Amnesty Report 18. Mai 2010

Guinea 2010

Amtliche Bezeichnung: Republik Guinea Staatsoberhaupt: Sékouba Konaté (löste im Dezember Moussa Dadis Camara im Amt ab) Regierungschef: Kabiné Komara Todesstrafe: nicht abgeschafft Einwohner: 10,1 Mio. Lebenserwartung: 57,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 157/138 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 29,5%

Während einer Protestkundgebung in einem Stadion in der Hauptstadt Conakry wurden mehr als 150 friedliche Demonstranten von den Sicherheitskräften außergerichtlich hingerichtet und mehr als 1500 weitere Personen verletzt. Zahlreiche Frauen wurden öffentlich vergewaltigt. Folter und andere Misshandlungen waren weit verbreitet. Zahlreiche Menschen wurden willkürlich in Gewahrsam gehalten, teilweise an geheimen Orten. Für die Sicherheitskräfte, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, galt weiterhin Straffreiheit. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten waren Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt.

Hintergrund

Im Januar 2009 schloss sich die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) der Afrikanischen Union (AU) an und suspendierte die Mitgliedschaft Guineas bis zur Wiederherstellung einer verfassungsmäßigen Ordnung. Präsident Moussa Dadis Camara, Chef der Militärjunta, die Ende 2008 die Macht ergriffen hatte, hatte versprochen, im Jahr 2009 Präsidentschaftswahlen abzuhalten, und zugesichert, dass dabei weder er noch ein anderes Mitglied des Nationalen Rats für Demokratie und Entwicklung (Conseil National pour la Démocratie et le Développement – CNDD) kandidieren würde. Die Popularität, die der CNDD zunächst genoss, schwand, als im Februar deutlich wurde, dass Präsident Camara nicht gewillt war, seine Zusage einzuhalten.

Nach dem Blutbad in einem Stadion in Conakry am 28. September (siehe unten) verhängten die ECOWAS und die EU ein Waffenembargo gegen Guinea. Außerdem belegten die AU und die EU Mitglieder der Militärjunta mit gezielten Sanktionen. Im Dezember wurde Präsident Camara bei einem Mordversuch verwundet. General Sékouba Konaté wurde Übergangspräsident.

Exzessive Gewaltanwendung und außergerichtliche Hinrichtungen

Die Sicherheitskräfte gingen 2009 gegen friedliche Demonstranten regelmäßig mit unverhältnismäßiger Gewalt vor, die zum Tod führen konnte. Diejenigen, die für widerrechtliche Tötungen verantwortlich waren, wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Bei mehreren Gelegenheiten forderten Mitglieder des CNDD die Bevölkerung auf, mutmaßliche Diebe zu lynchen.

  • Im August wurden in Kamsar eine Person getötet und zwei weitere schwer verletzt, als die Sicherheitskräfte Demonstrationen gegen Wasser- und Strommangel gewaltsam auflösten.

  • Am 28. September wurden mehr als 150 Personen außergerichtlich hingerichtet und über 1500 verletzt, als die Sicherheitskräfte eine friedliche Demonstration in einem Stadion von Conakry gewaltsam beendeten. Tausende Demonstranten waren dem Aufruf einer Koalition aus politischen Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen gefolgt und hatten sich in dem Stadion versammelt, um gegen die Kandidatur Präsident Camaras bei den für Januar 2010 angesetzten Präsidentschaftswahlen zu protestieren. Die Junta hatte die Demonstration verboten.

  • Am 30. September schleifte ein Soldat in Bomboli einen Mann über die Hauptstraße, bevor er ihn erstach. Der Leichnam des Mannes blieb auf der Straße liegen.

  • Im Stadtbezirk La Cimenterie in Conakry erstachen, ebenfalls am 30. September, Soldaten mit roten Baretten auf der Suche nach einem mutmaßlichen Anhänger der Opposition dessen 75-jährige Mutter.

Straflosigkeit

Für die Sicherheitskräfte galt weiterhin Straffreiheit. Die Untersuchungskommission, die 2007 eingerichtet worden war, um schwere Menschenrechtsverletzungen aus den Jahren 2006 und 2007 aufzuklären, führte keine einzige Ermittlung durch.

