Amnesty Journal Iran 14. September 2023

Eindringliches Plädoyer gegen die Todesstrafe

Eine junge Frau mit Kopftuch steht in einem Gerichtssaal vor einem Redepult und gestikuliert mit ihren beiden Händen.

Ein Standardwerk des politischen Films: Steffi Niederzoll erzählt in "Sieben Winter in Teheran" vom Schicksal Reyhaneh Jabbaris, die im Iran hingerichtet wurde.

Von Jürgen Kiontke

"Die Schmerzen über den Verlust enden nie." Wenn Shole Pakravan über ihre Tochter spricht, ist es, als sei Reyhaneh Jabbari erst gestern hingerichtet worden. Die Mutter hat das Todesurteil gegen ihre Tochter, die 2014 in einem iranischen Gefängnis hingerichtet wurde, zum Ausgangspunkt ihres Kampfes gegen die Todesstrafe gemacht.

Der Film erzählt die Vorgeschichte: Im Jahr 2007 hatte sich der ehemalige Geheimdienstarbeiter Morteza Abdolali Sarbandi als Arzt ausgegeben und die damalige Studentin Reyhaneh, die nebenberuflich als Innenarchitektin tätig war, angesprochen. Er hatte sie unter einem falschen Vorwand in eine Wohnung gelockt – angeblich sollte sie ihm bei der Einrichtung einer Praxis helfen. Dann vergewaltigte er sie, und Reyhaneh erstach ihn in Notwehr. Sie wurde wegen Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt.

Unregelmäßigkeiten im Prozess

Der Prozess gegen die junge Frau war von vielen Unregelmäßigkeiten geprägt: Beweismittel wurden nicht berücksichtigt oder unterschlagen, man tauschte den Richter aus und verweigerte der Angeklagten einen Rechtsbeistand. Nicht zuletzt aufgrund des Engagements der Mutter wurde der Fall international bekannt. Menschenrechtsorganisationen und politische Institutionen weltweit intervenierten. Hunderttausende Menschen unterzeichneten eine Petition, in der sie eine Aufhebung des Urteils  forderten.

Die Familie des Mannes hatte nach iranischem Recht die Möglichkeit, das Urteil auszusetzen. Der älteste Sohn, Jalal Sarbandi, forderte, Reyhaneh solle den Vorwurf der Vergewaltigung zurücknehmen. Doch die junge Frau verweigerte genau dies. 2014 wurde sie hingerichtet, im Alter von 26 Jahren. Und gemäß iranischem Recht war Jalal Sarbandi, derjenige, der das Todesurteil vollstreckte. "Unsere Tochter wurde exekutiert. Wir durften sie noch ein letztes Mal besuchen", sagte Shole Pakravan, die inzwischen mit ihren beiden anderen Töchtern im deutschen Exil lebt, im Oktober 2022 dem Amnesty Journal.Anlässlich einer von Amnesty International und der Organisation Ensemble contre la peine de mort (ECPM) organisierten Filmreihe zum Weltkongress gegen die Todesstrafe in Berlin im November 2022 nahm Shole Pakravan an Podiumsgesprächen teil. Sie sprach über das Schicksal ihrer Tochter, das sie zu einer engagierten Kämpferin gegen die Todesstrafe machte. Die gegenwärtige Hinrichtungswelle gegen Demonstrierende im Iran hat ihrem Engagement und der Diskussion erneut Auftrieb gegeben.

Nach einem Buch (Shole Pakravan, Steffi Niederzoll: "Wie man ein Schmetterling wird", Berlin Verlag, 24 Euro) kommt nun ein Film in die Kinos, der die Ereignisse nachzeichnet. "Sieben Winter in Teheran" ist das Dokumentarfilmdebüt von Steffi Niederzoll, das auf der Berlinale 2023 Weltpremiere hatte und dort auch für den Amnesty-International-Filmpreis nominiert war.

