Aktuell Saudi-Arabien 03. Juni 2009

Beleidigung des Rechts

Wer wird in Saudi-Arabien hingerichtet?

In Saudi-Arabien hat sich die Zahl der Hinrichtungen in den letzten zwei Jahren stark erhöht. 2007 fanden dort mindestens 158 Exekutionen statt, das entspricht etwa dem Vierfachen der 2006 bekannt gewordenen Hinrichtungen. Im Jahr 2008 wurden bis zum 5. Dezember mindestens 92 Todesurteile vollstreckt.
Todesstrafen werden oft nach im Wesentlichen geheimen und grob unfairen Prozessen verhängt, was nicht nur den Verurteilten selbst, sondern auch deren Angehörigen großes Leid zufügt. Viele der Angeklagten - von denen Dutzende hingerichtet werden - erhalten die Todesstrafe nachdem sie eines nicht mit Gewalt verbundenen oder vage formulierten Delikts für schuldig befunden wurden. Sie bekommen ein Schnellverfahren und haben oft keinen Rechtsbeistand, der sie verteidigt. Sie sind somit fast überhaupt nicht vor einem Justizirrtum geschützt. Todesurteile werden durch Enthaupten mit einem scharfen Schwert vollstreckt. Dies erfolgt in der Regel öffentlich.

Kein Schutz für arme Migrantinnen und Migranten

Mehr als die Hälfte derer, von denen bekannt ist, dass sie in den letzten 23 Jahren in Saudi-Arabien hingerichtet wurden, waren ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Bei diesen mindestens 830 Personen handelte es sich zumeist um Gastarbeiter aus armen asiatischen oder afrikanischen Entwicklungsländern, vor allem aus Pakistan und Nigeria. Allzu oft erhielten sie weder Rechtsberatung noch eine Verteidigung. Die Regierungen ihrer Heimatländer setzten sich nicht in ausreichendem Maße für sie ein, um dafür zu sorgen, dass sie ein faires Gerichtsverfahren erhalten oder begnadigt werden. Für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus armen Ländern sind im Schnellverfahren und geheim durchgeführte Prozesse besonders gefährlich, da sie viel seltener begnadigt werden als saudi-arabische Staatsangehörige. Oft befinden sie sich allein in dem fremden Land und können damit nicht ihre Angehörigen um Hilfe bitten. Ihr Prozess wird auf Arabisch geführt, oft wird aber nicht gedolmetscht, so dass sie nicht genau wissen, was in dem Verfahren geschieht. Manche bemerken nicht einmal, dass sie am Ende des Gerichtsverfahrens zum Tode verurteilt worden sind. Tatsächlich erfahren einige Verurteilte erst am Morgen ihrer Hinrichtung von ihrem Todesurteil.

Frauen, ob Ausländerinnen oder nicht, werden sehr leicht Opfer von Benachteiligung. Nach Aufzeichnungen von Amnesty International sind seit 1990 mindestens 40 Frauen in Saudi-Arabien exekutiert worden. Von diesen waren wenigstens 40 Prozent für Straftaten verurteilt worden, die nicht unmittelbar den Tod eines Menschen zur Folge hatten. Die Mehrheit der Frauen waren Arbeitsmigrantinnen aus Entwicklungsländern. Trotz schwerer Benachteiligung in der saudi-arabischen Gesellschaft aufgrund ihres Geschlechts, werden Frauen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, von Männern verhaftet, verhört und verurteilt. Die damit einhergehende Einschüchterung, Scham und Angst werden einfach ignoriert.

Haleema Nissa Cader, eine Frau aus Sri Lanka, wurde im November 2005 verhaftet. Laut Presseberichten verhängte im Juni 2007 ein Gericht in Dschiddah die Todesstrafe gegen sie, ihren indischen Ehemann Naushad Nissa Cader sowie einen weiteren Mann aus Sri Lanka namens K.M.S. Bandara-naike. Sie wurden im Zusammenhang mit dem Mord an einer Frau verurteilt, zu dem es während eines Raubüberfalls auf deren Wohnung gekommen war. Es heißt, dass sich das Gerichtsverfahren zurzeit in der Berufungsphase befände. Da aber keine weiteren Einzelheiten bekannt sind, könnte ihre Hinrichtung unmittelbar bevorstehen.

