Wegen Regierungskritik vor Gericht

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

Die Verkäuferin Yekaterina Edvardovna Vologzheninova wird am 27. Oktober wegen "Anstiftung zu Hass und Feindschaft" gegen die russische Regierung und in der Ostukraine kämpfende Russ_innen vor Gericht gestellt. Die Anklage basiert auf Beiträgen, die sie in sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte und in denen die russische Besetzung und Annexion der Krim sowie die russische Beteiligung am bewaffneten Konflikt im Donbass kritisiert wurden.

Appell an

GENERALSTAATSANWALT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Yurii Yakovlevich Chaika
Prosecutor General’s Office
ul. B. Dmitrovka, d.15a
125993 Moscow GSP- 3
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 987 5841 oder (00 7) 495 692 1725

STAATSANWALT DER REGION SVERDLOVSK
Sergei Alekseevich Okhlopkov
Ul. Moskovskaya 21
Yekaterinburg GSP 1036
620612 RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 343 377 02 41
E-Mail: : sverdloblprokuratura@mail.ru

Sende eine Kopie an

LEITER DES RUSSISCHEN GEHEIMDIENST FSB IN DER REGION SVERDLOVSK
Viatkin, Aleksandr Petrovich
Ul. Vaynera 4
Yekaterinburg 620014
Sverdlovsk Region
RUSSISCHE FÖDERATION
E-Mail: sverdlovsk@fsb.ru

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 1. Dezember 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte beenden Sie die strafrechtliche Verfolgung von Yekaterina Vologzheninova, da sie lediglich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und keine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat.

  • Bitte respektieren und schützen Sie das Recht auf freie Meinungsäußerung.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Russian authorities to close the criminal case against Yekaterina Vologzheninova as she has exercised her right to freedom of expression and not committed an internationally recognisable criminal offense.

  • Calling on them to respect and protect the right to freedom of expression.

Sachlage

Yekaterina Edvardovna Vologzheninova, Verkäuferin aus Jekaterinburg, einer Stadt am Uralgebirge in Russland, wird am 27. Oktober wegen "öffentlicher Anstiftung zu Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung der menschlichen Würde" vor Gericht gestellt. Die Anklage gegen sie basiert auf Beiträgen, die sie über das russische soziale Netzwerk VKontakte veröffentlicht hatte. Darin kritisierte sie die russische Besetzung und Annexion der Krim sowie Russlands Beteiligung am bewaffneten Konflikt im Donbass in der Ostukraine.

2014 veröffentlichte Yekaterina Vologzheninova auf ihrer privaten Profilseite im sozialen Netzwerk VKontakte einige Inhalte aus Veröffentlichungen sowie Filme, Texte und Bilder bezüglich der derzeitigen Situation in der Ukraine. In einigen dieser Beiträge wurde die russische Annexion der Krim, die einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt, sowie Russlands Beteiligung am bewaffneten Konflikt im Donbass im Osten der Ukraine kritisiert. Die Beiträge auf ihrer privaten Profilseite können jedoch nur von Benutzer_innen gesehen werden, mit denen Yekaterina Vologzheninova über das soziale Netzwerk befreundet ist. Am 12. Dezember 2014 wurde ihre Wohnung von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden durchsucht. Anschließend brachte man sie zur Befragung auf eine Polizeistation. Dort erfuhr sie, dass ein Strafverfahren wegen "öffentlicher Anstiftung zu Hass und Feindschaft sowie Erniedrigung der menschlichen Würde" (Paragraf 282, Abschnitt 1 des russischen Strafgesetzbuchs) gegen sie eröffnet wurde. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft.

