Amnesty Report 10. Mai 2011

Mauretanien 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Islamische Republik Mauretanien Staatsoberhaupt: General Mohamed Ould Abdel Aziz Regierungschef: Moulaye Ould Mohamed Laghdaf Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 3,4 Mio. Lebenserwartung: 57,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 128/112 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 56,8%

Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet und die Haftbedingungen in den Gefängnissen des Landes auch im Jahr 2010 hart. Zahlreiche Personen wurden willkürlich festgenommen und tage- bzw. wochenlang inhaftiert. Viele Menschen, die verdächtigt wurden, Mitglieder bewaffneter Gruppen zu sein, waren über lange Zeiträume inhaftiert, ohne dass man sie vor Gericht stellte. Die Sklaverei bestand in der Praxis fort. Mindestens 16 Männer wurden zum Tode verurteilt.

Hintergrund

Die zunehmenden Aktivitäten der Organisation Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), die u.a. Geiseln nahm und bewaffnete Überfälle verübte, führten dazu, dass Mauretanien und seine Nachbarländer übereinkamen, ihr Vorgehen gegen bewaffnete Gruppen, die grenzüberschreitend aktiv waren, zu koordinieren. Nachdem der mauretanische Verfassungsrat, der über die Einhaltung der Verfassung wacht, das im Januar erlassene Antiterrorgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, verabschiedete das Land im Juli ein neues Gesetz. Das neue Antiterrorgesetz gab den Sicherheitsorganen mehr Befugnisse im Kampf gegen AQIM.

Der ehemalige Kommissar für Menschenrechte, Lemine Ould Dadde, der im Rang eines Ministers gestanden hatte, wurde im September verhaftet und wegen Unterschlagung angeklagt.

Im Mai wurde Mauretanien in den UN-Menschenrechtsrat gewählt, der im November die Lage der Menschenrechte im Land im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) begutachtete.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

  • Im Mai 2010 wurden in der Provinz Tevragh Zeina, Region Nouakchott, mindestens 50 Lagerarbeiter, die eine Lohnerhöhung gefordert hatten, willkürlich festgenommen. 40 kamen nach mehr als sieben Tagen aus der Haft wieder frei, die anderen blieben jedoch mehr als 14 Tage inhaftiert. Mohamed Abdallaye Ould Diaby und Bounah Ould Alayah wurden erst nach über 18 Tagen im Gewahrsam der Behörden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren freigelassen.

  • Nachdem er bereits mehr als drei Jahre im Gefängnis gesessen hatte, wurde der Tunesier Abdelkerim Verag El Baraoui im Oktober in einem Prozess von dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer verbotenen Bewegung freigesprochen und aus der Haft entlassen. Im selben Prozess wurden drei weitere Personen zum Tode verurteilt, andere erhielten Freiheitsstrafen. Unmittelbar nach seiner Freilassung nahm die Geheimpolizei Abdelkerim Verag El Baraoui widerrechtlich fest. Die Strafverfolgungsbehörden erklärten seinen Verteidigern, dass ihnen von einer Festnahme nichts bekannt sei. Berichten zufolge soll Abdelkerim Verag El Baraoui in den Senegal gebracht worden sein.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

  • Im Februar 2010 wurden bei einer Militäroperation in Lemzeirib, 650 km östlich von Zouérate, an der Grenze zu Mali, zwei Malier getötet. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Mindestens 20 malische Staatsangehörige wurden festgenommen und länger als sechs Monate ohne Anklageerhebung oder ein Gerichtsverfahren in Gewahrsam gehalten. Die mauretanischen Behörden beschuldigten die beiden Getöteten, zu einer Bande von Drogenschmugglern aus dem Umfeld von AQIM zu gehören. Im September kamen bei einem Angriff der mauretanischen Luftwaffe auf einen Stützpunkt von AQIM in der Gegend von Tombouctou zwei Zivilpersonen aus Mali ums Leben. Mauretanien entschuldigte sich dafür offiziell bei Mali.

