Amnesty Report 22. Mai 2013

Côte d'Ivoire 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Côte d’Ivoire Staatsoberhaupt: Alassane Ouattara Regierungschef: Daniel Kablan Duncan (löste im November Jeannot Kouadio-Ahoussou im Amt ab, der im März auf Guillaume Soro gefolgt war)

Vor dem Hintergrund der anhaltend prekären Sicherheitslage und der Angriffe von unbekannten bewaffneten Kombattanten wurden 2012 zahlreiche Menschen willkürlich inhaftiert und gefoltert. Viele Menschen sahen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die Pressefreiheit war eingeschränkt und Zeitungen wurden verboten. Gerichtsverfahren auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene kamen nur langsam voran. Zahlreiche Menschen wurden ohne Gerichtsverfahren in Haft gehalten. Die Straflosigkeit im Land hielt an. Dies galt vor allem für Anhänger der Machthaber, die 2011 während der Krise nach den Präsidentschaftswahlen von 2010 völkerrechtliche Verbrechen begangen hatten. Der Prozess für Dialog und Versöhnung trat auf der Stelle.

Hintergrund

Die Sicherheitslage war 2012 während des gesamten Jahres instabil. Immer wieder griffen unbekannte Kämpfer militärische Ziele an. Die Angriffe forderten Opfer in den Reihen der Streitkräfte wie auch aufseiten der Zivilbevölkerung und schürten die politischen Spannungen zwischen den Sicherheitsdiensten und der Zivilbevölkerung. Nachdem Milizen aus Liberia im Juni im Südwesten von Côte d’Ivoire sieben Soldaten der im Land stationierten UN-Friedenstruppen (UNOCI) und zehn Zivilpersonen getötet hatten, nahmen die Angriffe zu. Sie lösten die Vertreibung weiterer Teile der Bevölkerung und Wellen von Festnahmen aus. Die Behörden beschuldigten die Partei des ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, die Ivorische Volksfront (Front Populaire Ivorien – FPI), hinter den Angriffen zu stecken, und erklärten, dass es ihnen gelungen sei, mehrere Putschversuche und Verschwörungen zur Destabilisierung der Regierung zu verhindern. Die FPI wies die Anschuldigungen zurück.

Im Zusammenhang mit der im Dezember 2011 begonnenen Reform der Republikanischen Streitkräfte von Côte d’Ivoire (Forces Républicaines de Côte d’Ivoire – FRCI) wurde eine Militärpolizei geschaffen, die dafür sorgen sollte, dass die Streitkräfte keine Übergriffe mehr begingen. In der Praxis inhaftierte die Militärpolizei jedoch willkürlich tatsächliche oder vermeintliche Gegner und verübte Folterungen. Außerdem inhaftierten bewaffnete Gruppen der Streitkräfte und die vom Staat geförderten Dozo-Milizen auch 2012 willkürlich Menschen und folterten sie, wobei sie keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten mussten.

Das Verhältnis zwischen der Regierung von Präsident Alassane Ouattara und der FPI war so sehr von gegenseitigem Misstrauen geprägt, dass die Versuche, den politischen Dialog wiederzubeleben, fehlschlugen. Die FPI knüpfte ihre Beteiligung am politischen Leben weiter an die Bedingung, dass ihre Anhänger – einschließlich Laurent Gbagbo –, die im Zuge der Krise nach den Präsidentschaftswahlen verhaftet worden waren, freigelassen würden. Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen, unter ihnen Bété und Guéré, die pauschal bezichtigt wurden, Anhänger des ehemaligen Präsidenten Gbagbo zu sein, wurden aus ethnischen Gründen zu Opfern von Übergriffen. Dies war vor allem im Westen des Landes der Fall. Laut Berichten verwehrten dort Angehörige der Dozo zurückkehrenden Binnenflüchtlingen den Zugang zu ihrem Land oder pressten ihnen willkürliche Zahlungen ab.

Willkürliche Inhaftierungen

Mehr als 200 Menschen, die verdächtigt wurden, die Sicherheit des Staates zu gefährden, waren überwiegend an nicht offiziellen Haftorten ohne rechtliche Grundlage inhaftiert. Auch Mitglieder der FPI waren unter den Betroffenen. Viele von ihnen befanden sich Ende 2012 immer noch in Haft, ohne dass man sie vor Gericht gestellt hatte. Andere waren nach der Zahlung eines Lösegeldes freigekommen.

