Neuverhandlung

Porträtfoto von Saman Naseem in einem Bilderrahmen

Saman Naseem

Saman Naseem ist zurück in das Zentralgefängnis von Oroumieh (Urmia) im Nordwesten des Iran verlegt worden. Dort war er auch bis zu seinem "Verschwinden" vor fünf Monaten festgehalten worden. Nach der Aufhebung des gegen ihn verhängten Todesurteils soll nun vor einem Gericht in Oroumieh eine Neuverhandlung seines Falls stattfinden.

Appell an

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street –
End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran, IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: über die Webseite: http://www.leader.ir/langs/de/index.php?p=letter
Twitter: @khamenei_ir (Englisch)

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
c/o Public Relations Office, Number 4
Deadend of 1 Azizi, Above Pasteur Intersection
Vali Asr Street, Tehran, IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: info@humanrights-iran.ir

Sende eine Kopie an

PRÄSIDENT
Hassan Rouhani
The Presidency
Pasteur Street
Pasteur Square
Tehran, IRAN
Twitter: @HassanRouhani (Englisch) oder @Rouhani_ir (Persisch)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S. E. Herrn Ali Majedi
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Englisch, Spanisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 16. November 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, TWITTER-NACHRICHTEN ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Stellen Sie sicher, dass die Neuverhandlung von Saman Naseem völkerrechtlichen Vorschriften im Bezug auf das Jugendstrafrecht in vollem Umfang entspricht und dabei nicht auf die Todesstrafe zurückgegriffen werden kann.

  • Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Iran Vertragsstaat des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes ist, welche die Verhängung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Tatzeitpunkt jünger als 18 Jahre alt waren, ausdrücklich verbieten.

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass Saman Naseem nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird. Untersuchen Sie die Folter- und Misshandlungsvorwürfe und sein "Verschwindenlassen" und stellen Sie sicher, dass von ihm durch Folter erzwungene "Geständnisse" nicht als Beweismittel vor Gericht zugelassen werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Iranian authorities to ensure that Saman Naseem’s retrial adheres strictly to international law and standards on juvenile justice without recourse to the death penalty.

  • Reminding them that Iran has ratified both the International Covenant on Civil and Political Rights and the Convention on the Rights of the Child, which strictly prohibit the use of the death penalty for crimes committed by persons below 18 years of age.

  • Urging them to ensure that he is protected against torture and other ill-treatment, investigate his enforced disappearance and the allegation that he was subjected to torture or other ill-treatment, and ensure that "confessions" obtained from him under torture and other ill-treatment are not used as evidence in court.

Sachlage

Am 19. September wurde Saman Naseem aus dem Gefängnis von Zanjan im Nordwesten des Landes zurück in das Zentralgefängnis von Oroumieh (Urmia) verlegt. Dort war er bis zum 18. Februar 2015, dem Tag vor seinem Hinrichtungstermin, festgehalten worden. Nach Kenntnis von Amnesty International ist ein Termin mit dem Rechtsmedizinischen Institut für eine psychologische Untersuchung vereinbart worden, bei der die "geistige Reife" von Saman Naseem zum Zeitpunkt der Tat, für die er zum Tode verurteilt wurde, ermittelt werden soll. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen dann bei einer Neuverhandlung seines Falls vor einem Strafgericht in Oroumieh in der iranischen Provinz West-Aserbaidschan berücksichtigt werden.

Am 22. April 2015 hatte der Oberste Gerichtshof des Iran dem Antrag von Saman Naseem auf eine gerichtliche Überprüfung seines Falls stattgegeben. In der Folge wurden seinen Schuldspruch und sein Todesurteil aufgehoben und er erhielt das Recht auf eine umfassende Neuverhandlung seines Falls. Die Oberste Justizautorität hatte bereits am 6. April die Aussetzung seiner Hinrichtung angeordnet. Trotz wiederholter Nachfragen erhielten jedoch weder seine Familie noch seine Rechtsbeistände konkrete Informationen zu seinem Verbleib. Erst im Juli erlaubten die Behörden Saman Naseem, seine Familie anzurufen.