Im Oktober setzte der UN-Generalsekretär eine von der AU und der ECOWAS unterstützte Internationale Kommission (International Commission of Inquiry – ICI) ein, um die von den Sicherheitskräften Guineas im September begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Vergewaltigungen, zu untersuchen. Im Dezember legte die ICI dem Generalsekretär ihren Bericht vor, der nicht offiziell bekannt gemacht wurde. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass es gerechtfertigt sei, die am 28. September und unmittelbar danach verübten Straftaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Außerdem befand die Kommission, dass es ausreichende Gründe gebe, für die Verbrechen einzelne Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Dazu zählten neben Staatspräsident Moussa Dadis Camara auch der für den Kampf gegen Drogenhandel und das organisierte Verbrechen verantwortliche Minister für besondere Aufgaben, Kommandant Moussa Thégboro Camara, sowie der persönliche Adjutant des Präsidenten und Kommandant seiner persönlichen Leibwache, Leutnant Aboubacar Chérif Diakité.

Im Oktober leitete der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eine vorläufige Prüfung ein, um festzustellen, ob die am 28. September begangenen Verstöße in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fallen. Im selben Monat setzte die Militärjunta eine nationale Untersuchungskommission ein, die von den zivilgesellschaftlichen Organisationen des Landes boykottiert wurde.

Folter und andere Misshandlungen

Die Sicherheitskräfte wandten regelmäßig Folter und andere Formen von Misshandlung an, u. a. Vergewaltigungen, anhaltende Schläge und Verletzungen mit Messern. Auch wurden Gefangene an geheimen Orten ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert.

  • Die im Januar 2009 festgenommenen Soldaten (siehe unten) wurden bei ihrer Ankunft in den Militärkasernen auf der Insel Kassa geschlagen. Sie mussten sich ausziehen und sich mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf den Boden legen. Danach wurden sie getreten und geschlagen.

  • Personen, die nach dem Stadion-Massaker vom September festgenommen worden waren, wurden in geheimer Haft gefoltert. Menschen, die nach den Leichnamen ihrer Familienangehörigen oder Freunde suchten, wurden festgenommen und in Militärlagern geschlagen.

Gewalt gegen Frauen

Sexuelle Gewalttaten, darunter auch Vergewaltigungen, waren an der Tagesordnung, insbesondere im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 28. September 2009.

  • Zahlreiche Frauen berichteten Amnesty International, dass sie am 28. September im Stadion von Soldaten, u. a. auch von Angehörigen der Präsidentengarde, öffentlich vergewaltigt worden seien. Ärztliche Unterlagen aus dem Donka-Krankenhaus in Conakry belegen, dass mindestens 32 Demonstrantinnen vergewaltigt wurden. Mehrere Frauen, die nach ihrer Vergewaltigung festgenommen und zu einer Gesundheitsstation gebracht worden waren, wurden danach wieder inhaftiert. Sie verbrachten fünf Tage in Gewahrsam, wo sie unter Drogen gesetzt und erneut von Sicherheitskräften vergewaltigt wurden.

  • Der Leichnam einer Frau, die am 28. September festgenommen worden war, wurde einige Tage später ihrer Familie übergeben. Der Leichnam wies Spuren sexueller Gewalt und Brandmale auf, die von einem Bügeleisen herrührten.

  • Mindestens zwei Frauen, die vor der Internationalen Untersuchungskommission ICI als Zeuginnen ausgesagt hatten, erhielten Morddrohungen, nachdem die UN-Delegation Anfang Dezember abgereist war.

Menschenrechtsverteidiger

Namhafte zivilgesellschaftliche Gruppen, darunter die Guineische Menschenrechtsorganisation (Organisation Guinéenne des Droits de l’Homme – OGDH) und der Nationale Rat der Organisationen der Zivilgesellschaft (Conseil National des Organisations de la Société Civile) traten trotz Risiken, Drohungen und Einschüchterungen weiterhin für die Menschenrechte ein.

Nach den Ereignissen des 28. September wurde die OGDH im staatlichen Rundfunk und Fernsehen regelmäßig angegriffen.

