Prozess eröffnet

Natalya Sharina

Natalya Sharina

Am 2. November hat das Verfahren gegen Natalya Sharina begonnen. Sollte sie schuldig gesprochen werden, drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft. Natalya Sharina ist eine gewaltlose politische Gefangene und muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

GENERALSTAATSANWALT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Yurii Yakovlevich Chaika
Prosecutor General’s Office
ul. B. Dmitrovka, d.15a
125993 Moscow GSP- 3
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 987 5841 oder (00 7) 495 692 1725

STAATSANWALT DER STADT MOSKAU
Vladimir Victorovich Churikov
Moscow City Prosecutor’s Office
Pl. Krestianskaia Zastava, dom 1
109147 Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 951 5040

Sende eine Kopie an

MENSCHENRECHTSBEAUFTRAGTE DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Tatiana Nikolaevna Moskalkova
ul. Miasnitskaia, 47
107084, Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 495 607 7470 oder (00 7) 495 607 3977
(zur Kontrolle, ob das Fax ankam: (00 7) 495 607 1854)

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 16. Dezember 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass das unbegründete Strafverfahren gegen Natalya Sharina eingestellt wird.

  • Bitte heben Sie den Hausarrest von Natalya Sharina sofort und bedingungslos auf, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass Natalya Sharina sofort Zugang zu der erforderlichen medizinischen Versorgung erhält.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the authorities to terminate unfounded criminal proceedings against Natalya Sharina.

  • Calling on the Russian authorities to lift house arrest of Natalya Sharina immediately and unconditionally as she is a prisoner of conscience.

  • Urging that Natalya Sharina should have an immediate access to the medical treatment she requires.

Sachlage

Das Verfahren gegen Natalya Sharina, Leiterin der staatlichen Bibliothek für ukrainische Literatur in Moskau, hat begonnen, nachdem die Moskauer Staatsanwaltschaft ihren Fall am 7. Oktober an das Meschanskiy-Gericht in Moskau übergeben hat. Bei der ersten Anhörung am 2. November 2016 erklärte Natalya Sharina, dass sie die Anklage "Veruntreuung von Geldern in besonders großen Umfang" verstünde, und plädierte auf "nicht schuldig". Hinsichtlich der Anklage "Schüren von Feindschaft oder Hass durch Amtsmissbrauch" sagte sie, dass nicht deutlich sei, mit welcher ihrer Handlungen sie gegen das Gesetz verstoßen habe.

Auch ihr Anwalt zog die Begründetheit der Anklage in Zweifel, als er darauf hinwies, dass die Verfahrensakte keinen Nachweis über "extremistische Absichten und anti-russische Haltungen" von Natalya Sharina enthalte. Er fügte hinzu, dass die Veruntreuungsvorwürfe unbegründet seien, da alle fraglichen Verträge von Vorgesetzten freigegeben worden waren. Die Tochter von Natalya Sharina sagte gegenüber Amnesty International, dass viele deren ehemaliger Kolleg_innen und Nutzer_innen der Bibliothek zur Anhörung gekommen waren, um ihre Mutter in diesem Verfahren zu unterstützen. Der nächste Gerichtstermin wurde für den 23. November anberaumt.

Die Rechtsbeistände von Natalya Sharina hatten gehofft, dass das Gericht den Fall ihrer Mandantin an die Staatsanwaltschaft zurückverweisen würde. Am 21. Oktober 2016 wies das Gericht einen entsprechenden Antrag jedoch ab und entschied, das Strafverfahren zu eröffnen. Am selben Tag verlängerte das Gericht den Hausarrest von Natalya Sharina bis zum 28. April 2017, räumte ihr jedoch das Recht ein, täglich zwei Stunden an der frischen Luft spazieren zu gehen. Dies ist ein positiver Schritt, da Natalya Sharinas Tochter berichtete, dass die Verurteilung zu Hausarrest die Gesundheit ihrer Mutter beeinträchtigt habe und dass ihr nicht gestattet gewesen sei, die notwendige medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Nataly Sharina befindet sich seit einem Jahr unter Hausarrest, darf ihre Wohnung nicht verlassen und nur mit ihrem Rechtsanwalt und den nahen Angehörigen, mit denen sie zusammenwohnt, kommunizieren.

