Amnesty Report Saudi-Arabien 28. Mai 2013

Saudi-Arabien 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Königreich Saudi-Arabien Staats- und Regierungschef:
 König Abdullah Bin Abdul Aziz al-Saud

Die Behörden schränkten die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit 2012 empfindlich ein. Andersdenkende wurden rücksichtslos unterdrückt. Regierungskritiker und politische Aktivisten befanden sich ohne Anklageerhebung in Haft oder wurden nach äußerst unfairen Gerichtsverfahren verurteilt. Frauen wurden nach wie vor durch Gesetze und im Alltag diskriminiert. Sie waren außerdem nur unzureichend vor häuslicher Gewalt und anderen Übergriffen geschützt. Ausländische Arbeitsmigranten wurden von ihren Arbeitgebern ausgebeutet und misshandelt. Gerichte verhängten Auspeitschungsstrafen, die auch vollstreckt wurden. Hunderte Menschen saßen Ende 2012 in Todeszellen, und mindestens 79 Personen wurden hingerichtet.

Hintergrund

Im Januar 2012 kündigte der Präsident der Religionspolizei an, er werde Richtlinien erlassen, wonach es Religionspolizisten künftig nicht mehr erlaubt sei, saudi-arabische Staatsangehörige festzunehmen und zu verhören sowie an Gerichtsverhandlungen teilzunehmen.

Nach dem Tod von Prinz Naif bin 'Abdul Aziz al-Saud wurde im Juni 2012 Prinz Salman bin Abdul Aziz al-Saud zum Kronprinzen ernannt.

Die halbstaatliche Nationale Gesellschaft für Menschenrechte veröffentlichte im Juni ihren dritten Menschenrechtsbericht. Darin forderte sie die Regierung nachdrücklich auf, die Diskriminierung zu beenden und die Kontrollfunktion des beratenden Shura-Rats zu stärken. Außerdem solle sie dafür sorgen, dass die
Strafverfolgungsbehörden die Strafprozessordnung korrekt anwendeten und diejenigen
zu Rechenschaft ziehen, die sich nicht daran hielten.

Unterdrückung Andersdenkender

Die Behörden unterdrückten 2012 weiterhin rücksichtslos alle Personen, die für politische und andere Reformen eintraten, sowie Menschenrechtsverteidiger und engagierte Bürger. Einige waren ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Andere wurden aufgrund vage formulierter Anklagepunkte wie "Ungehorsam gegenüber dem Herrscher" strafrechtlich verfolgt.

  • Dr. Abdullah bin Hamid bin Ali al-Hamid und Mohammad bin Fahad bin Muflih al-Qahtani, Gründungsmitglieder der nicht genehmigten Menschenrechtsorganisation Saudi Civil and Political Rights Association (ACPRA), wurden wegen "Bedrohung der Staatssicherheit" und "Anstiftung zu Unruhen" angeklagt. Außerdem warf man ihnen vor, sie hätten die nationale Einheit untergraben, sie seien dem Herrscher gegenüber ungehorsam und untreu gewesen und hätten die Integrität von Staatsbediensteten in Zweifel gezogen. Es ist davon auszugehen, dass die Anklagen im Zusammenhang mit der Gründung von ACPRA standen. Die beiden Männer hatten außerdem zu Protesten aufgerufen und kritisiert, dass Richter "Geständnisse" als Beweismittel zuließen, die unter Folter oder Nötigung zustande gekommen waren. Der Prozess begann im Juni und war Ende 2012 noch anhängig.

  • Mohammed Saleh al-Bajady, ein weiteres Gründungsmitglied von ACPRA, wurde im April 2012 zu vier Jahren Haft und einem anschließenden fünfjährigen Reiseverbot verurteilt. Er war für schuldig befunden worden, Kontakt zu ausländischen Organisationen unterhalten und die Sicherheit des Landes untergraben zu haben. Des Weiteren warf man ihm vor, er habe über die Medien das Ansehen des Staates beschädigt, Angehörige von Häftlingen zu Protestaktionen aufgerufen und verbotene Bücher besessen. Aus Protest gegen seine Inhaftierung trat er für fünf Wochen in einen Hungerstreik.

  • Der Menschenrechtsverteidiger Fadhel Maki al-Manasif, der im Oktober 2011 inhaftiert worden war, wurde im April 2012 wegen Aufruhr und "Aufwiegelung der öffentlichen Meinung gegen den Staat" angeklagt. Außerdem legte man ihm "Störung der öffentlichen Ordnung durch Teilnahme an Protestmärschen" und andere Verstöße zur Last. Die Anklagen standen offensichtlich in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Menschenrechtsverteidiger. Der Prozess war Ende 2012 noch nicht abgeschlossen.

