Bloggerin vor Gericht

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

Die politische Aktivistin und Bloggerin Darya Poliudova muss sich wegen der Veröffentlichung von satirischen Online-Beiträgen, in denen sie Kritik an der russischen Ukraine-Politik übte, vor Gericht verantworten.

Appell an

LEITER DER FÖDERALEN SICHERHEITSBEHÖRDE IN DER REGION KRASNODAR
Colonel General Igor Kolosov
Head of the Regional Federal Security Service of the Russian Federation for Krasnodar Region, Ul. Mira 46
350063, Krasnodar
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Colonel-General / Sehr geehrter Herr Generaloberst)
Fax: (00 7) 861 268 43 59
E-Mail: krasnodar@fsb.ru

STAATSANWALT FÜR DIE REGION KRASNODAR
Leonid Gennadevich Korzhinek
Prokuratura of Krasnodar Region
Ul Sovetskaia 39
350063, Krasnodar
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 863 287 70 01

Sende eine Kopie an

GENERALSTAATSANWALT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Yurii Yakovlevich Chaika
Prosecutor General’s Office
ul. B. Dmitrovka, d.15a
125993 Moscow GSP-3
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 495 987 58 41 oder (00 7) 495 692 17 25

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Januar 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Sprechen Sie sich bitte dafür aus, dass umgehend die gegen Darya Poliudova erhobenen Anklagen fallengelassen werden, die im Zusammenhang mit der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung stehen.

  • Bitte respektieren Sie die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs-, und Vereinigungsfreiheit ohne jegliche Diskriminierung.

  • Beenden Sie bitte die strafrechtliche Verfolgung von Darya Poliudova und anderen Russ_innen, die lediglich friedlich Gebrauch von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung machen oder aufgrund ihrer politischen Ansichten oder ihres Glaubens ins Visier der Behörden geraten.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Russian authorities to immediately withdraw the charges pressed against Darya Poliudova in connection with her peacefully exercising her right to freedom of expression.

  • Urging them to respect and protect the right to freedom of expression, peaceful assembly and association without discrimination of any kind.

  • Calling for an end of persecution of Darya Poliudova and others in Russia who peacefully exercise the right to freedom of expression or because of their political opinion or beliefs.

Sachlage

Darya Poliudova ist eine politische Aktivistin und Bloggerin aus Poltavskaya Stanitsa in der Region Krasnodar im Süden Russlands. Sie muss sich wegen der Veröffentlichung von Online-Beiträgen vor Gericht verantworten. Den Behörden zufolge gelten ihre Beiträge als "Aufruf zu extremistischen Aktivitäten" und als "Aufruf zu Aktivitäten, die eine Gefahr für die territoriale Integrität der Russischen Föderation darstellen". Die Anklagen stehen im Zusammenhang mit Fotos, die sie in das soziale Netzwerk _VKontakte_eingestellt hatte. Auf den Fotos hält Darya Poliudova Plakate mit Parolen wie "Kein Krieg gegen die Ukraine, sondern Revolution in Russland" hoch. Die Anklagen basieren zudem auf ihrer Teilnahme an einer Online-Diskussion, um einen "Marsch für die Föderalisierung des Kuban-Gebiets" zu organisieren. "Kuban-Gebiet" ist eine historische Bezeichnung für eine Region im Süden Russlands, die sich über mehrere heutige Regionen erstreckt, darunter auch die Region Krasnodar.

Im August 2014 wurde Darya Poliudova in Untersuchungshaft genommen. Im Februar 2015 kam sie unter Auflagen frei: bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen wurden ihr Reisebeschränkungen auferlegt. Im September 2015 begann das Verfahren gegen sie vor dem Bezirksgericht in Oktiabrskii in der Region Krasnodar. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil gegen Darya Poliudova wird für den 21. Dezember erwartet.

Darya Poliudova wird von den Behörden seit einiger Zeit wegen friedlicher öffentlicher Proteste auf der Straße oder durch die sozialen Medien ins Visier genommen. 2015 wurde sie vier Mal zu vier bis 15 Tagen "Verwaltungshaft" verurteilt. Aufgrund der zahlreichen Inhaftierungen verlor Darya Poliudova ihre Stelle in der Rechtsabteilung eines Krankenhauses. Gemäß internationalen Menschenrechtsstandards sollte niemand aufgrund der friedlichen Ausübung der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit inhaftiert werden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Darya Poliudova ist in Russland bekannt für ihre Straßenproteste und ihren Online-Aktivismus. Sie ist eine bekannte Kritikerin der russischen Behörden und kritisiert insbesondere die Rolle der russischen Regierung im Ukraine-Konflikt. Sie ist bereits mehrfach wegen friedlicher Straßenproteste gegen die Annexion der Krim und Russlands Beteiligung am bewaffneten Ukraine-Konflikt festgenommen worden.