Hintergrundinformation

Hintergrund

1981 schloss Natalya Sharina ihr Studium an der Fakultät für Sprachwissenschaft der Far East State University in Wladiwostok ab und hat seitdem als Bibliothekarin gearbeitet. 1986 zog sie mit ihrer Familie nach Moskau und arbeitete dort in mehreren Bibliotheken. Im Jahr 2006 wurde sie zur Direktorin der staatlichen Bibliothek für ukrainische Literatur in Moskau ernannt. Sie ist gemäß Paragraf 282, Absatz 2(b) des russischen Strafgesetzbuchs wegen "Schürens von Feindschaft oder Hass durch Amtsmissbrauch" angeklagt, was mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Zudem wurde gemäß Paragraf 160, Absatz 4 Anklage wegen "Veruntreuung von Geldern in besonders großen Umfang" gegen sie erhoben, was mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet wird.

Die Untersuchung gegen Natalya Sharina wurde im Oktober 2015 nach einer Beschwerde eines früheren Angestellten der Bibliothek, der 2010 entlassen worden war, eingeleitet. Natalya Sharina war zunächst auf Grundlage des Anti-Extremismus-Gesetzes unter Anklage gestellt worden. Ihr wurde vorgeworfen, Druckmaterialien mit "anti-russischem Inhalt" verbreitet zu haben, nachdem Ermittler_innen mutmaßlich Werke des ukrainischen Nationalisten Dimitry Korchinsky in einem Stapel Bücher gefunden haben, die noch nicht zur Ausleihe zur Verfügung standen. Natalya Sharina erklärte, die Bücher gehörten nicht der Bibliothek und seien von Angehörigen der Sicherheitskräfte dort heimlich hingelegt worden. Am 30. Oktober 2015 wurde sie unter Hausarrest gestellt.

Am 5. April 2016, einige Wochen bevor ihr Hausarrest enden sollte, wurde eine weitere Anklage gegen Natalya Sharina erhoben: Veruntreuung von Geldern, weil sie Einnahmen der Bibliothek für die Bezahlung ihres Rechtsbeistands verwendet habe, als man versuchte, sie in den Jahren 2011-2013 strafrechtlich zu verfolgen. Die Gelder, die sie damals veruntreut haben soll, waren Gehälter, die die Bibliothek ihren angestellten Rechtsbeiständen zahlte. Der gegenwärtige Rechtsbeistand von Natalya Sharina macht geltend, dass die Vorwürfe haltlos sind, weil Natalya Sharina ihr eigenes Geld für die Bezahlung der Gerichtskosten verwendet habe und die Rechtsbeistände der Bibliothek nicht befugt waren, sie vor Gericht zu vertreten.

Nach Angaben ihrer Tochter fragte der Richter Natalya Sharina während einer Gerichtsverhandlung über die Verlängerung ihrer Strafe am 27. Juli, weshalb sie so unglücklich über den Hausarrest sei. Er fügte hinzu: "Ich hatte [andere] weibliche Gefangene, die vor Freude Luftsprünge machten, als sie Hausarrest bekamen". Der Richter sagte weiterhin, dass "diese Zeit ohnehin angerechnet wird". Diese Bemerkung ließ bei Natalya Sharina und ihrer Familie die Frage aufkommen, ob die Entscheidung in ihrem Fall bereits gefällt wurde.

Am 15. August weigerte sich die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau, die Anklageschrift gegen Natalya Sharina zu unterschreiben, und der Fall wurde zu weiteren Ermittlungen an die zuständige Behörde zurückverwiesen. Das hatte Anlass zur Hoffnung gegeben, der Fall werde bei dieser Gelegenheit eingestellt werden. Dies geschah jedoch nicht, stattdessen wurde der Fall am 21. Oktober 2016 an das Gericht weitergeleitet.

Es bestehen ernsthafte Bedenken im Bezug auf Natalya Sharinas Gesundheitszustand und ihren Zugang zu medizinischer Behandlung. Natalya Sharinas leidet an Bluthochdruck. Dass sie nicht an der frischen Luft spazieren gehen durfte, hatte negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Ihre Tochter gab gegenüber Amnesty International an, dass ihre Mutter eine Operation an der Wirbelsäule benötigt. Hierfür braucht sie ihre MRT-Aufnahmen, die seit dem erstem Antrag auf die Erlaubnis, spazieren gehen zu dürfen, am 30. Oktober 2015, im Bezirksgericht von Moskau Tagansky liegen. Im Juni 2016 bat Natalya Sharina das Gericht, die Aufnahmen herauszugeben. Dieser Bitte kam das Gericht jedoch nicht nach. Ein Justizangestellter begründete dies damit, dass "alle Angestellten im Urlaub" seien. Die Familie konnte die Aushändigung der Scans bis heute nicht erwirken.