Im gesamten Berichtsjahr wurden mehr als zehn Menschen, darunter auch Staatsangehörige der Nachbarländer, festgenommen und der Verbindung zu Al-Qaida oder anderen bewaffneten Gruppen beschuldigt. Andere Personen kamen im Rahmen von Antiterrormaßnahmen in Haft. Einige wurden der direkten bzw. indirekten Beteiligung an Terrorakten verdächtigt. Mehrere Personen befanden sich während des gesamten Jahres 2010 ohne Gerichtsverfahren in Gewahrsam. Viele Gefangene, unter ihnen diejenigen, die man beschuldigte, zu AQIM zu gehören, wurden länger als die gesetzlich erlaubten 15 Tage ohne Möglichkeit des Kontakts zur Außenwelt in Haft gehalten. Sicherheitskräfte und Gefängnisaufseher verboten Angehörigen, Gefangene zu besuchen.

  • Der im Mai 2010 in Nouakchott festgenommene tunesische Staatsangehörige Malick Kraina wurde erst nach mehr als 26 Tagen in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt der Mitgliedschaft bei AQIM angeklagt.

  • Mohamed Lemine Ag Maleck, Student der Geschichte aus Mali, wurde im Juli 2010 in der Stadt Oualata festgenommen. Er wurde mehr als 20 Tage auf der Polizeiwache festgehalten; erst dann klagte man ihn wegen der Weitergabe von Informationen an das Ausland an. Die Anklage stützte sich darauf, dass er ein GPS-Gerät und eine Kamera bei sich führte. Der Student sagte, er mache mit dieser Ausrüstung Fotos und erarbeite Routen für einen Reiseveranstalter.

Folter und andere Misshandlungen

Polizeibeamte, Militärangehörige und Gefängnisaufseher setzten Folterungen und andere Misshandlungen gegen Männer und Frauen ein, die aus politischen Gründen oder weil man sie einer Straftat verdächtigte, festgenommen worden waren. Die Opfer wurden üblicherweise sofort nach ihrer Festnahme in Hafteinrichtungen, u.a. der ersten Polizeibrigade und der Gendarmerie, gefoltert.

Die mauretanischen Behörden erklärten indes, dass Folter nicht mehr praktiziert werde. Diese Aussage stand im Widerspruch zu Aussagen von Menschen, die angaben, dass sie im Berichtsjahr gefoltert bzw. misshandelt wurden. Diese Angaben kamen u.a. von Personen, die in den Gefängnissen von Dar Nam und Nouadhibou sowie dem Zentralgefängnis in Nouakchott inhaftiert waren. In einem Prozess, der im Juli und im August stattfand, gaben die Angeklagten an, sie seien gefoltert worden. Eine Untersuchung der Vorwürfe lehnte der Richter jedoch ab.

  • Aus Berichten ging hervor, dass die meisten – wahrscheinlich alle – der 20 oder mehr Malier, die im Februar in Lemzeirib festgenommen worden waren, von Armeeangehörigen gefoltert wurden. Soldaten verletzten einige Opfer bei der Festnahme mit Messern, anderen fügten sie mit Zigaretten Brandwunden zu.

Todesfälle in Gewahrsam

2010 starben allein im Gefängnis von Dar Nam mindestens zwölf Gefangene an den Folgen von Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung. Von einer Untersuchung der Todesfälle wurde nichts bekannt.

  • Im Laufe des Berichtsjahrs wurde bekannt, dass der senegalesische Staatsangehörige Ousseyni Wellé 2009 im Gefängnis von Dar Nam gestorben war, vermutlich an den Folgen von Folterungen. Er war 2008 zum Tode verurteilt worden. Über eine Untersuchung des Falls wurde nichts bekannt.

Haftbedingungen

Nach wie vor wurden Hunderte in überfüllten Gefängnissen festgehalten, in denen es kaum sanitäre Einrichtungen gab. Die medizinische Betreuung war nicht adäquat und das Essen von schlechter Qualität. Die Bedingungen, die in einigen Gefängnissen herrschten, kamen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich. In den Gefängnissen von Nouadhibou und Dar Nam bei Nouakchott waren die Inhaftierten bei drückender Hitze zusammengepfercht und durften die Zellen nur selten verlassen oder frische Luft atmen. In dem für 350 Häftlinge ausgelegten Gefängnis von Dar Nam saßen mehr als 1000 Menschen ein.

