Amnesty Journal Russische Föderation 06. August 2009

Der Traum von einer größeren Kraft

Politische Künstler in Russland sind immer häufiger staatlichen Repressionen ausgesetzt. Der Aktionskünstler Artjom Loskutov wurde Ende Mai verhaftet, sein früherer Mitstreiter Maxim Neroda hat seine Heimat vor vier Jahren verlassen. Ein Gespräch über die Schwierigkeit, in Russland Kunst zu machen.

Maxim Neroda wurde in Swerdlowsk geboren. In Nowosibirsk absolvierte der 28-Jährige eine Fachschule für Radiotechnik. Im Anschluss studierte er drei Jahre lang Radiotechnik an der Technischen Universität in Nowosibirsk. In dieser Zeit schloss er sich der alternativen Kunstszene an. 2003 war er neben Artjom Loskutow einer der Gründer der künstlerischen Gruppe "Zeitgenössische Kunst als Terrorismus" (CAT). 2005 ging er als Kulturmanager der Robert-Bosch-Stiftung nach Dresden und bildete sich dort künstlerisch weiter. Heute lebt Maxim Neroda in Berlin und studiert dort Kulturwissenschaften.

Ihr ehemaliger Mitstreiter, der politische Aktivist und Aktionskünstler Artjom Loskutov, ist Mitte Mai in Nowosibirsk verhaftet worden. Die Vorwürfe lauten Drogenbesitz und Extremismus…
…das ist alles Unsinn. Artjom konsumiert keine Drogen und besitzt auch keine. Und ausgerechnet an dem Tag, als die Polizei ankündigt, ihn abzuholen, hat er Drogen bei sich? Absolut absurd. Die Taktik der Polizei ist eindeutig. Sie wollten die Sache
so schnell wie möglich durchziehen. Dieses Vorgehen ist üblich, Artjom ist da nicht der einzige Fall. Die Polizei muss einfach ­etwas vorweisen können. Da ist das Unterschieben von Drogen eine beliebte Methode. Nein, das was jetzt passiert ist, hat eindeutig politische Gründe. Das ist eine Reaktion auf die Aktionen von Artjom und seiner Gruppe. Die sind immer politischer ­geworden. 2008 trugen sie auf einer Demonstration ein Stück Stoff, darauf stand: "Belehrt uns nicht, sonst belehren wir Euch!"

Auch gegen Sie wurden Vorwürfe erhoben.
In Zusammenhang mit Artjoms Verhaftung erhielt meine Mutter Anfang April einen Anruf. Der Anrufer sagte, dass ihm ein Brief vorläge. Darin stünde, dass ich Satanismus betreibe und Katzen verbrenne. Darauf entgegnete meine Mutter, dass ich schon seit vier Jahren nicht mehr in Russland lebe und dass das daher unmöglich sei. Auch hier zeigt sich, wie die Polizei arbeitet. Die hält es ja nicht einmal für nötig, sich zu erkundigen, wo sich die Verdächtigen aufhalten.

Sie haben mit Artjom Ende 2003 die Gruppe "Zeitgenössische Kunst als Terrorismus", abgekürzt "Cat", gegründet. Was war damals Ihr Anliegen?
Wir hatten die Kunstszene und die politische Szene im Auge. Mit beiden waren wir unzufrieden. Die Kunstszene war total abgeschottet, ein breiter Diskurs existierte nicht. In der politischen Szene war es dasselbe. Rund 30 Personen – Kommunisten, Anarchisten und Nationalbolschewiken – demonstrierten manchmal für soziale Reformen. Doch all diese Gruppen waren hermetisch, und die Formen dieses politischen Protestes unwirksam. Weder die Kunst noch die Politik erreichte die Menschen. Dem wollten wir etwas entgegensetzen.

Wie?
Unser Traum war, gemeinsame Themen zu finden, die alle diese kleinen Subkulturen bewegt, diese zusammen zu bringen und dadurch zu einer größeren Kraft zu machen.

