Aktuell Nicaragua 28. Juli 2009

Stopp der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen!

Ärztin in Entbindungsstation

Ärztin in Entbindungsstation

Das neue Strafgesetz

Das neue Strafgesetzbuch von Nicaragua, das im Juli 2008 in Kraft trat, stellt jegliche Form des Schwangerschaftsabbruches unter Strafe. Es sieht sowohl für Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, als auch für Frauen und Mädchen, die diese ersuchen, Gefängnisstrafen vor.
Vorher erlaubte das Gesetz, im Falle von Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter
oder auch bei Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung, Ausnahmen vom
Abtreibungsverbot zu machen. Unter dem neuen Gesetz ist das nun vorbei, mit
schlimmen Folgen für betroffene Frauen und behandelnde Ärzte. Die Gesetzesänderung kam aus wahltaktischen Überlegungen zustande um dem Druck der Kirchen nachzugeben -
gegen massive Proteste seitens medizinischer Organisationen und der Ärzteschaft. Nach dem neuen Gesetz werden Gefängnisstrafen für medizinisches Personal bereits
dann verhängt, wenn dieses bei der Behandlung von schwangeren Frauen und Mädchen dem Fötus unbeabsichtigt einen Schaden zufügt. Somit stellt die Bedrohung, kriminalisiert zu werden, für Ärzte ein Hindernis dar, wenn es darum geht, den Schwangeren die notwendige schnelle, angemessene und oft lebensrettende Hilfe zukommen zu lassen.

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ohne jegliche Ausnahme führt in erhöhtem Maße zu Leiderfahrungen auf Seiten schwangerer Frauen und Mädchen. Das gilt besonders für jene, die wegen lebensbedrohender Krankheiten behandelt werden müssen, denen schwangerschaftsbedingte Komplikationen drohen, die eine Behandlung nach einer Fehlgeburt benötigen, sowie für Überlebende von Vergewaltigungen. Das Gesetz verweigert ihnen medizinische Hilfe gerade in Situationen, in denen sie von Traumatisierung bedroht sind und dieser Hilfe in besonderer Weise bedürfen.

In den Jahren 2005 bis 2007 wurden einer Statistik zufolge 1.247 Mädchen in
Nicaragua Opfer von Vergewaltigung oder Inzest, bei 198 (16%) von ihnen war eine
Schwangerschaft die Folge. Die überwältigende Mehrheit dieser Schwangeren (172,
entsprechend 87%) war erst zwischen 10 und 14 Jahren alt.
Viele von ihnen müssen in so einem Fall die Schule verlassen. Das gilt erst recht für
jene, die in Armut leben: Junge Mädchen in Armut zahlen den höchsten Preis für die
Gesetzesänderung!

Stimmen von Betroffenen

Jugendliches Missbrauchopfer in Nicaragua

Jugendliches Missbrauchopfer in Nicaragua

"Früher wurde keine Frau zu einer bestimmten Art medizinischer Behandlung gezwungen. (…) Sie hatte immer das Recht zu sagen. ´Mir ist das Risiko bewusst, ich verstehe, dass ich sterben könnte, aber ich entscheide mich dafür, die Schwangerschaft fortzuführen.`. (…) Wenn andererseits eine Frau mir sagte 'es macht mich traurig, diese Schwangerschaft zu verlieren, aber ich möchte doch diese Krebstherapie haben’, dann war ich in der Lage, ihr Recht auf Leben zu respektieren."

"Wir können unsere Lizenz zur Berufsausübung, unseren Ruf und unsere Freiheit
verlieren, nur weil wir so gehandelt haben, wie es notwendig war." (Ein Arzt in Nicaragua im Interview mit Amnesty International, Oktober 2008)

"Wenn ich die Möglichkeit hätte, von den verantwortlichen Personen etwas zu fordern,
dann wäre es dies: Hört auf die Worte von Vergewaltigungsopfern und vertraut ihnen. (…) Ich würde sie auffordern damit aufzuhören, ihnen die Option auf eine sichere Beendigung ihrer Schwangerschaft zu verweigern." (Zitat einer Mutter eines vergewaltigten Kindes).

Forderungen von Amnesty International

Kriminalisierung verhindert keine Schwangerschaftsabbrüche, sondern treibt
deren Durchführung in die "Hinterhöfe" mit hohen Risiken für Gesundheit und Leben
der Frauen.
Unter den UN Millennium Entwicklungszielen haben sich die Behörden von Nicaragua
verpflichtet, die Rate der Müttersterblichkeit bis zum Jahre 2015 um 75 % zu senken.
Das Verbot aller Formen des Schwangerschaftsabbruchs untergräbt die Verpflichtung der Regierung von Nicaragua, diese Schlüsselzielsetzung zu erreichen.
Amnesty International fordert deshalb die Verantwortlichen in Nicaragua auf:

*die einschlägigen Artikel 143, 145, 148 und 149 des neuen Gesetzbuches
wieder aufzuheben;

*sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen, die um Schwangerschaftsabbruch
nachsuchen oder ihn erhalten keiner Strafverfolgung ausgesetzt werden;

*sicherzustellen, dass medizinisches Personal nicht deshalb kriminalisiert wird,
weil es Dienstleistungen für sichere Schwangerschaftsabbrüche anbietet;

*schwangeren Frauen und Mädchen bei Bedarf Zugang zu ermöglichen zu
umfassender, lebensrettender Versorgung und – wenn medizinisch erforderlich – auch zu sicherem Schwangerschaftsabbruch;

*sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen, die schwanger wurden als Folge
einer Vergewaltigung oder von Inzest, sowie jene, für die eine Fortführung der
Schwangerschaft Gesundheit oder Leben bedroht, auf Wunsch Zugang zu sicheren
Möglichkeiten einer Abtreibung erhalten;

*sicherzustellen, dass alle Gesetze und Bestimmungen im Bereich der Fürsorge
für Schwangere den Grundsätzen medizinischer Ethik und besten Standards der
Gesundheitsversorgung genügen.

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