Aktuell Saudi-Arabien 07. Januar 2016

Saudi-Arabien: Ein Jahr blutiger Unterdrückung

Saudi-Arabien: Ein Jahr blutiger Unterdrückung

Amnesty-Mahnwache für Raif Badawi vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin im April 2015

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08. Januar 2016 – Ein Jahr nach der vollzogenen Körperstrafe gegen Raif Badawi ist es um die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien noch schlechter bestellt als zuvor, so das Fazit von Amnesty International. Der Blogger wurde am 9. Januar 2015 öffentlich mit Stockhieben bestraft, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatte. Bei einer Protestaktion vor der saudi-arabischen Botschaft übergab Amnesty International mehr als 210.000 Unterschriften für die Freilassung von Raif Badawi und seinem Anwalt Waleed Abu al-Khair.

Vor Kurzem hat das Königreich an einem einzigen Tag 47 Personen hinrichten lassen, darunter auch den bekannten schiitischen Geistlichen Scheich Nimr Baqir al-Nimr. Seine Exekution führte in der Region zu einer Welle heftiger Proteste.

Zwar gab es im Dezember 2015 die begrüßenswerte Nachricht, dass Frauen in Saudi-Arabien an Kommunalwahlen teilnehmen dürfen, dennoch wird dort nach wie vor scharf gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vorgegangen. Zudem führte das Königreich eine verheerende Luftangriffsserie im Jemen durch, die von schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich Kriegsverbrechen, gezeichnet war.

"Ein Jahr nach dem internationalen Sturm der Entrüstung über den öffentlichen Vollzug der Prügelstrafe an Raif Badawi befinden sich der Blogger und zahlreiche weitere gewaltlose politische Gefangene nach wie vor im Gefängnis und somit in Gefahr, für ihren friedlichen Aktivismus grausam bestraft und misshandelt zu werden", so James Lynch, Experte für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Repressionen gegen Aktivisten

"Immer mehr Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger werden in Saudi-Arabien unter dem Antiterrorgesetz von 2014 zu langen Haftstrafen verurteilt, während die Verbündeten des Königreichs die dort herrschende Repression im Namen des sogenannten 'Krieg gegen den Terror' schamlos unterstützen", so James Lynch.

Zu den inhaftierten Personen zählt auch der Rechtsanwalt von Raif Badawi, Waleed Abu al-Khair. Er ist der erste Menschenrechtsverteidiger, der unter dem Antiterrorgesetz vom Februar 2014 verurteilt wurde. Ein faires Verfahren hatte er nicht erhalten. Viele weitere Personen wurden 2015 gemäß den Bestimmungen dieses Gesetzes verurteilt, zum Beispiel die Menschenrechtler Dr. Abdulkareem al-Khoder und Dr. Abdulrahman al-Hamid, die ebenfalls kein faires Verfahren erhalten haben. Beide sind Gründungsmitglieder der mittlerweile aufgelösten unabhängigen saudi-arabischen Organisation für bürgerliche und politische Rechte (ACPRA).

Unabhängige Menschenrechtsorganisationen sind in Saudi-Arabien weiterhin verboten, und ihre Gründungsmitglieder werden unter dem Vorwurf, "unerlaubte Organisationen" gegründet zu haben, zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Alle öffentlichen Versammlungen, einschließlich friedlicher Demonstrationen, sind im Zuge einer 2011 vom Innenministerium herausgegebenen Anordnung nach wie vor untersagt.

Und das Antiterrorgesetz von 2014 sowie das berüchtigte Sonderstrafgericht, das für "terrorismusbezogene" Straftaten zuständig ist, werden von den Behörden dazu genutzt, systematisch gegen jegliche Form von Aktivismus vorzugehen. Dazu gehört auch, dass schiitische Aktivistinnen und Aktivisten in unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und dann hingerichtet werden, wie im Fall von Scheich Nimr Baqir al-Nimr. Der bekannte schiitische Geistliche und offene Regierungskritiker ist am 2. Januar 2016 gemeinsam mit drei weiteren schiitischen Aktivisten exekutiert worden.

