Amnesty Journal Deutschland 14. Dezember 2022

2023 – Nichts zu lachen?

Das Bild zeigt eine Porträt von Markus N. Beeko

Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland

Krieg in Europa, Klimakrise, Energieknappheit, Inflation und Angst vor Altersarmut – können wir trotz allem hoffnungsvoll aufs kommende Jahr blicken? Kolumne von Markus N. Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

Von Markus N. Beeko

Silvesterfan oder Silvestermuffel? Die einen stoßen auf die Zukunft an und "rutschen" feiernd ins neue Jahr. Sie fassen Vorsätze, machen Pläne und verbinden das neue Jahr mit Hoffnung. Andere können dem Trubel wenig abgewinnen und empfinden zum Jahreswechsel vor allem Unsicherheit; für wieder andere hat er wenig Bedeutung. Die Zahl der Silvestermuffel ist wohl größer geworden. Denn in diesem Jahr gab es nicht viel zu lachen.

Nach zwei Jahren Pandemie war Ende des Jahres 2021 die Hoffnung auf bessere Zeiten groß. Es folgten der russische Angriff auf die Ukraine, Inflation und Energieunsicherheit. Berichte über Kriegsverbrechen, über Bombenterror auf die Zivilbevölkerung, über Tod, Leid und Zerstörung gehören nun zu den Nachrichten.

Der Weltklimarat (IPCC) veröffentlichte zwei Berichte, die vor der Klimakatastrophe warnen; aber wieder hat die Weltklimakonferenz keine Kehrtwende der Politik gebracht und keine Entwarnung. Selbst von der Fußball-WM konnten sich viele nicht begeistern lassen, ist sie doch eng mit Ausbeutung und Diskriminierung verknüpft – und mit Opfern, die immer noch auf eine Entschädigung der FIFA und der katarischen Regierung warten.

Viele Menschen schauen sorgenvoll auf das kommende Jahr: Nach einem kürzlich vom Forschungsinstitut Forsa erhobenen Stimmungsbild fürchten sich 59 Prozent der Menschen in Deutschland vor Naturkatastrophen im Zuge der Klimakrise, 53 Prozent vor einer Ausweitung des Kriegs in der Ukraine und 52 Prozent vor hohen Energiekosten. Und nach einer Studie vom April sorgen sich besonders junge Menschen: Sie haben Angst vor Inflation (71 Prozent), mehr Krieg in Europa (64 Prozent), Klimawandel (55 Prozent), Energieknappheit (49 Prozent) und Altersarmut (43 Prozent).

Bei so viel Zukunftsangst bekommt ein japanisches Sprichwort neue Bedeutung: "Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der Teufel." Sollten wir also besser kein weiteres Wort über den Jahreswechsel verlieren?

So besorgniserregend viele Entwicklungen waren, so zeigen sie auch, was es im kommenden Jahr braucht: Klarheit und mutige Entscheidungen.

Ich bin Neujahrsfan! Nicht wegen der Silvesterparty. Mir bringt ein Jahreswechsel Zeit und Muße, um innezuhalten, Luft zu holen und zurückzuschauen. Um Dinge hinter sich zu lassen und Neues in den Blick zu nehmen. Auch ich schaue pessimistisch auf die Weltlage, aber als "hoffnungsloser Romantiker" gilt mein Blick dem Möglichen und Handlungsspielräumen – darin liegt die Hoffnung.

Getreu Hermann Hesses bekanntem Satz "jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" sammle ich Kraft und nehme mir vor, das Bes­te aus den Dingen zu machen, egal was kommt. Wo wenig Zuversicht ist, braucht es zumindest Zutrauen. Der Blick zurück hilft dabei, auch in diesem Jahr. So besorgniserregend viele Entwicklungen waren, so zeigen sie auch, was es im kommenden Jahr braucht: Klarheit und mutige Entscheidungen.

Aus Russlands Aggression sollten wir auch etwas für den künftigen Umgang mit China oder Indien lernen. Die Protestierenden im Iran brauchen von Deutschland und der internationalen Gemeinschaft konkrete und unmissverständliche Solidarität, nicht zaghafte Lippenbekenntnisse wie noch bei den Demonstrationen 2019. Aus der Fußball-WM in Katar kann folgen, dass Menschenrechte zukünftig bei der Ausrichtung von Sportgroßereignissen Beachtung finden.

Möglich, dass der Teufel bei diesen Gedanken zum Lachen ansetzt. Ich halte es mit der Kölner Band Bläck Fööss, die 1984 Umweltzerstörung, Lebensmittelknappheit und Wettrüsten besangen, aber trotzig erklärten: "Mer klävve wie d’r Düvel am Lääve, uns Kölsche nimmp keiner – ejal wat och weed – dä Spaß für ze laache, dä Bock jet ze maache." ("Wir kleben wie der Teufel am Leben, uns nimmt keiner – egal was auch wird – den Spaß am Lachen, den Bock, was zu machen.")

Markus N. Beeko ist Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

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