  • Der Menschenrechtsverteidiger und Schriftsteller Mikhlif bin Daham al-Shammari musste sich im März 2012 vor dem Sonderstrafgericht verantworten. Ihm wurde u.a. vorgeworfen, er habe dem Ansehen Saudi-Arabiens in den internationalen Medien schaden wollen, mit verdächtigen Organisationen kommuniziert und staatliche Einrichtungen der Korruption bezichtigt. Er war im Februar nach eineinhalb Jahren gegen Kaution aus der Haft entlassen worden. Nachdem er öffentlich sunnitische Religionsgelehrte wegen ihrer Vorurteile gegenüber der schiitischen Minderheit und deren Glauben kritisiert hatte, wurde er erneut festgenommen. Im April untersagten ihm die Behörden, Saudi-Arabien in den nächsten zehn Jahren zu verlassen. Sein Verfahren war Ende 2012 noch anhängig.

  • Khaled al-Johani, der am "Tag des Zorns" am 11. März 2011 als einziger Demonstrant zu einer geplanten Kundgebung in Riad erschienen war, wurde am 8. August 2012 aus der Haft entlassen. Ihm schien kein Verfahren mehr zu drohen; sein genauer rechtlicher Status war jedoch unklar. Im Juli hatte er zwei Tage Hafturlaub bekommen, um seine Familie besuchen zu können.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Berichten zufolge überarbeitete der Shura-Rat den Entwurf für ein neues Antiterrorgesetz. Bis Ende 2012 war es noch nicht in Kraft getreten.

Die Behörden hielten mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer von Al-Qaida und anderen islamistischen Gruppen nach wie vor ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Tausende Gefangene, die aus Gründen der Sicherheit in den vergangenen Jahren festgenommen worden waren, wurden offenbar in geheimer Haft gehalten und hatten keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung anzufechten. Außerdem hatten sie keinen Zugang zu Rechtsbeiständen und ärztlicher Versorgung. Einigen von ihnen verwehrte man auch Kontakte zu ihren Angehörigen und Familienbesuche. Die Behörden teilten mit, Hunderte Gefangene seien vor Gericht gestellt worden, ohne nähere Angaben zu machen. Dies bot Anlass zu der Befürchtung, dass es sich um geheime Prozesse handelte, die nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen.

Es gab mehrere Protestaktionen von Familien, deren Angehörige aus Gründen der Sicherheit festgehalten wurden. Am 23. September 2012 versammelten sich in der Provinz Qassim zahlreiche Menschen nahe dem al-Tarfiya-Gefängnis in der Wüste und forderten die Freilassung ihrer inhaftierten Familienangehörigen. Die Demonstrierenden, darunter auch Frauen und Kinder, wurden von Sicherheitsbeamten umstellt und gezwungen, ohne Wasser und Nahrung bis zum folgenden Tag auszuharren. Mehrere Männer wurden geschlagen und in Gewahrsam genommen.

Im Oktober 2012 teilten die Behörden mit, jeder, der an einer Demonstration teilnehme, werde strafrechtlich verfolgt und müsse mit "harten Maßnahmen" der Sicherheitskräfte rechnen. Dennoch hielten Angehörige von Gefangenen, die aus Gründen der Sicherheit inhaftiert waren, vor dem Gebäude der Saudi-arabischen Menschenrechtskommission in Riad eine Protestkundgebung ab. Die Sicherheitskräfte sperrten das Gebiet ab und nahmen mindestens 22 Frauen, acht Kinder und mehr als 20 Männer fest, als die Demonstrierenden sich weigerten, die Kundgebung aufzulösen. Angehörige der Sicherheitskräfte schlugen einen Mann und traten eine Frau. Die meisten der Protestierenden kamen frei, nachdem sie Erklärungen unterzeichnet hatten, in denen sie versicherten, künftig nicht mehr an Demonstrationen teilzunehmen. 15 Männer blieben jedoch in Haft.