Vollzugsbeamte bestätigten Amnesty International, dass die Gefängnisse von Dar Nam und Nouadhibou nicht internationalen Standards entsprachen. Sie thematisierten ausdrücklich die schlechte medizinische Versorgung, die sanitären Probleme, die Feuchtigkeit und die schlechte Belüftung in den Zellen.

Rechte von Migranten

Mehr als 250 Menschen wurden willkürlich festgenommen, weil man sie verdächtigte, von Mauretanien aus nach Europa gelangen zu wollen. Sie wurden tagelang in einem Haftzentrum in Nouadhibou festgehalten. Die festgenommenen Personen kamen überwiegend aus den Staaten südlich der Sahara, vor allem aus Mali, Senegal und Guinea. Trotz der Zusage, man wolle die Hafteinrichtung sanieren, unternahmen die Behörden nichts, um die harten Haftbedingungen dort zu verbessern.

Sklaverei

Obwohl die Sklaverei bereits 1981 abgeschafft worden war und seit August 2007 als Straftatbestand gilt, bestand sie in der Praxis auch 2010 fort. Bisher gab es keine gerichtlichen Verfahren gegen Sklavenbesitzer.

Mit Hilfe der Organisation S. O. S. Esclaves und der Initiative für die Wiederbelebung der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Mauretanien (L’Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste en Mauritanie – IRA Mauritanie) konnten 2010 zwei Familien aus der Sklaverei befreit werden.

  • Wie andere Familienmitglieder war auch Moulkheir Mint Yarba als Sklavin geboren worden. Sie wurde im Februar mit ihren vier Kindern befreit. Sie war im Dezember 2007 schon einmal befreit worden, zwei Monate später jedoch von einem anderen Sklavenbesitzer wieder gefangen genommen worden. Während ihrer Versklavung war sie bisweilen geschlagen worden und hatte nichts zu essen bekommen.

  • Aichetou Mint M’Bareck war Sklavin seit ihrer Geburt im Jahr 1975. Im Oktober gelang ihr und ihren sieben Kindern die Flucht aus der Gefangenschaft. Während ihrer Versklavung war sie von ihren Kindern getrennt gewesen, war geschlagen worden, und ihre Kinder hatten keine Schule besuchen dürfen.

Menschenrechtsverteidiger

Mehrere Menschenrechtler kamen 2010 in Haft, und einer von ihnen wurde sowohl bei der Festnahme als auch auf der Polizeiwache in Nouakchott geschlagen.

  • Acht Aktivisten, die sich gegen Sklaverei engagieren, wurden im Dezember in Nouakchott festgenommen und inhaftiert, weil sie den Fall von zwei jungen Mädchen aufgegriffen hatten, die ihrer Einschätzung nach als Sklavinnen gehalten wurden. Bei den Aktivisten handelt es sich um Mitglieder der Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste en Mauritanie, einer Organisation, die die Behörden nicht anerkannten, obwohl sie schon mehrfach ihre Registrierung beantragt hatte. Die acht Aktivisten wurden angeklagt, Polizisten tätlich angegriffen und die öffentliche Ordnung gefährdet zu haben. Amnesty International betrachtete die Inhaftierten als gewaltlose politische Gefangene.

Todesstrafe

Zwar hat es seit 1987 keine Hinrichtungen mehr gegeben, doch wurden 2010 sehr viel mehr Todesurteile von Gerichten verhängt. Gerichte in Nouadhibou und Nouakchott verurteilten mindestens 16 Männer zum Tode, obwohl in den Prozessen geltend gemacht wurde, dass einige Angeklagte gefoltert worden waren. Die Gerichte unternahmen nichts, um diese Vorwürfe zu untersuchen. Drei Männer, darunter Sidi Ould Sidna, der schon im Mai wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war, wurden im Oktober unter der Anklage der Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation erneut zum Tode verurteilt.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegierte von Amnesty International hielten sich im September und Oktober in Mauretanien auf.

Mauritania: Submission to the UN Universal Periodic Review, November 2010 (AFR 38/001/2010)

Mauritania: The Human Rights Council cannot ignore the systematic use of torture (AFR 38/003/2010)

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