Aktuell Syrien 08. Juni 2011

Syrien: Vereinte Nationen müssen handeln!

Video-Material deutet auf gezielten Einsatz scharfer Munition
Solidaritätskundgebung mit den Menschen in Syrien in New York

Solidaritätskundgebung mit den Menschen in Syrien in New York

6. Juni 2011 – Amnesty International hat das brutale Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen Protestierende am vergangenen Wochenende scharf kritisiert. Berichten zufolge sollen mehr als 120 Menschen seit Freitag erschossen worden sein – dem wohl blutigsten Wochenende seit dem Ausbruch der Proteste Mitte März.

Amnesty International hat die Namen von 986 Todesopfern, die Berichten zufolge von Sicherheitskräften im Zuge der Demonstrationen in den vergangenen elf Wochen getötet wurden, registriert. Tausende wurden festgenommen, viele ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Folter in Gewahrsam ist weitverbreitet, freigelassene Gefangene berichteten der Organisation über schwere Schläge, Folter und Erniedrigungen sowie alarmierende Haftbedingungen. Amnesty hat die Namen von 17 Gefangenen registriert, die offenbar an den Folgen schwerer Folter gestorben sind.

"Das Ausmaß der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste und die Zahl der getöteten Demonstrierenden ist erschütternd", sagte Ruth Jüttner, Syrien-Expertin vom Amnesty International in Deutschland. "Der UN-Sicherheitsrat, der sich auf Initiative seiner europäischen Mitgliedsstaaten voraussichtlich noch in dieser Woche mit der Situation in Syrien befassen wird, darf nicht länger schweigen, sondern muss die brutale Gewalt und die Tötungen verurteilen. Der Sicherheitsrat muss entschieden handeln und die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof zu Ermittlungen überweisen."

Video-Material deutet auf einen gezielten Einsatz scharfer Munition hin

Amnesty International liegt Video-Material vor, welches auf eine Politik des "shoot-to-kill", eines gezielten Einsatzes scharfer Munition, durch die syrischen Sicherheitskräfte bei der brutalen Niederschlagung der Proteste hindeutet. Das Material, das von Kontakten von Amnesty International aus Syrien herausgeschmuggelt wurde, zeigt wie die Sicherheitskräfte auf Protestierende schießen und einprügeln, wie Soldaten bei Nacht die ´Omari Moschee in Dera'a erstürmen und wie mehrere Menschen in Izraa zu Grabe getragen werden.

"Die Syrer, die diese außergewöhnlichen Bilder aufgenommen haben, haben dabei ihr Leben riskiert. Die Bilder dokumentieren das erbarmungslose Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte mit dem Ziel, die Bevölkerung zu terrorisieren und davon abzuschrecken, für politische Freiheiten und Reformen auf die Straße zu gehen," sagte Jüttner. "Angesichts der Unterdrückung einer unabhängigen Berichterstattung und der Einreiseverweigerung für internationale Menschenrechtsorganisationen oder UN-Missionen stellt dieses Video-Material eine einzigartige Dokumentation des schockierenden Vorgehens gegen zumeist friedliche Demonstranten dar."

Das Video-Material, das Amnesty International in voller Länge vorliegt, zeigt verschiedene Szenen:

  • Die Erstürmung der ´Omari Moschee in Dera'a, die als Feldlazarett genutzt wurde, durch das Militär.

  • Soldaten, die Männer in Zivilkleidung nach der Erstürmung der Moschee bewaffnen, Körper auf dem Boden filmen, feiern und rufen "Macht Bilder. Wir haben sie getötet. Sie sind Verräter."

  • Schwerverletzte, möglicherweise Tote, die hastig von den Straßen weggetragen werden.

  • Menschen, die augenscheinlich schwere Kopfverletzungen erlitten haben und in manchen Fällen offenbar an den Verletzungen gestorben sind.

  • Zwei Szenen, in denen uniformierte Mitglieder der Sicherheitskräfte auf verletzte Männer einknüppeln, die auf der Straße liegen.

  • Die Aussage eines Mitarbeiters eines Krankenwagens, der davon berichtet, wie die Armee Menschen daran hindert, sich um Verletzte zu kümmern.

Die Bilder wurden Ende März und im April in und um die Stadt Dera’a aufgenommen. Sie zeigen das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung der Proteste, welches in Städten wie Banias, Homs und anderen fortgesetzt wird.

Das Video-Material zeigt auch zahlreiche Kinder, die sich den Protesten und den Beerdigungen von etwa sechs Todesopfern – darunter ein Junge und ein älterer Mann – anschlossen. Die Sicherheitskräfte haben solche Beerdigungsmärsche in der Vergangenheit mehrfach mit tödlicher Gewalt angegriffen.

"Bilder von unbewaffneten Zivilisten mit Schusswunden im Kopf verdeutlichen, warum es so viele Todesopfer gibt. Bilder von Soldaten, die den Tod von Menschen feiern, dokumentieren zusätzlich, was eine Politik des "shoot-to-kill" zu sein scheint," sagte Ruth Jüttner. "Damit reihen sich diese Videos in eine Kette schwerwiegender Gründe ein, die ein entschiedenes Handeln des UN-Sicherheitsrates und die Beauftragung des Internationalen Strafgerichtshofs mit Ermittlungen zur Lage in Syrien erforderlich machen," sagte Ruth Jüttner.

Ausschnitte des vorliegenden Videos können Sie sich auf der internationalen Amnesty-Website in englischer Sprache ansehen. Wir möchten Sie jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Video sehr brutale und grausame Szenen enthält: Zum Artikel auf www.amnesty.org

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