Aktuell Russische Föderation 15. Januar 2013

Nachruf: Jurij Markowitsch Schmidt ist tot

15. Januar 2013 - Am 12. Januar 2013 ist der russische Menschenrechtsanwalt Jurij Markowitsch Schmidt im Alter von 75 Jahren gestorben. Seit vielen Jahren schwer an Krebs erkrankt, hat er sich bis zuletzt für die Einhaltung der Menschenrechte, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Russischen Föderation eingesetzt.

Das Bild zeigt das Porträtbild eine Mannes

Jurij Markowitsch Schmidt

Sein Leben war geprägt vom schweren Weg, den die Menschen in der Sowjetunion und später in der Russischen Föderation im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert zu gehen hatten. 1937 in Leningrad geboren, überlebte er dort die deutsche Blockade und begann 1955 das Studium der Rechtswissenschaften. Ein Jahr später lernte er seinen Vater kennen, der nur drei Wochen nach seiner Geburt verhaftet und erst jetzt aus dem Gulag entlassen worden war. Nach dem Studium wurde Schmidt 1960 als Strafverteidiger Mitglied des städtischen Anwaltskollegiums. Seit Anfang der sechziger Jahre unterhielt er enge Kontakte zu Dissidentenkreisen. Zu den politischen Prozessen der späten sechziger, der siebziger und beginnenden achtziger Jahre – etwa gegen den späteren Menschenrechtsbeauftragten Präsident Jelzins Sergej Kowaljow, oder den späteren israelischen Minister Anatolij Scharanskij – wurde Schmidt nicht als Strafverteidiger zugelassen. Für eine Tätigkeit in solchen Prozessen benötigten Strafverteidiger die Zulassung durch den KGB, die Schmidt nicht erhielt.

 

Mit der Perestrojka wurde Schmidt in der ganzen Sowjetunion als Strafverteidiger bekannt, der Mandanten, die aus politischen Gründen verfolgt wurden, engagiert verteidigte und dabei auch den politischen Kontext, in dem sich der jeweilige Fall ereignet hatte, deutlich und öffentlich benannte. 1991 gründete er mit dem "Russischen Komitee zum Schutze der Menschenrechte" den ersten unabhängigen Anwaltsverband der Russischen Föderation.

Wir haben Jurij Markowitsch nach der Jahrtausendwende kennengelernt. Vor mehr als 10 Jahren trafen wir ihn am Rande einer Tagung in Berlin und redeten stundenlang über die Entwicklungen in Russland. Er hatte als Strafverteidiger an dem auch von Amnesty International betreuten Fall von Alexander Nikitin gearbeitet. Nikitin – pensionierter Offizier der russischen Marine – hatte aus öffentlich zugänglichen Quellen über Gefahren radioaktiver Verseuchung durch die verrottende russische Nordmeerflotte berichtet. Er war 1996 wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen des Hochverrats angeklagt worden und befand sich von Februar bis Dezember 1996 in Untersuchungshaft, bevor Jurij Markowitsch 1999 den Freispruch Niktins erreichte.

Jurij Markowitsch machte sich schon damals keine Illusionen. Immer wieder an seiner Zigarette ziehend schilderte er, wie strafprozessuale Reformen von einem darauf nicht vorbereiteten Justizapparat unzureichend umgesetzt wurden. Wie die Falschen von Liberalisierungen profitierten und Reformen dadurch in den Augen der breiten Bevölkerung diskreditiert wurden. Wie es in seiner Heimatstadt St. Petersburg möglich war, sich Rechtsanwaltszulassungen zu kaufen, um anschließend an das große Geld zu kommen. Jurij Markowitsch wusste um den schweren Weg, den sein Land in Richtung Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu gehen hatte.

Nach diesem ersten Treffen riss der Kontakt zu ihm nicht mehr ab. Nach der Verhaftung des früheren Chefs des Ölkonzerns "Yukos" Michail Chodorkowski im Oktober 2003 gehörte Jurij Markowitsch zu seinen Strafverteidigern und konnte seine zweimalige Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe nicht verhindern. Im Lauf der Jahre war zu beobachten, wie er die Entwicklungen in seinem Land immer bitterer verfolgte. "Nach einigen Jahren der Versuche, eine unabhängige Judikative aufzubauen, kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Und zwar in recht hohem Tempo," sagte er schon 2005 in einem Interview. Den Fall von Michail Chodorkowski bezeichnete er als den bedeutensten Fall seines Lebens, mit dem er seine Karriere beenden wollte. Nie wird der Verfasser den Besuch in der Petersburger Anwaltskanzlei vergessen, in der sich die Akten des Prozesses türmten. Bereits schwer von seiner Krankheit gezeichnet, gab er die Arbeit an dem Fall nicht auf. "Es ist nicht meine Art zu sterben, bevor ich meine Aufgaben erfüllt habe," sagte er.

Nach der Ankündigung des Ämtertauschs von Medwedjew und Putin im Herbst 2011 haben wir Jurij Markowitsch zum ersten Mal fast hoffnungslos erlebt. Das währte aber nur kurze Zeit. Die im Dezember 2011 beginnenden öffentlichen Proteste machten ihn wieder optimistisch. Vor einem Jahr knappen Jahr äußerte er sich in einem vom Deutschlandfunk veröffentlichten Interview: "Wir sind nicht mehr dieselben wie vor einigen Monaten. Ich weiß nicht, wozu die Proteste führen. Ob wir erreichen, dass die derzeitige Regierung abtritt. Aber dass hier etwas begonnen hat, was unumkehrbar ist, steht außer Frage." Auch wenn sein Wunsch, die Freilassung von Michail Chodorkowski noch zu erleben, nicht in Erfüllung gegangen ist, schien er für sein Land zuletzt doch wieder Hoffnung geschöpft zu haben.

Die Russland-Kogruppe hat mit Jurij Markowitsch Schmidt einen unersetzlichen Gesprächspartner und langjährigen vertrauten Freund verloren. Wir werden uns bemühen, unsere Arbeit für mehr Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Russland in seinem Sinne fortzusetzen.

Verfasser: Peter Franck, Russlandexperte von Amnesty International

Weitere Artikel