  • Im März 2012 wurden 77 Angehörige der Verteidigungs- und Sicherheitskräfte FDS, den früheren regulären Streitkräften, unter dem Verdacht festgenommen, die Staatsgewalt zu untergraben. Sie wurden in einem Lager der FRCI in Abidjan festgehalten und nach zwei Wochen ohne Anklageerhebung freigelassen.

  • Im August 2012 wurde in Abidjan ein FPI-Mitglied von zwei Männern in Zivil festgenommen und beschuldigt, einer Miliz anzugehören. Der Mann wurde zwei Tage später freigelassen, nachdem seine Eltern Lösegeld gezahlt hatten.

Folter und Todesfälle in Gewahrsam

Die FRCI setzten häufig Folter und andere Misshandlungen gegen Menschen ein, die verdächtigt wurden, bewaffnete Angriffe und politische Verschwörungen geplant zu haben. Verdächtigte wurden manchmal lange Zeit an nicht offiziellen Haftorten gefangen gehalten, bevor sie einem Richter vorgeführt und in ein Gefängnis überstellt wurden.

  • Im März 2012 wurde ein Angehöriger der früheren regulären Streitkräfte, der in Abidjan in einem Lager der FRCI festgehalten wurde, ausgezogen und mit Handschellen an eine Eisenstange gefesselt. Dann schlug man auf ihn ein und goss geschmolzenes Plastik über seinen Körper.

  • Im August 2012 wurde der Stabsunteroffizier der Polizei Hervé Kribié festgenommen und im Kommandoposten der FRCI von San Pedro mit Elektroschocks gequält. Er starb noch am gleichen Tag. Seine Familie erfuhr erst drei Wochen später, was mit ihm geschehen war.

Flüchtlinge und Vertriebene

Nachdem es in mehreren Ortschaften zwischen der Stadt Ta und dem Dorf Nigré an der Grenze zu Liberia zu gewaltsamen Vorfällen gekommen war, flüchteten rund 13000 Menschen aus diesem Gebiet. Ende 2012 belief sich die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen noch auf ca. 160000. Schätzungen zufolge waren davon 80000 Binnenvertriebene. Außerdem befanden sich noch fast 60000 ivorische Flüchtlinge in Liberia. Bewaffnete Angriffe auf Zivilpersonen und Militärangehörige lösten Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen sowie auf lokaler Ebene Misstrauen und erneute Vertreibungen aus; davon war vor allem der Westen von Côte d’Ivoire betroffen.

Menschenrechtsverletzungen im Westen von Côte d’Ivoire

Auch 2012 blieb die Lage im Westen des Landes unsicher. Angehörige von ethnischen Gruppen, unter ihnen auch Guéré, die als ehemalige Anhänger von Laurent Gbagbo angesehen wurden, gerieten ins Visier von FRCI und Dozo-Angehörigen und waren Opfer von außergerichtlichen Hinrichtungen, Prügelangriffen, Folter, unrechtmäßigen Festnahmen sowie des Verschwindenlassens.

Im Juli griffen Angehörige der Dioula ein von der UNOCI bewachtes Lager für Vertriebene in Nahibly bei Duékoué an, in dem rund 4500 Menschen Zuflucht gefunden hatten. Kämpfer der Dozo und Soldaten der FRCI waren an dem Angriff beteiligt. Wie es hieß, handelte es sich bei dem Angriff um einen Racheakt für angeblich von Bewohnern des Lagers verübte Verbrechen, darunter die Ermordung von vier Menschen in Duékoué. Bei dem Angriff wurden mindestens 13 Vertriebene getötet. Viele erlitten schwere Verletzungen, u.a. weil sie geschlagen und mit Tropfen geschmolzenen Plastiks gefoltert wurden. Zahlreiche Bewohner des Lagers wurden willkürlich festgenommen. Viele von ihnen sind immer noch "verschwunden".

Im Oktober wurde in Duékoué ein Massengrab entdeckt. Bei den Leichen handelt es sich vermutlich um die seit dem Angriff auf das Lager vermissten Menschen. Bis Ende 2012 waren bei den aufgenommenen Ermittlungen kaum Ergebnisse erzielt worden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Es gab zahlreiche Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

  • Im September 2012 erließ der Nationale Presserat ein sechstägiges Erscheinungsverbot für alle der oppositionellen FPI nahestehenden Tageszeitungen. Der Presserat begründete das Verbot damit, dass Fotos und Bildunterschriften mit Bezugnahmen auf den früheren Staatspräsidenten Gbagbo und auf ehemalige Minister die Krise nach den Präsidentschaftswahlen verlängern würden.