"Grausame Hinrichtungsserie"

Ali al-Nimr, der Neffe von Scheich Nimr Baqir al-Nimr, und die schiitischen Aktivisten Dawood al-Marhoon und Abdullah al-Zaher wurden als Minderjährige festgenommen. Alle drei wurden nach Gerichtsverfahren, die bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Verfahren entsprachen, zum Tode verurteilt. Grundlage für ihre Verurteilungen waren "Geständnisse", die ihren Angaben zufolge durch Folter erzwungen worden waren. Das Gericht weigert sich jedoch, die Foltervorwürfe zu untersuchen.

"Die Behörden gehen erbarmungslos gegen jede Art von Dissens vor und haben in diesem Zusammenhang auch die Todesurteile gegen drei mutmaßliche jugendliche Straftäter aufrechterhalten, die lediglich auf 'Geständnissen' beruhen, die nach Angaben der drei Aktivisten durch Folter erzwungen wurden. Dies ist ein unerhörter Verstoß gegen das Völkerrecht", sagt James Lynch.

"Gleichzeitig wird die grausame Hinrichtungsserie immer weiter ausgeweitet: Zwischen Januar und November 2015 wurden in Saudi-Arabien mindestens 151 Personen exekutiert, so viele Menschen wie seit 1995 nicht mehr", erklärt Lynch. "Fast die Hälfte der hingerichteten Personen war für Straftaten zum Tode verurteilt worden, die gemäß dem Völkerrecht nicht mit dem Tod geahndet werden dürfen."

Hunderte Tote bei Luftangriffen im Jemen

Saudi-Arabien führt außerdem ein Militärbündnis an, das seit März 2015 tausende Luftangriffe auf Gebiete im Jemen geflogen hat, welche von der bewaffneten Huthi-Gruppe kontrolliert werden. Bereits Hunderte Zivilpersonen sind bei den Angriffen getötet worden, bei denen auch zivile Infrastruktur wie Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Fabriken, Stromkraftwerke, Brücken und Straßen bombardiert wurden. Recherchen von Amnesty International zufolge sind diese Luftangriffe oftmals unverhältnismäßig oder willkürlich, und in einigen Fällen scheinen Zivilpersonen bzw. zivile Einrichtungen gezielt ins Visier genommen worden zu sein.

Manche der Waffen, die das Militärbündnis unter der Führung Saudi-Arabiens gegen zivile Ziele im Jemen eingesetzt hat, wurden in den USA und in Großbritannien produziert und/oder entwickelt. Die US-amerikanische und britische Regierung unterstützen das Bündnis zudem mit logistischer Hilfe und Geheimdienstinformationen.

"Verbündete Saudi-Arabiens, wie die USA und Großbritannien, sollten ihre engen Beziehungen zum Königreich dazu nutzen, die dortige Regierung – auch öffentlich – anzuhalten, ihre Menschenrechtsbilanz zu verbessern und bei der Offensive gegen den Jemen völkerrechtskonform vorzugehen. Ihr Schweigen und ihre anhaltenden Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien sind nicht vertretbar", so Lynch.

Hintergrund
Am 9. Januar 2015 vollstreckte ein Sicherheitsbeamter an Raif Badawi auf einem öffentlichen Platz in Dschidda die Prügelstrafe. Der Blogger erhielt 50 Stockhiebe. Im Mai 2014 war er zu insgesamt zehn Jahren Haft, 1.000 Stockhieben und einem Reise- und Medienverbot verurteilt worden, weil er eine Webseite zum öffentlichen Meinungsaustausch gegründet hatte und "den Islam beleidigt" haben soll.

Der weitere Vollzug der Prügelstrafe wurde ausgesetzt, zunächst aus gesundheitlichen und seitdem aus nicht näher bekannten Gründen.

Seit Amnesty International den Fall von Raif Badawi im internationalen Briefmarathon 2014 aufgriff, haben Menschen auf der ganzen Welt über eine Million Nachrichten zur Unterstützung des inhaftierten Bloggers geschrieben. Im Jahr 2015 war sein Rechtsanwalt Waleed Abu al-Khair einer der Fälle des Briefmarathons.

Aktion vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin

Amnesty International hat am 8. Januar 2016 vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin für die Freilassung von Raif Badawi und aller anderen inhaftierten Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten protestiert. Bei der Aktion wurden mehr als 210.000 Unterschriften übergeben, die allein in Deutschland für Badawi und Abu al-Khair gesammelt worden waren.

Amnesty-Aktion vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin am 8. Januar 2016

Amnesty-Aktion vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin am 8. Januar 2016

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