Amnesty Report Ukraine 20. Mai 2010

Ukraine 2010

Amtliche Bezeichnung: Ukraine Staatsoberhaupt: Wiktor Juschtschenko Regierungschefin: Julija Tymoschenko Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 45,7 Mio. Lebenserwartung: 68,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 18/13 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,7%

Flüchtlinge und Asylsuchende waren von Abschiebung in ihre Herkunftsländer bedroht. Abschiebehäftlinge hatten keine Möglichkeit, Rechtsmittel gegen ihre Inhaftierung und Abschiebung einzulegen. Die Behörden reagierten nicht angemessen auf rassistisch motivierte Straftaten. Auch 2009 gab es Meldungen über Folter und andere Misshandlungen im Gewahrsam der Polizei. Die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen genossen Straffreiheit. Das Recht auf Versammlungsfreiheit war nach wie vor bedroht.

Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden Durch das Fehlen angemessener und fairer Asylverfahren und durch die Abschiebung von Asylsuchenden in Länder, in denen ihnen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohten, verstieß die Ukraine auch 2009 weiterhin gegen das Menschenrecht auf Asyl. Amnesty International brachte der ukrainischen Regierung ihre Besorgnis über vier Fälle von Refoulement zur Kenntnis. Am 25. August traten neue Einreisebestimmungen für Ausländer und Staatenlose in Kraft, nach denen Bürger aus bestimmten Ländern ebenso wie Staatenlose mindestens 12620 ukrainische Hrywna (ca. 1000 Euro) bei sich haben müssen. Die Anwendung dieser Bestimmung auf Asylsuchende ist ein Verstoß gegen das internationale Flüchtlingsrecht und kommt dem Refoulement gleich.

  • Am 31. August 2009 wurden sechs Bürger der Demokratischen Republik Kongo nach der Ankunft am Flughafen Boryspil auf dem Flughafengelände festgehalten und am 2. September über Dubai in ihr Herkunftsland zurückgebracht. Berichten zufolge wurde einer der Kongolesen bei dem Versuch, Asyl zu beantragen, mit Schlägen misshandelt; sein Asylantrag wurde ignoriert, und man verabreichte ihm ein Schlafmittel. Nach Angaben des ukrainischen Grenzschutzes erhalten Bürger der Demokratischen Republik Kongo nur dann eine Einreiseerlaubnis für die Ukraine, wenn sie jeweils mindestens 1000 Euro bei sich haben.

  • Der Generalstaatsanwalt machte von seiner Befugnis Gebrauch, die Rechtmäßigkeit von Gerichtsurteilen zu überprüfen. Er hob Urteile auf, mit denen 15 Asylsuchenden aus Afghanistan, Belarus und Usbekistan der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war. Der Staatsanwalt begründete seine Entscheidung mit dem Fehlen nicht einschlägiger Dokumente wie einer Gesundheitsbescheinigung oder eines Beschäftigungsnachweises im Herkunftsland. Nach Ansicht des UNHCR sind dies keine berechtigten Gründe, den Flüchtlingsstatus zu verweigern. Die Asylsuchenden konnten gegen die Entscheidungen des Generalstaatsanwalts keine Rechtsmittel einlegen.

Folter und andere Misshandlungen sowie Straflosigkeit

2009 trafen erneut Meldungen über Folterungen und andere Misshandlungen durch Angehörige der Ordnungskräfte ein sowie über die Untätigkeit der Behörden, die bei entsprechenden Vorwürfen keine effektiven, unabhängigen Ermittlungen durchführten. Bei 13 zur Ukrainischen Helsinki-Menschenrechtsunion gehörenden Menschenrechtsorganisationen gingen von Januar bis Oktober 165 Folter- und Misshandlungsvorwürfe ein, in mehr als 100 Fällen standen sie im Zusammenhang mit Polizeiaktionen. Die Ukraine hat bereits 2006 das Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert, aber noch immer nicht das im Protokoll vorgesehene nationale Gremium zur Überwachung der Haftzentren eingerichtet.

  • Am 24. März 2009 wurde Vadim Glawatyj vom Bezirksgericht Podil wegen Vergewaltigung und Raubes zu sieben Jahren Haft verurteilt. Sein Berufungsverfahren war Ende 2009 noch anhängig. Berichten zufolge war Vadim Glawatyj seit September 2006 von Beamten der Polizeistation Podil dreimal gefoltert und misshandelt worden, damit er zunächst einen Raub und später auch eine Vergewaltigung gestand. Wegen der erlittenen Verletzungen musste Vadim Glawatyj im Krankenhaus behandelt werden. Im Oktober erklärte die Staatsanwaltschaft Kiew in ihrer Antwort auf ein Schreiben von Amnesty International, es gebe keinen Grund für die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Beamten der Polizeistation Podil. In dem Antwortschreiben hieß es weiter, der Misshandlungsvorwurf gegen Beamte der Polizeiwache werde durch Kollegen derselben Wache intern untersucht.