’Issa bin Muhammad ’Umar Muhammed

Im Februar 2008 wurden fünf junge Männer von einem Gericht in Medina zum Tode verurteilt, nachdem sie des Raubes und der Körperverletzung für schuldig befunden worden waren. Laut dem Urteil wurden sie wegen Taten verurteilt, die dem in den Gesetzen der Scharia aufgeführten Delikt des "Korruptseins auf Erden" gleichkamen.

Zwei der fünf waren zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Verbrechen unter 18 Jahre alt - Sultan Bin Sulayman Bin Muslim al-Muwallad, ein saudi-arabischer Staatsbürger, und ’Issa Bin Muhammad ’Umar Muhammad, ein tschadischer Staatsbürger, beide 17 Jahre alt. Sie wurden zum Tode verurteilt, obwohl Saudi-Arabien das Übereinkommen über die Rechte des Kindes ratifiziert hat, welches die Verhängung der Todesstrafe gegen zur Tatzeit unter 18-jährige verbietet.

Minderjährige werden nicht verschont

Saudi-Arabien hat keine eindeutigen Rechtsgarantien, die die Anwendung der Todesstrafe gegen Minderjährige verhindern. Richter haben die Macht, das Volljährigkeitsalter und damit auch die Strafmündigkeit von Jugendlichen im Einzelfall festzulegen. Ein so großer Ermessensspielraum kann ernste Konsequenzen haben.

Sultan Kohail wurde zusammen mit seinem Bruder Mohamed - beide sind kanadische Staatsbürger - und einem weiteren Mann wegen der Ermordung eines syrischen Jungen verhaftet. Der Junge starb bei einer Schlägerei auf einem Schulhof im Januar 2007. Mohamed Kohail, mit 23 Jahren der ältere Bruder, wurde seinen Angaben zufolge von den ihn verhörenden Beamten geschlagen und getreten und legte später ein Geständnis ab. Man befand ihn des Mordes für schuldig und es besteht die Gefahr, dass er hingerichtet wird.

Der Prozess gegen den 17-jährigen Sultan Kohail fand vor einem Jugendgericht statt, das nicht die Todesstrafe verhängen darf. Er wurde im April 2008 zu einer Prügelstrafe und einem Jahr Haft verurteilt. Da der Fall jedoch noch nicht abgeschlossen ist, könnte es immer noch ein neues Verfahren vor einem Gericht geben, das die Todesstrafe verhängen kann. Es besteht die ernste Gefahr, dass Sultan Kohail zum Tode verurteilt wird.

Zeit für einen Wechsel

Saudi-Arabien wendet weiterhin die Todesstrafe sehr häufig an. Dies ist ein Resultat des harten Kurses, den dieses Land in der Strafrechtspflege verfolgt, seiner im Schnellverfahren durchgeführten Strafprozesse, der in diskriminierender Weise angewandten Todesstrafe gegen die schwächsten und am stärksten benachteiligten Mitglieder der Gesellschaft sowie der fortgesetzten Anwendung dieser extremsten Form von Strafe gegen minderjährige Straftäter. Alle diese Praktiken verstoßen gegen internationale Standards bezüglich der Todesstrafe und laufen dem weltweiten Trend zur Abschaffung der Todesstrafe entgegen. Im Lichte dieser schweren Verstöße gegen das Völkerrecht bekräftigt Amnesty International ihren Aufruf an die saudi-arabische Regierung, ein Hinrichtungsmoratorium in Kraft zu setzen und Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um die Rechts- und Gerichtspraktiken des Landes in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu bringen.

Hadi Saieed Al-Muteef

1994 wurde der saudi-arabische Staatsbürger Hadi Saieed Al-Muteef verhaftet, offensichtlich wegen Äußerungen, die als gegen den Islam und die Scharia gerichtet erachtet wurden. 1997 wurde er zum Tode verurteilt. Zehn Jahre später, im Januar 2007, erhielt Amnesty International Informationen darüber, dass die Behörden eine vollständige Begnadigung in Betracht zögen. Im Juli 2007 wurden diese Hoffnungen jedoch zerstört, als bekannt wurde, dass er immer noch zum Tode verurteilt war. Heute, 14 Jahre nach seiner Verhaftung und elf Jahre nach seiner Verurteilung zum Tode wegen eines vage definierten Delikts, ist das weitere Schicksal von Hadi Saieed Al-Muteef ungewiss. Er sitzt jetzt im Zentralgefängnis von Najran im Süden Saudi-Arabiens ein und es ist ihm noch nicht mitgeteilt worden, ob er hingerichtet wird oder nicht.

Todesstrafe in Saudi-Arabien: Mann enthauptet und gekreuzigt

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