitzende der 1993 ­gegründeten "Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT-LT)" und gründete später das "Haus der Menschenrechte" in Douala. Sie veröffentlicht regelmäßig Berichte über Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Seit 2001 ist sie eine der fünf Delegierten der ­"Weltorganisation gegen Folter" für Afrika.

Zur Zeit läuft in Kamerun ein Zivilverfahren gegen Sie. Was wird Ihnen vorgeworfen?
In Kamerun ist es üblich, dass die Behörden einen Vorwand suchen, um ihre Kritiker mundtot zu machen. Die Botschaft Großbritanniens kam 2006 auf mich zu und wollte Informationen über einen Kameruner haben, der in England Asyl beantragt hatte. Ich beantwortete ihre Fragen. Erst später erkannte ich, dass dieser Kameruner offensichtlich ein Lockvogel der Regierung war. Er informierte die Behörden, dass ich mit der Botschaft zusammengearbeitet hatte. 2007 erstattete er Anzeige gegen mich wegen "Diffamierung". Seitdem muss ich fast jeden Monat vor Gericht erscheinen. Doch anstatt mir Fragen zu stellen, telefoniert der Richter nur und geht seiner Arbeit nach, und vertagt die Anhörung wieder auf den nächsten Monat.

Sie sind Vorsitzende der "Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT-LT)". Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Aufgrund der vielen willkürlichen Verhaftungen verschwinden Menschen regelrecht in den Gefängnissen. Wir versuchen sie ausfindig zu machen und den Kontakt zu ihren Angehörigen herzustellen. Außerdem bieten wir ihnen juristische Hilfe an. Wir übernehmen auch häufig die Anwaltskosten, da sich viele Kameruner diese nicht leisten können.

Wie sind die Zustände in den kamerunischen Gefängnissen?
Katastrophal und lebensgefährlich. Das 1930 erbaute New-Bell-Gefängnis in Douala zum Beispiel war ursprünglich für 700 Häftlinge konzipiert; zur Zeit sind es zwischen 2.000 und 3.000. Die Häftlinge bekommen zweimal am Tag Essen: jeweils eine Handvoll Reis oder Bohnen. Wem die Familienangehörigen kein Essen ins Gefängnis bringen, muss hungern. Immer wieder kommt es zu Aufständen und Fluchtversuchen. Anstatt die Fliehenden festzunehmen, schießen die Sicherheitskräfte sofort scharf, mit dem Ziel zu töten.

Wie bewerten Sie die Menschenrechtslage in Kamerun generell?
Die Unterdrückung ist allgegenwärtig. Viele Menschen leben in Angst und versuchen, das Land zu verlassen. Es gibt keine ­Gerechtigkeit, stattdessen sind Korruption und willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung. Zwar gibt es seit 2007 eine Strafprozessordnung, die Angeklagten mehr Rechte einräumt. Allerdings wird sie in der Praxis nicht angewendet. Sie dient der ­Regierung lediglich dazu, sich nach außen hin in einem guten Licht zu präsentieren, vor allem gegenüber den Geldgebern wie der EU oder der UNO. Menschenrechtsverteidiger können aber nach wie vor nicht ihrer Arbeit nachgehen. Wir von ACAT-LT ­bekommen regelmäßig anonyme Drohanrufe, die uns davor "warnen", ein bestimmtes Dossier fertigzustellen.

Woher nehmen Sie den Mut, trotzdem weiterzumachen?
Ich weiß es nicht. Ich habe einfach keine Angst. Das scheint eine gottgegebene Gabe zu sein (lacht). Aber natürlich stärkt mich auch die Zusammenarbeit mit Organisationen wie Am­nesty International. Die internationale Aufmerksamkeit ist für mich ein wichtiger Schutz.

Interview: Daniel Kreuz

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