Rassismus

Nur vereinzelt wurden Maßnahmen gegen rassistisch motivierte Straftaten ergriffen und Schritte zur Veröffentlichung entsprechender Statistiken eingeleitet. Trotz einer am 6. Februar ergangenen gemeinsamen Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft und des Innenministeriums, alle Angaben über derartige Straftaten und die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zu erfassen, lagen am Jahresende noch immer keine entsprechenden Statistiken vor. Rassistisch motivierte Straftaten wurden weiter als "Rowdytum" verfolgt und das rassistische Element der Straftaten nicht anerkannt. Nach Angaben der Diversity Initiative, einer Kooperation lokaler NGOs und internationaler Organisationen, waren bis Oktober 23 rassistische Vorfälle zu verzeichnen. In diesem Zeitraum wurden in sieben Fällen Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen, stets unter der Anklage des "Rowdytums".

  • Drei Asylbewerber aus Somalia berichteten einer Menschenrechtsgruppe in Winnyzja, die diese Aussage auf Tonband aufnahm, sie seien am 28. Februar 2009 von der Polizei verhaftet und auf eine Wache gebracht worden. Dort seien zwei von ihnen von den Beamten geschlagen worden, vermutlich aus Rache für die Entführung ukrainischer Seeleute durch somalische Piraten. Die Bezirksstaatsanwaltschaft Winnyzja wies die Vorwürfe zurück. Der UNHCR erhielt von der Generalstaatsanwaltschaft die Zusicherung, dass die Angelegenheit noch einmal untersucht werde, Ergebnisse wurden jedoch nicht mitgeteilt. Die Menschenrechtsgruppe wurde später inoffiziell darüber in Kenntnis gesetzt, dass die beiden mutmaßlichen Täter nicht mehr im Polizeidienst tätig seien.

Gewaltlose politische Gefangene

Die ukrainischen Gesetze sehen für Häftlinge in Auslieferungshaft keine Möglichkeit vor, Rechtsmittel gegen ihre Inhaftierung und Auslieferung einzulegen.

Am 7. Juli 2009 wies das Bezirksgericht Balaklawa die Berufungsklage von Igor Koktysch gegen seine Inhaftierung bis zur Auslieferung nach Belarus zurück und bestätigte, dass im Auslieferungsverfahren keinerlei Rechtsmittel vorgesehen sind. Igor Koktysch saß seit dem 25. Juni 2007 in der Ukraine in Haft, nachdem die belarussischen Behörden seine Auslieferung beantragt hatten, um ihn wegen Mordes unter Anklage zu stellen. In Belarus steht auf Mord die Todesstrafe. Igor Koktysch war bereits im Jahr 2001 von dieser Anklage freigesprochen und das Urteil am 1. Februar 2002 vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden. Am 11. April 2002 legte die Generalstaatsanwaltschaft von Belarus jedoch Rechtsmittel gegen den Freispruch ein, woraufhin der Fall für ein Wiederaufnahmeverfahren an die niedrigere Instanz zurückverwiesen wurde. Igor Koktysch war in der Opposition aktiv und engagierte sich in einer katholischen Jugendorganisation, die drogenabhängige Jugendliche bei der Rehabilitation unterstützt. Im Oktober 2003 siedelte er in die Ukraine um, wo er weiter den Herausforderer bei der belarussischen Präsidentschaftswahl 2006 unterstützte. Im Oktober 2007 erhob er vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen seine Inhaftierung und Auslieferung. Der Gerichtshof drängte die ukrainische Regierung, ihn nicht an Belarus auszuliefern, bis der Fall überprüft sei. Die Richter wiesen auf die Möglichkeit hin, dass die belarussischen Behörden die Anklage gegen Igor Koktysch konstruiert hatten, um ihn für die friedliche Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung zu bestrafen.

Versammlungsfreiheit

Am 3. Juni 2009 billigte das ukrainische Parlament in erster Lesung den Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz. NGOs hatten kritisiert, dass er nicht internationalen Menschenrechtsstandards entspreche. Dem Entwurf zufolge muss jede Veranstaltung fünf Tage vor dem geplanten Termin angemeldet werden; spontane Kundgebungen sind nicht gestattet; Gewaltanwendung durch die Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden ist ohne Einschränkungen erlaubt. In den Gesetzentwurf wurde dagegen nicht die Verpflichtung des Staats, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, aufgenommen.

["Verschwindenlassen"

]Am 27. Januar begrüßte die Parlamentarische Versammlung des Europarats in einer Resolution die Verurteilung von drei ehemaligen Polizeibeamten wegen der Ermordung des investigativen Journalisten Georgi Gongadze. Die Versammlung rief dazu auf, die Anstifter und Organisatoren des Verbrechens "ohne Rücksicht auf Rang und Position" zur Verantwortung zu ziehen. Georgi Gongadze war am 16. September 2000 spurlos verschwunden, im November desselben Jahres wurde in einem Waldstück bei Kiew seine Leiche ohne Kopf gefunden. Am 23. Juli 2009, neun Jahre nach seinem Verschwinden, wurde der ehemalige Generalleutnant im ukrainischen Innenministerium, Oleksij Pukatsch, verhaftet und wegen Mordes an dem Journalisten Gongadze unter Anklage gestellt.

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