Amnesty Journal Kolumbien 23. Oktober 2023

"Ich weiß wofür"

Eine indigene Frau trägt Halsschmuck und Brille, sie sitzt in einem Büro.

2020 als beste indigene Journalistin Kolumbiens ausgezeichnet: Diana Jembuel

Indigene Journalist*innen sind in Kolumbiens Medienlandschaft die absolute Ausnahme. Dazu gehört Diana Jembuel. Die preisgekrönte Journalistin arbeitet derzeit als Generalsekretärin in der indigenen Selbstverwaltung und am Aufbau alternativer Mediennetzwerke.

Interview: Knut Henkel

Journalist*innen in Kolumbien sind gefährdet. Investigative Recherchen zu Bürgerkrieg, Drogenschmuggel und Investitionsprojekten sind oft riskant. Sind Sie schon bedroht oder attackiert worden?

Ja, ich bin von der Guerillaorganisation ELN direkt bedroht worden, als ich zusammen mit anderen Angehörigen meiner Gemeinschaft einen jungen Mann befreit habe, den die Rebellen rekrutieren wollten. Ich bin danach mehr als einen Monat lang verfolgt worden. Damals, vor fünf Jahren, war ich am Zweifeln, hatte Angst.

Dennoch haben Sie weitergearbeitet.

Ja. Ich habe weitergemacht, wie es mir meine Großmutter eingetrichtert hatte: Jede ist für etwas Bestimmtes gemacht, hat sie immer gesagt. Ich weiß wofür.

Warum sind Sie Journalistin geworden?

Weil ich Glück hatte und nie etwas anderes wollte. Dank eines Stipendiums konnte ich Journalismus studieren und gehöre nun zu den wenigen indigenen Journalist*innen in Kolumbien. Oder kennen Sie eine indigene Journalistin in einer der großen Redaktionen des Landes? Nein – und genau das muss sich ändern. Schon als kleines Mädchen ist mir aufgefallen, wie diskriminierend über uns Indigene in den Medien berichtet wurde – wir waren die aus dem Dschungel. Das hat mich verletzt, und fortan habe ich mir gewünscht, eines Tages dazu beizutragen, dieses Stigma aufzulösen. Dabei hat mir meine Mutter geholfen. Sie hat mich und meine beiden Schwestern als Jugendliche zu unserem lokalen Radiosender Namuy Wam Estéreo geschickt. Da habe ich meine ersten journalistischen Gehversuche gemacht. Später habe ich dann Medienkurse belegt.

Wie war es Ihnen möglich, für das Studium nach Bogotá zu gehen?

Auslöser war, dass der Leiters des Stipendienprogramms der Universidad Externando zu uns nach Silvia kam. Er ermutigte mich, meinen Lebenslauf an die Universität zu schicken. Kurz darauf, im Januar 2012, erhielt ich eine Einladung zu einem Vorstellungstermin in Bogotá, also packte ich ein paar Sachen.

War das ein Wendepunkt in Ihrem ­Leben?

Ja, ohne Zweifel. Allerdings sollte ich auf Wunsch der Auswahlkommission Anthropologie oder Soziologie studieren. Das war ernüchternd. Und meine Mutter, die meine beiden kleinen Kinder in ihre Obhut nehmen sollte, wollte, dass ich ein traditionelles Leben in patriarchalen Strukturen führe. Das war hart.

Wie haben Sie sich aus dieser Klemme befreit?

Meiner Mutter erklärte ich, dass ich die Chance wahrnehmen müsse. Und der Fakultät teilte ich mit, dass ich einzig und allein Journalismus studieren würde. Die Dekane schluckten, fanden aber eine Lösung. Und so saß ich ein paar Stunden später bereits im Seminar, wo etliche der Studierenden erst dachten, ich sei die Dozentin. Sie hatten noch nie eine indigene Frau gesehen.

Wie sind Sie mit dieser Achterbahnfahrt zurechtgekommen?

Gar nicht. Ich wurde krank, hatte Heimweh und war einsam. Ich war kurz davor abzubrechen. Doch dann kamen mir Studienkolleg*innen und Dozent*innen zu Hilfe: Die einen forderten mich auf, meine Chance zu ergreifen, die anderen nahmen mich in die Verantwortung. Sie ließen mich Seminare halten: über die Geschichte Kolumbiens, indigene Kommunikation, indigene Justiz und vieles mehr. Das hat mich motiviert, und am Ende des Seminars hatten alle einen detaillierten Einblick in die indigene Realität und Geschichte. Und ich konnte mit den Seminaren, die ich später auch an anderen Universitäten abhielt, Dinge finanzieren, die das Stipendium nicht abdeckte.

Schon als kleines Mädchen ist mir aufgefallen, wie diskriminierend über uns Indigene in den Medien berichtet wurde – wir waren die aus dem Dschungel. Das hat mich verletzt.

Geben Sie auch heute noch Seminare?

Ich nehme hin und wieder an Journalismuskonferenzen teil und referiere für die eine oder andere Universität zu Themen wie indigener Rechtsprechung, indigener Kultur oder interkulturellem Journalismus.

Haben Sie nach dem Studium direkt als Journalistin gearbeitet?

Ich habe nach dem Bachelor zwei Jahre in Bogotá bei der indigenen Juristinnen­organisation Akubadaura als Presseverantwortliche gearbeitet. Zum einen wollte ich ökonomisch unabhängig sein, zum anderen wollte ich wissen, wie es ist, als Indigene in einer Organisation zu arbeiten: sowohl an der Uni als auch außerhalb. Ich wollte mich ausprobieren. Danach habe ich meinen Master gemacht.

