Aktuell Ägypten 03. November 2011

Ägypten: Militär muss sich für Todesopfer bei Protesten von Kopten verantworten

Mindestens 25 Menschen starben bei einer Demonstration von koptischen Christen gegen religiös motivierte Diskriminierung

Mindestens 25 Menschen starben bei einer Demonstration von koptischen Christen gegen religiös motivierte Diskriminierung

11. Oktober 2011 - Nachdem bei tödlichen Protesten am Sonntag in Kairo mindestens 25 Menschen ums Leben kamen, fordert Amnesty International heute eine Erklärung vom Obersten Militärrat, wie ein Protest gegen religiös motivierte Diskriminierung in einem Blutbad enden konnte. Mehr als 200 Personen wurden verletzt, darunter viele Demonstranten und Meldungen zufolge auch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Es war der schlimmste Ausbruch von Gewalt in Ägypten seit dem Rücktritt des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak im Februar.

Die Proteste am Sonntag fanden in der Nähe des Gebäudes des Staatsfernsehens, bekannt als Maspreo, statt. Videoaufnahmen zeigen, wie Militärfahrzeuge bei ihrer Fahrt durch überfüllte Straßen Demonstranten überfahren. "Man fragt sich, welche Befehle erteilt wurden, die dazu führen konnten, dass Militärfahrzeuge Demonstranten auf den Straßen überfahren. Wenn die Militärpolizei und andere Sicherheitskräfte nicht nach Befehlen handelten, wirft das Fragen hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Fähigkeit auf, Proteste zu überwachen, " kritisiert Henning Franzmeier, Ägypten-Experte von Amnesty International.

"Der Oberste Militärrat muss nun zeigen, dass er die Sicherheitskräfte unter Kontrolle halten kann und dies auch tut. So wird sichergestellt, dass sie keine unverhältnismäßige Gewalt anwenden. Entsprechende Anweisungen an die Sicherheitskräfte müssen unverzüglich gegeben und eine unabhängige Untersuchung muss eingeleitet werden."

Eine große Anzahl Verletzter und Todesopfer wurde nach dem in den ägyptischen Medien als Maspero Proteste bezeichneten Vorfall in das koptische Krankenhaus in Kairo gebracht. Das dortige medizinische Personal gab Amnesty International gegenüber an, dass die Verletzten Schusswunden und gebrochene Körperteile aufwiesen, die von dem absichtlichen Überfahren durch Armeefahrzeuge herrührten. Augenzeugen beschrieben, wie Sicherheitskräfte in gepanzerten Fahrzeugen das Feuer auf die Menschenmenge eröffneten und Demonstranten verletzten oder töteten, indem sie sie überfuhren.

Unabhängige Untersuchung des Vorgehens der Sicherheitskräfte

Militärbeamte äußerten die Absicht, eine Untersuchung des Vorfalls einzuleiten. Ihrer Aussage nach war eine Gruppe von Demonstranten Auslöser der Gewalt. Anderen Quellen zufolge sollen "Schlägertrupps", die von Hosni Mubaraks aufgelöster National Democratic Party angeheuert wurden, die Gewalt ausgelöst haben.
Gestern begann der Staatsanwalt mit Vorbefragungen der Verletzten der Zusammenstöße. Es wurden 21 Personen für 15 Tage inhaftiert, da weitere Ermittlungen noch bevorstehen. Der Oberste Militärrat ordnete gestern die Einrichtung einer Untersuchungskommission zur Prüfung der Maspero Proteste an.

"Jede Untersuchung der Zusammenstöße von Sonntag muss unabhängig, gründlich und unparteiisch sein. Sie soll der ägyptischen Öffentlichkeit Antworten liefern und die Verantwortlichen ermitteln", fordert Henning Franzmeier. "Die Untersuchung darf nicht in den Händen des Militärs liegen und muss wirklich unabhängig sein. Dies ist vor allem für die Zeugen und Familien der Opfer wichtig, damit sie ohne Angst Beweise liefern und mehr als Augenwischerei erwarten können."

Amnesty International ist ebenfalls sehr beunruhigt über die Berichterstattung des Staatsfernsehens, in der behauptet wurde, Armeeangehörige seien von Demonstranten attackiert worden. Durch den Appell an alle Ägypter, die Streitkräfte zu unterstützen und zu "verteidigen", wurde die Situation zusätzlich verschärft.

Bei zwei anderen Fernsehstationen, die über die Proteste berichteten, nämlich 25TV und Al Hurra, haben Sicherheitskräfte Razzien durchgeführt. Dies diente allem Anschein nach dem Versuch, unabhängige Berichterstattung zu unterbinden.

"Der Oberste Militärrat gab kurzerhand ausländischen "Verschwörungen", konfessionellen Spannungen oder den Demonstranten die Schuld", sagt Franzmeier. "Bislang hat sich der Militärrat geweigert zu akzeptieren, dass die Verantwortung für die Gewalt in der Art und Weise der militärischen und polizeilichen Überwachung von Demonstrationen liegen könnte."

Diskriminierung gegen Kopten

Die tödlichen Maspero Proteste fanden vor dem Hintergrund konfessioneller Spannungen statt, die in den letzten Monaten in Ägypten zugenommen haben. Obwohl die christliche Minderheit der Kopten nahezu zehn Prozent der Bevölkerung Ägyptens ausmacht, werden sie durch offizielle Richtlinien diskriminiert, unter anderem, indem ihnen der Bau und die Instandhaltung von Kirchen verweigert wird. Der Angriff auf eine koptische Kirche in der Provinz Assuan am 30. September, der den Protest am Sonntag auslöste, ist lediglich der jüngste solcher Vorfälle. Lokale Behörden erklärten, dass die Kirche ohne Genehmigung gebaut wurde.

Als Reaktion auf die konfessionellen Auseinandersetzungen im Mai und Juni dieses Jahres, verkündete die Regierung Pläne, ein vereinheitlichtes Gesetz in Bezug auf Gotteshäuser zu erlassen und alle geschlossenen Kirchen nach einer Überprüfung wieder zu öffnen. Ein derartiges Gesetz wurde bislang nicht erlassen und die Regierung versprach gestern in einer Sitzung, dass das Gesetz innerhalb von zwei Wochen in Kraft treten soll.

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