Diskriminierung – Schiiten

Angehörige der schiitischen Minderheit in der Ostprovinz protestierten, weil sie sich schon seit langem aufgrund ihres Glaubens diskriminiert fühlten. Es wurde der Vorwurf laut, die Sicherheitskräfte seien in einigen Fällen mit exzessiver Gewalt gegen die Protestierenden vorgegangen. Dem Vernehmen nach erschossen die Sicherheitskräfte 2012 etwa zehn Demonstrierende während oder im Zusammenhang mit den Protestaktionen in der Ostprovinz, weitere Personen erlitten Verletzungen. Nach Angaben der Behörden kam es zu den Todesfällen und Verletzungen, als sich die Sicherheitskräfte Personen gegenübersahen, die mit Schusswaffen und Molotow-Cocktails ausgerüstet waren. Es gab jedoch keine unabhängigen Untersuchungen dieser Vorfälle. Dem Vernehmen nach waren Ende 2012 noch etwa 155 Männer und 20 Minderjährige wegen der Proteste ohne Anklageerhebung in Haft.

  • Am 26. September 2012 wurden bei einer Hausdurchsuchung zwei Männer unter ungeklärten Umständen getötet, ein dritter erlitt tödliche Verletzungen. Die Sicherheitskräfte vermuteten in dem Haus einen Mann, der wegen mutmaßlicher "Unruhestiftung" gesucht wurde. Soweit bekannt, wurde keine offizielle Untersuchung der Todesfälle eingeleitet. Berichten zufolge wurden mehrere Männer zu Prügelstrafen verurteilt, weil sie sich an Protestaktionen in der Ostprovinz beteiligt hatten. Einigen Personen wurde verboten, ins Ausland zu reisen. Schiitische Geistliche, die sich öffentlich für Reformen aussprachen oder die Regierung kritisierten, kamen in Haft und wurden in einigen Fällen wegen "Ungehorsams gegenüber dem Herrscher" oder anderer Verstöße angeklagt.

  • Scheich Nimr Baqir al Nimr, der die Diskriminierung der schiitischen Minderheit häufig kritisiert hatte, wurde am 8. Juli 2012 in al-Awwamiya in der Ostprovinz festgenommen. Anlass waren offenbar Bemerkungen, die er nach dem Tod des Innenministers, Prinz Naif bin 'Abdul Aziz al-Saud, gemacht haben soll. Während seiner Inhaftierung erlitt er unter umstrittenen Umständen eine Schussverletzung. Die Behörden bezeichneten ihn als "Anstifter zum Aufruhr" und gaben an, die Sicherheitskräfte hätten an einem Kontrollpunkt auf ihn geschossen, als er sich gemeinsam mit anderen Personen einer Festnahme widersetzt und einen Fluchtversuch unternommen habe. Seine Familie sagte hingegen, er sei bei seiner Festnahme allein und unbewaffnet gewesen. Ende 2012 befand er sich noch immer ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren im Gefängnis.

  • Scheich Tawfiq al-Amer, ein schiitischer Geistlicher und Befürworter von Reformen, saß seit August 2011 in Haft. Gegen ihn ergingen im August Anklagen wegen Aufwiegelung zum Protest gegen die Behörden, Beleidigung des Ältestenrats islamischer Rechtsgelehrter (Ulama) und anderer Vergehen. Er wurde im Dezember zu drei Jahren Haft und einem sich daran anschließenden fünfjährigen Reiseverbot verurteilt. Zudem darf er keine Predigten oder Reden halten.

Folter und andere Misshandlungen

Berichten zufolge waren Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen und verurteilten Straftätern üblich und weit verbreitet. Die Verantwortlichen gingen in der Regel straffrei aus. Die am häufigsten genannten Foltermethoden waren Schläge, das Aufhängen an den Gliedmaßen und Schlafentzug. Unter den Gefolterten waren dem Vernehmen nach auch Personen, die an Protestaktionen teilgenommen hatten. Sie wurden tage- und wochenlang ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten.

  • Im August 2012 berichteten Häftlinge des
al-Hair-Gefängnisses offenbar ihren Familien, sie seien vom Gefängnispersonal tätlich angegriffen worden und fürchteten um ihr Leben.

Frauenrechte

Frauen litten 2012 weiterhin unter starker Diskriminierung sowohl aufgrund von Gesetzen als auch im täglichen Leben. Außerdem waren sie nicht ausreichend gegen häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt geschützt.

Zum ersten Mal durften zwei saudi-arabische Frauen an den Olympischen Spielen teilnehmen – allerdings unter der Bedingung, dass sie die saudi-arabischen Bekleidungsvorschriften und die ständige Begleitung männlicher Aufpasser akzeptierten.