Justizsystem

Auch 18 Monate nach der Krise im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen waren lediglich Personen festgenommen worden, die mit der Regierung des früheren Präsidenten Gbagbo in Verbindung gebracht wurden. Weder Angehörige der ehemaligen Forces Nouvelles noch Militärangehörige oder Zivilpersonen, die für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich waren und Präsident Ouattara unterstützten, waren zur Rechenschaft gezogen worden.

Verzögerungen und Defizite im Zuge der strafrechtlichen Verfahren gegen Familienangehörige und Unterstützer von Ex-Präsident Gbagbo lösten Befürchtungen aus, dass die Angeklagten über längere Zeiträume hinweg ohne Prozess festgehalten würden bzw. ihre Gerichtsverfahren nicht den internationalen Standards für faire Prozesse entsprechen könnten.

Von Mai bis Juli 2012 wurden acht Personen, unter ihnen auch Simone Gbagbo, die Ehefrau des Ex-Präsidenten, des Völkermords angeklagt.

Am 20. Dezember wurde die vorläufige Freilassung von neun engen Vertrauten des Ex-Präsidenten bekannt gegeben, die vorwiegend im Norden des Landes inhaftiert waren.

Internationale Strafgerichtsbarkeit

Die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) ordnete im Februar Ermittlungen zu weiteren Verbrechen an, die zwischen September 2002 und 2010 begangen worden waren. Zwar wurden beiden Konfliktparteien Verbrechen im Sinne des Völkerrechts zur Last gelegt, doch konzentrierten sich die Ermittlungen des ICC auf Verbrechen, die der Regierung des ehemaligen Präsidenten Gbagbo zugeschrieben wurden.

Die Ermittlungen gegen Laurent Gbagbo, der im November 2011 an den ICC überstellt worden war, kamen kaum voran.

Im November erließ der ICC einen Haftbefehl gegen Gbagbos Ehefrau Simone wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Mord, Vergewaltigung, andere Formen sexueller Gewalt sowie andere unmenschliche Handlungen und Verfolgung während der Krise nach den Wahlen.

Côte d’Ivoire leitete Schritte zur Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ein. So verabschiedete das Parlament im Dezember einen Entwurf zur Änderung der Verfassung und baute damit gesetzliche Hindernisse ab, die der Ratifizierung des Statuts entgegenstanden. Eine Woche darauf nahm das Parlament einen Gesetzentwurf an, der Ratifizierung genehmigte. Bis Ende des Jahres war das Römische Statut aber noch nicht ratifiziert.

Straflosigkeit

Die Regierung erklärte wiederholt ihre Bereitschaft, diejenigen vor Gericht zu stellen, die für Verbrechen während der Krise nach den Wahlen verantwortlich seien. Im August 2012 stellte die Kommission, die mit der Untersuchung der Gewaltakte während der Krise nach den Wahlen beauftragt worden war, ihren Bericht vor. Darin kam sie zu dem Schluss, dass beide Seiten Hunderte Menschen getötet hatten. Soweit bekannt, waren bei Jahresende noch keine rechtlichen Schritte gegen die mutmaßlichen Täter eingeleitet worden.

Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Dialog

Die im Juli 2011 geschaffene Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Dialog hatte organisatorische und finanzielle Probleme. Sie wurde von der UNOCI im Mai aufgefordert, "ihre Tätigkeit zu überprüfen und zu beschleunigen". Im Juni prangerte die Kommission illegale Festnahmen an. Die öffentlichen Aufrufe der Kommission zur Versöhnung und zum Dialog lösten jedoch keine konkreten Entwicklungen aus.

Unternehmensverantwortung

Sechs Jahre nach der illegalen Entsorgung toxischer Abfälle im Großraum Abidjan, die Auswirkungen auf Tausende Menschen hatte, warteten viele Opfer noch immer auf Schadenersatzzahlungen. Bis Jahresende hatten die Behörden nach wie vor keine Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass alle registrierten Personen, deren Gesundheit beeinträchtigt war, Zugang zum staatlichen Schadensersatzprogramm hatten, das ausgesetzt worden war. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit der 2010 erfolgten Veruntreuung eines Teils des Schadenersatzbetrags, der vom Erdölkonzern Trafigura für Opfer gezahlt worden war, die das Unternehmen in Großbritannien verklagt hatten, waren bis Ende 2012 nicht vorangekommen. Zwar wurde der Minister für Afrikanische Integration von Staatspräsident Ouattara im Mai wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an der Veruntreuung der Gelder entlassen, doch schienen die Behörden keine weiteren Schritte unternommen zu haben, um die verschwundenen Gelder zurückzuerhalten bzw. um die Ermittlungen gegen die Beteiligten voranzutreiben.

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