Bei den Ermittlungen zu dem Fall von Yekaterina Vologzheninova zogen die Behörden "psycholinguistische Expert_innen" zur Hilfe, die ihre Beiträge analysierten. Außerdem versuchte man durch eine Befragung ihrer Kolleg_innen und weiterer Bekannte zu beweisen, dass sie mit der Veröffentlichung der Beiträge zu Hass anstiften wollte. Die Ermittlungen ergaben, dass Yekaterina Vologzheninova mit ihrer im Internet geäußerten Kritik an der Regierungspolitik (in Beiträgen, die nur ihre Freund_innen sehen konnten) die Absicht verfolgt habe, zu Hass gegen die russische Regierung und in der Ukraine kämpfenden Russ_innen anzustiften. Ende September 2015 wurde der Fall an das Zheleznodorozhnyi-Gericht in Jekaterinburg übergeben. Die Gerichtsverhandlung soll am 27. Oktober beginnen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Seit der Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn der Ausschreitungen zwischen ukrainischen Streitkräften und bewaffneten Gruppen, die von Russland unterstützt werden, im Frühling 2014, sind mehrere Menschen in Russland verurteilt worden. Sie wurden wegen mutmaßlicher "Anstiftung zu Hass und Feindschaft" im Internet für schuldig befunden, nachdem sie Beiträge in sozialen Netzwerken veröffentlich hatten, in denen Kritik an der russischen Ukraine-Politik und an der Annexion der Krim geübt wurde.

Die Zahl der Internetnutzer_innen, die wegen ihrer friedlichen aber kritischen Ansichten zur derzeitigen Politik Russlands strafrechtlich verfolgt werden, steigt. Paragraf 280 ("Aufruf zu extremistischen Aktivitäten") und Paragraf 282 des russischen Strafgesetzbuchs werden vermehrt genutzt, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und diejenigen einzuschüchtern, die das Vorgehen der Regierung hinsichtlich der Ukraine in Frage stellen.

Die Allgemeine Bemerkung 34 des UN-Menschenrechtsausschusses zum Recht auf freie Meinungsäußerung besagt, dass dieses Recht auch "Äußerungen umfasst, die als äußerst beleidigend empfunden werden können". Strafrechtliche Sanktionen für Beiträge auf privaten Profilseiten in sozialen Netzwerken sind gemäß internationaler Menschenrechtsstandards immer als unangemessen und unverhältnismäßig zu betrachten, weil sie gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen. Die Inhalte der Beiträge von Yekaterina Vologzheninova stammen zum Teil aus ukrainischen Quellen, darunter eine satirische Zeichnung, die einen Mann, der eine geringe Ähnlichkeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat, mit einem Messer in der Hand über einer Karte von Donbass zeigt. Seine Hand wird dabei von einer anderen Hand aufgehalten und unter dem Bild steht "Stoppt die Pest!". Yekaterina Vologzheninova hat ebenfalls einige Gedichte und Stellungnahmen veröffentlicht, in denen russische Staatsbürger_innen als "externe Sklaven – Körper und Seele" beschrieben werden oder in denen gesagt wird, dass russische Staatsbüger_innen das "Gehirn eines Huhns" haben und diejenigen, die im Donbass kämpfen, einem "blutigen Pakt" folgen.

Yekaterina Vologzheninova teilte Amnesty International mit, dass ihre Profilseite bei VKontakte nicht öffentlich sei und nur ihre Freund_innen die Inhalte sehen könnten. In den ukrainischen Medien hat sie nach alternativen Informationen zu denen des staatlich kontrollieren Fernsehen und anderen russischen Medien gesucht. Daher sind einige ukrainische Veröffentlichungen auf ihrer Profilseite zu finden gewesen. In den Ermittlungen wurde angegeben, dass die "Gefällt mir"-Angaben bei einigen ihrer Online-Beiträge zeigen würden, dass sie durch diese Beiträge zu Hass angestiftet habe.

Für einige Monate im Jahr 2014 trug sie sich zudem in die E-Mail-Liste der ukrainischen nationalistischen Bewegung Pravy Sektor (Rechter Sektor) ein. Diese Organisation wurde im November 2014 in Russland verboten, weil sie als extremistisch galt. In den Ermittlungen wurde daraus gefolgert, dass Yekaterina Vologzheninova Mitglied der Organisation sei. Sie selbst streitet dies jedoch vehement ab.

Die russischen Behörden streiten, trotz der steigenden Anzahl an Gegenbeweisen, weiterhin die direkte Beteiligung Russlands an dem Konflikte in der Ostukraine ab. Das nationale Fernsehen und andere staatlich kontrollierte Medien haben den Konflikt im Donbass als einen Angriff von Streitkräften unter dem Befehl einer "faschistischen" Regierung in Kiew gegen die friedliche russischsprechende Bevölkerung dargestellt.