Am 29. August 2014 wurde sie unter den Paragrafen 280 (2) und 280.1 (2) des Strafgesetzbuchs festgenommen. Ihr wurde vorgeworfen, öffentlich zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen und die territoriale Integrität der Russischen Föderation infrage gestellt zu haben. In beiden Paragrafen ist bei einem Schuldspruch eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren vorgesehen.

Die Anklagen stehen im Zusammenhang mit Beiträgen, die sie in sozialen Netzwerken veröffentlicht und in denen sie friedlich ihre Meinung zum Ausdruck gebracht hatte. Unter den Beiträgen befanden sich Fotos von ihr mit politischen Parolen wie "Kein Krieg gegen die Ukraine, sondern Revolution in Russland" und der Vorwurf gegen Wladimir Putin, für "Terror und Katastrophen in Russland" verantwortlich zu sein. Zudem rief sie zu einer "sozialistischen Revolution" auf und schrieb: "Auf dem Maidan-Platz [Proteste in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, 2013-2014] haben die Menschen es geschafft, dass Janukowitsch [ehemaliger ukrainischer Präsident] seines Amtes enthoben wurde, wieso sind wir nicht in der Lage, dasselbe mit Putin zu machen und dann eine sozialistische Revolution in Russland zu starten?"

Im Juli 2014 hatte Darya Poliudova außerdem gemeinsam mit einigen Freund_innen im sozialen Netzwerk VKontakte einen "Marsch für die Föderalisierung des Kuban-Gebiets" geplant. Solche Märsche galten 2014 in einigen Regionen Russlands als Form des geplanten örtlichen Protests und wurden von den russischen Behörden verboten. Diese Demonstrationen sollten eine Reaktion auf die Unterstützung von Separatisten in der Ost-Ukraine durch die russischen Behörden sein und unter Bezug auf die Ukraine-Politik dazu aufrufen, verschiedenen Gebieten in der russischen Föderation größere Autonomie zu gewähren.

Im November verbrachte Darya Poliudova 15 Tage in Haft wegen erneuter Veröffentlichung von mehreren Online-Beiträgen, darunter satirische Bilder, auf denen Hakenkreuze zu sehen waren. Die öffentliche Darstellung von Nazi-Symbolen ist in Russland verboten. Allerdings macht das Gesetz keinen Unterschied zwischen deren propagandistischer und satirischer Verwendung. Aus diesem Grund kommt es häufig zu Fällen wie dem von Darya Poliudova.

Aufgrund ihrer Inhaftierungen konnte Darya Poliudova keine Arbeitsstelle in ihren Fachbereich (Jura) finden und verlor andere kleine Arbeitsstellen, die sie innerhalb des Jahres angenommen hatte. Am 9. Dezember verteilte sie auf der Straße Flugblätter eines lokalen Unternehmens in Poltavskaya Stanitsa, der Kleinstadt, in der sie lebt. Dabei wurde sie von der Polizei angehalten, die sicherstellen wollten, dass sie keine Flugblätter mit politischem Inhalt verteilt. Die Polizeibeamt_innen nahmen sie nicht fest, sie wurde jedoch im Laufe des Tages gekündigt, nachdem die Polizei einen Anruf bei ihrem Arbeitgeber getätigt hatte.

Darya Poliudova zufolge hat sie in den vergangenen Wochen zahlreiche SMS mit Drohungen erhalten. Der Absender scheint über fundierte Informationen über sie und ihre Familie zu verfügen. In einer der Nachrichten forderte er sie auf, mit ihren Aktivitäten aufzuhören, da er ihr sonst eine Granate bringen würden, mit der sie versuchen könne, die Büroräume der Partei Einiges Russland in die Luft zu sprengen. Damit bezieht sich der Absender offenbar auf den vielfach diskutierten Fall eines ukrainischen Aktivisten, der in Russland wegen vermeintlicher Verübung eines Brandanschlags auf die Büroräume der Partei Einiges Russland auf der Krim nach der Annexion durch Russland verurteilt worden war. Weitere Informationen dazu finden Sie in der UA-170/2015, online unter: https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-170-2015/terrorismusvorwuerfe-fallenlassen. Darya Poliudova hat zudem berichtet, dass sie ebenfalls Drohungen von der Polizei erhalten habe. Die Behörden haben bisher jedoch noch keine Stellungnahme zu ihren Vorwürfen abgegeben.