Warum Akubadaura?

Akubadaura ist eine Organisation indigener Frauen, die abgelegenen indigenen Gemeinschaften zur Seite steht, Konzepte entwickelt, sie berät und bei Bedarf juristisch vertritt. Parallel dazu kümmert sich Akubadaura um die Aus- und Weiterbildung indigener Juristinnen, wie etwa María Patricia Tobón, die für die Wahrheitskommission gearbeitet hat. Sie hat mich darin bestärkt, den Master zu machen. Denn qualifizierte, engagierte Frauen sind nach wie vor zu selten in unseren Strukturen zu finden. Das muss sich ändern, und dabei müssen wir unsere eigenen authentischen Sprachen und unsere Identität bewahren.

Welche Rolle spielt dabei der Journalismus?

Er begleitet, unterstützt, visualisiert den Wandel – nach innen und außen. Interkultureller Journalismus endet nicht mit der Reportage, dem Bericht, dem Interview. Er begleitet die indigene Gemeinschaft, er hört zu. Wir verfolgen ein integrales Kommunikationskonzept. Journalismus in den Gemeinden ist auch ein Weiterbildungsansatz, und dem fühle ich mich verpflichtet – innerhalb und außerhalb meiner eigenen Gemeinschaft. Ich habe nach meiner Rückkehr nach Silvia 2020 Workshops gegeben und zum Beispiel Jugendlichen erklärt, wie sie ihr Mobiltelefon für Berichterstattung nutzen können. Heute gibt es ein Netzwerk indigener Expert*innen, die das weiterführen, vor allem online.

Wie kam es dazu, dass Medien in indigenen Gemeinschaften mittlerweile eine so große Rolle spielen?

Die fast viermonatigen Proteste im Jahr 2021, bei denen auch Statuen von Kolonisatoren gestürzt wurden, haben deutlich gemacht, wie wichtig Kommunikation ist – vor allem in den Online-Netzwerken. Anders als in anderen Bevölkerungsschichten spielt Fernsehen in indigenen Gemeinschaften keine große Rolle, wesentlich bedeutender sind das kommunale Radio und inzwischen auch die Online-Netzwerke – vor allem Facebook. Darüber gelangen jedoch auch viele Fehlinformationen in Umlauf. Daher ist es für uns wichtig, alternative Kanäle in eigener Sprache zu etablieren. Wir brauchen fundierte Informationen.

Was unterscheidet die indigene Berichterstattung von der in traditionellen Medien?

Medien sollten auf Missstände hinweisen – auf Umweltdelikte, illegalen Bergbau oder Angriffe auf unsere Autoritäten. Das findet in den traditionellen Medien Kolumbiens jedoch kaum bis gar nicht statt. Indigene Berichterstatter*innen wurden Opfer von Angriffen im Cauca, wie 2017 die Kollegin Efigenia Vásquez von der Gemeinschaft der Kokonuko oder die Reporterin von Radio Payumat Beatriz Cano, die im Juni 2021 nach einem Attentat verstarb.

Der Cauca zählt zu den gefährlichsten Regionen in Kolumbien. Haben sich die Bedingungen für journalistische Arbeit dort unter dem neuen linken Präsidenten Gustavo Petro seit dem vergangenen Jahr verbessert?

Ja, der Regierungswechsel hat sich positiv bemerkbar gemacht, der Druck auf indigene Berichterstatter*innen ist im Vergleich zu den Vorgängerregierungen von Álvaro Uribe, Juan Manuel Santos und Iván Duque deutlich zurückgegangen. Der bewaffnete Konflikt um die Kontrolle etlicher Regionen und Drogenkorridore schwelt aber weiter. Für Menschenrechtsaktivist*innen, darunter viele Indigene, ist der Cauca nach wie vor gefährlich.

Sind die indigenen Gemeinschaften Kolumbiens heute medial sichtbarer als noch vor zehn Jahren?

Ja, es wird mehr berichtet, aber wir sind weit davon entfernt, dass kontinuierlich und unvoreingenommen berichtet wird. Doch es gibt eine Reihe positiver Signale. Ein privater Medienkonzern wie Caracol sucht heute seinen Nachwuchs auch in indigenen Gemeinschaften – das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen. Workshops von öffentlichen Medien sind üblich, und hinzu kommt die Förderung unserer kommunalen Radionetzwerke durch internationale Medien wie die Deutsche Welle.

Es gibt mit Agenda Propia jetzt eine erste indigene Presseagentur. Und Sie sind 2020 als beste ­indigene Journalistin Kolumbiens ausgezeichnet worden. Hilft das Ihrer Sache?

Sicherlich sind das Erfolge, die uns sichtbarer machen. Sie zeigen dem Mediensystem, dass es lange auf einem Auge blind war und es oft auch noch ist. Ich bin als Beraterin bei der Agenda Propia dabei. Mittelfristig planen wir, ein Büro in Bogotá zu eröffnen.

Diana Jembuel wurde 2020 als beste indigene Journalistin Kolumbiens ausgezeichnet. Die 38-Jährige arbeitet derzeit als General­sekretärin der autonomen Verwaltung der ­indigenen Gemeinschaft der Misak in der Provinz Cauca im Südwesten Kolumbiens.

Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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