Für mich war von Anfang an klar, dass die privaten Aufnahmen das Herzstück des Films sein müssen, obwohl ihre technische Qualität manchmal gering ist oder sie verwackelt sind. Sie haben eine unglaubliche Kraft, geben uns Einblicke in Orte, die sonst verschlossen sind.

Steffi
Niederzoll
Filmemacherin

Niederzoll verwendet originales Ton- und Filmmaterial, das im Iran entstand. Sie kontrastiert private Handybilder und Videosequenzen der Familie mit Bildern aus Polizei- und Gerichtsgebäuden. Einerseits spielende Kinder, die mit einem Hund herumtollen, und Familienfeiern. Andererseits Alltagsszenen aus Teherans Behördenapparat, heimlich gefilmtes Material von Polizeikontrollen. Zusätzlich stellt die Regisseurin Szenen in der Wohnung nach, in der die junge Frau überfallen wurde, ebenso das Leben in den Gefängniszellen und die Vorgänge im Gerichtsaal.

"Für mich war von Anfang an klar, dass die privaten Aufnahmen das Herzstück des Films sein müssen, obwohl ihre technische Qualität manchmal gering ist oder sie verwackelt sind. Sie haben eine unglaubliche Kraft, geben uns Einblicke in Orte, die sonst verschlossen sind", sagt Niederzoll. Und es sind drastische Momente – etwa der Augenblick, in dem Reyhaneh ihre Mutter anruft, um ihr zu sagen, dass man sie nun zur Hinrichtung abholt.

Intensive Recherche und akribische Gerichtsreportage

Sie habe zeigen wollen, welche Auswirkungen ein Todesurteil auf eine Familie habe, sagt die Regisseurin. Ihre Versuche, die Familie Sarbandi zu kontaktieren, liefen ins Leere. Auch die Richter habe sie nicht vor die Kamera bekommen. Die Arbeiten am Film waren alles andere als einfach, Außenaufnahmen in Teheran nur konspirativ möglich. Den roten Faden bilden Textcollagen aus Briefen, Interviews und Telefongesprächen der Familienmitglieder. Gesprochen werden sie von der Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi in der Rolle der Reyhaneh. Ebrahimi war kürzlich als Hauptdarstellerin des bedrückenden Spielfilms "Holy Spider" zu sehen, der ebenfalls von Verbrechen und Todesstrafe erzählt.

"Sieben Winter in Teheran" ist zugleich intensive Recherche und akribische Gerichtsreportage. Ein Film darüber, wie ungerechte Urteile zustande kommen und wie ein machtabhängiges Justizsystem funktioniert, in dem der Prozessausgang oft schon feststeht.

Pakravan, die 2017 aufgrund zu erwartender Repressionen den Iran verlassen musste, engagiert sich von Deutschland aus in einem Netzwerk, das die aktuellen Missstände im Iran anprangert. Auch jetzt sitzen Menschen in den Todeszellen, werden hingerichtet. Sie hofft, dass der Slogan der Protestbewegung "Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit" Wirklichkeit" wird und sie mit ihren Töchtern wieder in den Iran zurückkehren kann. Dort lebt noch ihr Mann, Fereydoon Jabbari. Anders als sie konnte er nicht ausreisen, sein Pass wurde eingezogen. "Er lebt allein in Teheran, er hat nur das Grab der Tochter", sagt Pakravan. Weitere Verwandte gebe es nicht. Ihre Hoffnung ist, dass der Film "Sieben Winter in Teheran" etwas verändern kann: "Es wäre großartig, wenn er zu mehr Verständnis für die Opfer und zu mehr Druck auf die iranische Regierung führen würde. Jede einzelne Hinrichtung, die vermieden werden kann, ist ein Erfolg."

Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

"Sieben Winter in Teheran". D/F 2023. Regie: Steffi Niederzoll. Kinostart: 14. September 2023.

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