Frauen benötigten nach wie vor die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, wenn sie heiraten, verreisen, eine bezahlte Arbeitsstelle antreten oder ein Studium aufnehmen wollten. Saudi-arabische Frauen, die einen Ausländer heirateten, durften ihre Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben, im Gegensatz zu saudi-arabischen Männern, die mit Ausländerinnen verheiratet waren. Frauen war das Autofahren noch immer verboten, obwohl Aktivistinnen das Verbot mit der Kampagne Women2Drive deutlich in Frage gestellt hatten. Diskriminierende Regelungen im Zusammenhang mit dem Ehe- und Scheidungsrecht machten es manchen Frauen offenbar unmöglich, aus Beziehungen auszubrechen, in denen sie Gewalt und Missbrauch erfuhren.

Rechte von Arbeitsmigranten

Arbeitsmigranten stellten rund ein Drittel der Bevölkerung Saudi-Arabiens. Sie genossen weiterhin nur unzureichenden Schutz durch die Arbeitsgesetzgebung und waren häufig Ausbeutung und Misshandlungen durch ihre Arbeitgeber ausgesetzt. Vor allem weibliche Hausangestellte liefen Gefahr, sexuell missbraucht oder anderweitig misshandelt zu werden.

Grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen

Gerichte verhängten weiterhin für viele Vergehen Körperstrafen als Haupt- oder Zusatzstrafen, vor allem Auspeitschungen. Sie wurden in Gefängnissen vollstreckt. Mindestens fünf Angeklagte wurden 2012 zu 1000 bis 2500 Peitschenhieben verurteilt.

Todesstrafe

Die Gerichte verhängten auch 2012 wieder Todesurteile für eine Reihe von Drogendelikten und andere Vergehen. Es war davon auszugehen, dass sich Hunderte von Personen in den Todeszellen befanden, manche schon seit vielen Jahren. Mindestens 79 Gefangene wurden hingerichtet, die Mehrzahl von ihnen öffentlich. Unter den Hingerichteten befanden sich mindestens 52 saudi-arabische Staatsangehörige, mindestens 27 ausländische Staatsangehörige und mindestens eine Frau. Einige der Gefangenen wurden wegen Vergehen hingerichtet, die keine Gewaltverbrechen waren.

  • Rizana Nafeek, eine Hausangestellte aus Sri Lanka, befand sich 2012 noch immer in der Todeszelle. Sie war 2007 schuldig gesprochen worden, das Baby ihrer Arbeitgeberin ermordet zu haben. Die Angeklagte war zur Tatzeit erst 17 Jahre alt und hatte im Prozess keinen Rechtsbeistand. Ein Geständnis, das sie möglicherweise unter Zwang im Polizeiverhör abgelegt hatte, widerrief sie später.

  • Der nigerianische Staatsbürger Suliamon Olyfemi saß weiterhin in der Todeszelle. Er war nach einem unfairen Gerichtsverfahren 2004 zum Tode verurteilt worden.

  • Die saudi-arabischen Staatsbürger Qassem bin Rida bin Salman al-Mahdi, Khaled bin Muhammad bin Issa al-Qudaihi und Ali Hassan Issa al-Buri befanden sich offenbar in unmittelbarer Gefahr, hingerichtet zu werden. Sie hatten alle Berufungsmöglichkeiten gegen ihre Verurteilung wegen Drogendelikten ausgeschöpft. Berichten zufolge hatten sie nach ihrer Festnahme im Juli 2004 und während ihrer Untersuchungshaft keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Mindestens einer der Männer wurde dem Vernehmen nach zu einem "Geständnis" gezwungen. Ali Hassan Issa al-Buri war ursprünglich zu 20 Jahren Freiheitsentzug und 4000 Peitschenhieben verurteilt worden. Nachdem ein ordentliches Gericht in Qurayyat das Urteil des Kassationsgerichts auf Umwandlung der Urteile gegen die beiden anderen Häftlinge abgewiesen hatte, wurde er jedoch zum Tode verurteilt. Alle drei Todesurteile waren vom Obersten Justizrat 2007 bestätigt worden.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Die saudi-arabischen Behörden verweigerten Amnesty International weiterhin hartnäckig den Zugang zum Land. Somit konnten keine Recherchen zur Lage der Menschenrechte vor Ort vorgenommen werden.

Saudi-Arabia’s "Day of Rage": One year on Saudi-Arabia: Dissident voices stifled in the Eastern 
Province

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