Amnesty Journal 17. Juli 2012

Die Feinde im Inneren

Marc Thörner schaut sich "Die arabische Revolution und ihre Feinde" genauer an und entdeckt Ähnlichkeiten zwischen den islamistischen Gegnern der ­Moderne und ihren Widersachern.

Von Maik Söhler

In Syrien tobt noch die mörderische Repression des Regimes gegen die Bevölkerung, während in Ägypten, Libyen und Tunesien postrevolutionäre und teilweise extrem widersprüchliche Prozesse im Gange sind. In Afghanistan geht der "Krieg gegen den Terror" weiter, während die Herrschaftssysteme in Saudi-Arabien und Katar nicht nur unangetastet bleiben, sondern ihre Macht – auch ökonomisch und kulturell – immer weiter ausbreiten.

Die arabische Welt, die der deutsche Journalist Marc Thörner in seinem neuen Sachbuch "Die arabische Revolution und ihre Feinde" vor uns ausbreitet, ist alles andere als einheitlich. Als Reporter bereist er regelmäßig die Region und beobachtet die jüngsten Veränderungen. Er berichtet von Folter, Misshandlungen von Gefangenen und anderen Menschenrechtsverstößen im Libyen nach Gaddafi und schildert die wachsende Sympathie für die Islamisten in der libyschen Rebellenstadt Bengasi, in Tunesien und Ägypten.

Über Berichte, Gespräche und Reportagen hinaus hat das Buch auch eine These zu bieten. Und zwar eine, die es in sich hat. Nach Ansicht von Thörner orientieren sich die Islamisten in Nordafrika, Saudi-Arabien und Afghanistan an Visionen westlicher Anti-Aufklärer, um ihre Ziele zu erreichen: "Sozialhilfe für alle, technische Moderne, keine Aufklärung. (…) Statt politischer Freiheit: Freiheiten des Alltags, Konsum, unzählige Ventile, tolerierte Schlupflöcher. Vieles ist möglich, solange man die Macht des Herrschers nicht antastet."

Namentlich Hubert Lyautey hat es Thörner angetan, der als französischer Militärgouverneur von 1912 bis 1925 in Marokko moderne Formen der Verwaltung und Aufstandsbekämpfung etablierte, während gleichzeitig die traditionellen lokalen Macht- und Herrschaftsstrukturen gefördert wurden. Der Autor entdeckt viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Marokko von einst und dem Afghanistan von heute, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Nicht nur die Aufstandsbekämpfer der US-Armee berufen sich u.a. auf Lyautey, einige Ideen des reaktionären Antimodernisten und Monarchisten sollen über Umwege auch die Köpfe der Gegner der US- und ISAF-Truppen erreicht haben.

Die Stärke des Buches, nämlich sich die islamistischen Gegner der Moderne einmal genauer anzusehen, ist leider auch seine Schwäche: Die Beweisführung kommt über zwei, drei interessante Andeutungen nicht hinaus, eine steile These wird mit schlichten Argumenten unterlegt. Die weitere publizistische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema wird zeigen, ob die These zu halten ist. Eine Anregung zur Diskussion ist Thörners Buch jedoch allemal.

Marc Thörner: Die arabische Revolution und ihre Feinde. ­Edition Nautilus, Hamburg 2012. 160 Seiten, 12,90 Euro.

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