  • Mouctar Diallo, der Vizepräsident der nationalen Menschenrechtskommission (Observatoire National des Droits de l’Homme), wurde am 26. November 2009 festgenommen. Er wurde zunächst im Militärlager Alpha Yaya in Conakry festgehalten und danach in das Haftzentrum PM III (Poste militaire III) überstellt. Eine Anklageerhebung gegen ihn erfolgte nicht, und der Besuch eines Rechtsanwalts war ihm untersagt. Die Behörden erklärten gegenüber Amnesty International, Mouctar Diallo werde ein Vergehen gegen die Staatssicherheit vorgeworfen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Zahlreiche Personen wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Wie viele Menschen am 28. September (siehe oben) festgenommen wurden, ist nicht bekannt.

  • Im Januar 2009 wurden mindestens zwölf Soldaten, darunter auch Offiziere der Armee, festgenommen und ohne Anklage im Militärlager Alpha Yaya festgehalten. Ein Großteil von ihnen hatte für den früheren Präsidenten Lansana Conté gearbeitet. Zwar wurden ihnen einige Familienbesuche erlaubt, nicht jedoch der Zugang zu einem Rechtsanwalt. Im August wurden elf der Gefangenen in ein Haftzentrum auf der Insel Kassa gebracht. Die Männer trugen nur Unterwäsche und waren mit Seilen aneinander gebunden. Auf der Insel Kassa wurden sie gefoltert und misshandelt (siehe oben). Besuche ihrer Familien waren nicht gestattet. Am 5. Dezember wurden sie in das Zentralgefängnis von Conakry und am 27. Dezember in Unterkünfte der Schnellen Einsatztruppe (Brigade d’intervention rapide) verlegt. Ende 2009 war noch keine Anklage gegen sie erhoben worden.

  • Vier Soldaten, unter ihnen Militäroffiziere, wurden im April 2009 festgenommen und bis zu ihrer Freilassung im Dezember ohne Anklageerhebung auf der Insel Kassa in Gewahrsam gehalten.

  • In der Zeit vor der Demonstration vom 28. September 2009 wurden Mitglieder der Fallschirmspringereinheit Bataillon autonome des troupes aéroportées (BATA) in mehreren Bezirken Conakrys eingesetzt, und zwar in Bomboli, Hamdalaye, Mapoto und Enco 5. Am 29. September führten sie in Bomboli eine Razzia durch, bei der sie Personen in ihren Wohnungen und auf der Straße festnahmen. Sie schlugen einige der Festgenommenen und verfrachteten sie in den Kofferraum von Fahrzeugen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung blieb weiterhin eingeschränkt. Besonders betroffen waren Journalisten, die über regierungskritische Demonstrationen berichteten oder die vom CNDD als regierungsfeindlich eingestuft wurden. Journalisten, die für private Rundfunksender arbeiteten, waren Einschüchterungen und Drohungen ausgesetzt. Einige von ihnen übten Selbstzensur aus, indem sie nur Musik sendeten, um keinen Anlass für eine Razzia zu bieten.

  • Im August 2009 wurde Diarougba Balde, ein Journalist, der für die Website Kibarou arbeitete, festgenommen, während er über eine Demonstration gegen den CNDD berichtete. Einige Stunden später kam er wieder frei.

  • Am 28. September 2009 bedrohten und überfielen Sicherheitskräfte die Rundfunkkorrespondenten Moctar Bah und Amadou Diallo, die für den französischen RFI bzw. für die britische BBC über die Demonstration gegen den CNDD berichteten. Soldaten zwangen sie, vor den Leichen getöteter Menschen niederzuknien. Ihre persönlichen Gegenstände wurden beschlagnahmt und ihre Ausrüstung zerstört.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Eine Delegation von Amnesty International besuchte Guinea im November, um Informationen zu sammeln und mit Behördenvertretern zu sprechen.

Guinea: What has happened to the civilians and soldiers of whom there is no news? (AFR 29/006/2009)

Guinea: Submission to the UN Universal Periodic Review (AFR 29/007/2009)

Guinea: Details of violence emerge – Amnesty calls for international commission of inquiry, 30 September 2009

Guinea: Call for suspension of military and police weapons transfers, 8 October 2009

Guinea: Evidence of new arrests, harassment and illegal detentions by security forces, 3 December 2009

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