Und wie sahen die Aktionen dann konkret aus?
Die erste fand im Frühjahr 2004 statt und richtete sich gegen den Krieg im Irak. Wir haben die Leute aufgerufen, Kleingeld mitzubringen, und dieses auf dem Kundgebungsplatz zu verstreuen – als Symbol für Kriege, die wegen des Geldes geführt werden. Dann entstand die Idee, am 1. Mai zu demonstrieren. Wir haben Leute eingeladen, Sachen mitzubringen, die völlig sinnlos sind.

Also eine Art Parodie auf die 1. Mai-Parade?
Genau. Bei der Parade in Nowosibirsk traten die offiziellen ­Parteien an, marschierten zum zentralen Platz zu einer großen Kundgebung. Arbeiter einer Schuhfabrik wurden unter Androhung, die Löhne zu kürzen, zur Teilnahme gezwungen. Die
1.-Mai-Demonstration wurde immer als Feier inszeniert, aber es gab nichts mehr zur feiern, nachdem der Kapitalismus gesiegt hatte. Mit der "Monstration", wie wir unsere Aktion nannten, verfolgten wir zwei Ziele: Das eine war, die Demonstration zu entlarven, das zweite, die Machtmechanismen, dass heißt, ­Polizei und Justizapparat bloßzustellen und lächerlich zu ­machen.

Wie fiel die Reaktion auf die "Monstration" aus?
Eigentlich hatten wir nur mit 30 bis 40 Personen gerechnet, doch dann kamen plötzlich 100 Menschen. Insgesamt waren die Leute in zwei Gruppen gespalten, absolut dafür oder absolut dagegen. Das heißt, wir haben polarisiert. Das hat uns gezeigt, dass wir die richtige Stelle getroffen haben.

Eine eurer Parolen war: "Wir müssen wider die Regeln spielen, um etwas zu verändern". Wie sind denn heute die Regeln in Russland?
Die Situation verschlechtert sich. Die Meinungsfreiheit wird immer weiter eingeschränkt. Die staatliche Stelle, die Artjom verhaften ließ, heißt Zentrum zur Bekämpfung des Extremismus. Sie hat den klaren Auftrag, Andersdenkende zu unterdrücken.

In Moskau und anderen Städten geht die Polizei schon seit ­langem massiv gegen Oppositionelle und die alternative Szene vor. In Nowosibirsk war das bislang noch nicht so. Als Sie von Artjoms Verhaftung gehört haben, waren Sie da überrascht?
Eigentlich nicht. Im vergangenen Winter haben wir uns ausgetauscht. Schon da sagte Artjom, dass sich die Repressionen verstärkt hätten und Andersdenkende aus anderen Städten immer häufiger von der Polizei überfallen worden seien und gegen sie ermittelt werde.

Wie haben die Menschen in Nowosibirsk auf Artjoms Verhaftung reagiert?
Immerhin sind 300 Leute zu einer Kundgebung gekommen, um Artjoms Freilassung zu fordern. Darunter waren auch viele junge Leute. Das war übrigens auch eines unserer Ziele: junge Menschen zu politisieren.

Dennoch ist die Opposition in Russland immer noch sehr schwach. Wie erklären Sie sich das?
Eigentlich gibt es für die Opposition keine theoretische Grundlage. Sie kann nicht auf soziale Reformen pochen, nachdem der Sozialismus gescheitert ist. Eine wirkliche Alternative zu dem, was jetzt in Russland existiert, ist für viele nur schwer vorstellbar. In den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die Op­position stärker wird. Ein Beispiel dafür ist der Marsch der Unzufriedenen.

Artjom Loskutow ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß und wartet auf seinen Prozess. Womit rechnen Sie?
Entweder muss Artjom für drei Jahre ins Gefängnis oder er wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In diesem Fall läuft er Gefahr, beim geringsten Verstoß eine noch höhere Strafe zu kassieren. Deshalb muss und wird er vorsichtiger werden.

Interview: Barbara Oertel

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