Saman Naseem war im April 2013 von einem Strafgericht in Mahabad, einer Stadt im Nordwesten des Landes, wegen "Feindschaft zu Gott" (Moharebeh) und "Verdorbenheit auf Erden" (Efsad fil-arz) zum Tode verurteilt worden. Grund dafür waren seine Mitgliedschaft in der bewaffneten kurdischen Oppositionsgruppe "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan" (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê – PJAK) und seine Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Revolutionsgarden. Das gegen ihn verhängte Todesurteil wurde im Dezember 2013 durch den Obersten Gerichtshof des Iran bestätigt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den Tagen vor dem 19. Februar 2015 setzen sich weltweit Menschen gegen die für diesen Tag geplante Hinrichtung von Saman Naseem ein. Am 18. Februar wurde Saman Naseem vom Zentralgefängnis in Oroumieh an einen unbekannten Ort verlegt. Seine Familie versuchte beim Gefängnispersonal und dem Innenministerium Informationen zu seinem Verbleib zu erhalten, die Behörden gaben jedoch an, nichts zu wissen. Am 21. Februar wurde den Angehörigen von Saman Naseem dann aufgetragen, seine persönlichen Gegenstände aus dem Zentralgefängnis in Oroumieh abzuholen, sodass sie glaubten, er sei möglicherweise bereits hingerichtet worden. Es war ihnen nicht möglich, konkrete Informationen bei den Behörden einzuholen. Amnesty International erfuhr im März, dass man Saman Naseem am oder um den 19. Februar in das Gefängnis von Zanjan verlegt hatte. Dennoch weigerten sich die Behörden, seiner Familie oder seinen Rechtsbeiständen genaue Informationen zu dem Verbleib von Saman Naseem zu übermitteln. Erst im Juli durfte er seine Familie anrufen. Anschließend erlaubte man es seinen Angehörigen dann auch, ihn zu besuchen.

Saman Naseem war am 17. Juli 2011 im Zuge einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen den iranischen Revolutionsgarden und der PJAK in Sardasht in der Provinz West-Aserbaidschan festgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt war er 17 Jahre alt. Zu Beginn der Ermittlungen hatte er keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass bei dieser Auseinandersetzung ein Angehöriger der Revolutionsgarden getötet und drei weitere verletzt wurden. Aus den Akten geht außerdem hervor, dass Saman Naseem zu Beginn der Ermittlungen zugegeben haben soll, im Juli 2011 Schüsse in die Richtung der Revolutionsgarden abgegeben zu haben. Diese Aussage zog er allerdings in der ersten gerichtlichen Anhörung zurück und sagte stattdessen, er habe nur in die Luft geschossen. Zudem erklärte er, dass man ihn gezwungen habe, "Geständnisse" zu unterzeichnen, deren Inhalt er nicht kannte, da man ihm während der Verhöre die Augen verbunden habe. Saman Naseem gab an, dass die Vernehmungsbeamt_innen ihn mit verbundenen Augen kopfüber an der Decke aufgehängt und seine Fingerabdrücke auf das "Geständnis" aufgebracht haben, dessen Inhalt er nicht kannte. Außerdem gab er an, dass ihm die Fuß- und Fingernägel gezogen worden seien und dass man ihm Schläge zugefügt habe, durch die er Hämatome an Rücken, Beinen und Bauch davongetragen habe. Weitere Informationen hierzu finden Sie auf Englisch unter https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/02/iran-juvenile-offender-to-be-executed-in-a-week-gives-harrowing-torture-account/. Das Gericht wies seine Aussagen zurück und ließ die Verwendung des "Geständnisses" als Beweismittel zu.

Saman Naseem war ursprünglich im Januar 2012 von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt worden. Dieses Urteil wurde jedoch im August 2012 mit der Begründung vom Obersten Gerichtshof aufgehoben, dass der Fall nicht in den Zuständigkeitsbereich des Revolutionsgerichts falle. Der Fall von Saman Naseem wurde für eine Neuverhandlung an das Provinzstrafgericht von West-Aserbaidschan zurücküberstellt, welches für Fälle zuständig ist, in denen zur Tatzeit Minderjährigen Straftaten vorgeworden werden. Während der Neuverhandlung ließ das Gericht sein "Geständnis" ein weiteres Mal als Beweismittel zu und verurteilte ihn erneut zum Tode.

Das Islamische Strafgesetzbuch erlaubt die Hinrichtung von zur Tatzeit Minderjährigen in Fällen von Mord nach dem Prinzip "Qesas" (Vergeltung) und "Hodoud" (Vergehen, für die nach islamischem Recht bestimmte Strafen vorgesehen sind). Im Fall von zur Tatzeit Minderjährigen schließt Paragraf 91 die Todesstrafe bei "Qesas" oder "Hodoud" jedoch aus, wenn der oder die Jugendliche die Art der Straftat oder die Konsequenzen nicht begreift oder Zweifel an der geistigen Zurechnungsfähigkeit der Person bestehen. Am 2. Dezember 2014 fällte der Oberste Gerichtshof ein wichtiges Urteil, in dem es hieß, dass alle Personen, die sich gegenwärtig wegen Straftaten im Todestrakt befinden, die sie im Alter von unter 18 begangen haben sollen, auf Grundlage von Paragraf 91 des Strafgesetzbuchs einen Antrag auf Überprüfung beim Obersten Gerichtshof einreichen können.

Die Hinrichtung von zur Tatzeit minderjährigen – d. h. unter 18-jährigen – Straftäter_innen ist laut Artikel 6(5) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und Artikel 37(a) des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes verboten. Der Iran ist Vertragsstaat beider Abkommen. Amnesty International lehnt die Todesstrafe ausnahmslos ab. Sie verstößt gegen das Recht auf Leben, das durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiert wird, und stellt die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste Form von Strafe dar.