Freilassung abgelehnt

Belén befindet sich weiter in der Provinz Tucumán im Norden Argentiniens in Haft. Man hatte sie 2014 festgenommen, nachdem sie in einem öffentlichen Krankenhaus eine Fehlgeburt erlitten hatte. Am 12. Mai lehnte ein Gericht ihre Freilassung ab. Das Krankenhauspersonal und Polizeibeamt_innen haben ihr Recht auf Privatsphäre verletzt, unfaire Beschuldigungen gegen sie erhoben und sie misshandelt.

Appell an

GENERALSTAATSANWALT DER PROVINZ TUCUMÁN
Edmundo Jesús Jiménez
Av. Samiento 431, 4000
San Miguel de Tucumán
Tucumán
ARGENTINIEN
(Anrede: Dear Prosecutor / Sr. Procurador / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 54) 381 4979135
E-Mail: edmundojimeneztuc@gmail.com oder minfiscal@justucuman.gov.ar

GESUNDHEITSMINISTERIN VON TUCUMÁN
Rossana Chahla
Calle 25 de Mayo 90 T4109ADB
San Miguel de Tucumán
Tucumán
ARGENTINIEN
(Anrede: Dear Minister/ Sra. Ministra / Sehr geehrte Frau Ministerin)
Fax: (00 54) 381 4844000 ext. 504/505
E-Mail: rchahla@msptucuman.gov.ar

Sende eine Kopie an

AMNESTY INTERNATIONAL ARGENTINIEN
E-Mail: activismo@amnistia.org.ar

BOTSCHAFT DER REPUBLIK ARGENTINIEN
S.E. Herr Luis Maria Kreckler
Kleiststraße 23-26
10787 Berlin
Fax: 030-229 14 00
E-Mail: info_ealem@mrecic.gov.ar

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. Juli 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS ODER FAXE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte lassen Sie Belén sofort und bedingungslos frei und garantieren Sie, dass weder sie noch andere Frauen und Mädchen aufgrund einer Fehlgeburt oder anderer schwangerschaftsbezogener Komplikationen strafrechtlich verfolgt werden.

  • Weisen Sie Personen, die im medizinischen Bereich arbeiten, an, die ärztliche Schweigepflicht zu achten, und stellen Sie Mechanismen zur Bestrafung von Personen sicher, die das Recht von Frauen auf Privatsphäre nicht schützen.

  • Leiten Sie bitte unverzüglich eine unparteiische und unabhängige Untersuchung der Vorwürfe über Misshandlungen und Verstöße gegen das Recht auf Privatsphäre durch medizinisches Personal und Polizeibeamt_innen ein.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the authorities to release Belen immediately and unconditionally, guaranteeing that no criminal process is conducted against her nor any other girl or woman who suffers a miscarriage or other obstetric complications.

  • Calling on them to instruct health professionals to guarantee the doctor-patient duty of confidentiality and to guarantee mechanisms to sanction anyone who fails to protect women’s right to privacy.

  • Urging the authorities to open a prompt, impartial and independent investigation into the allegations of ill-treatment and infringements on the right to privacy committed both by health professionals and police officers.

Sachlage

Belén suchte am 21. März 2014 das staatliche Krankenhaus Avellaneda in San Miguel de Tucumán auf, weil sie an Unterbauchschmerzen litt. Ein Arzt erklärte ihr dort, dass sie ihr Kind verlieren würde. Belén hatte die Schwangerschaft eigenen Angaben zufolge bis dahin nicht bemerkt. Mitarbeiter_innen des Krankenhauses fanden später einen Fötus in einem Badezimmer und meldeten den Vorfall bei der Polizei. Sie gaben an, dass es sich um "den Sohn" von Belén handelte, ohne dafür Beweise zu haben oder eine DNA-Analyse durchgeführt zu haben, mit der eine Verwandtschaft zwischen der 27-Jährigen und dem Fötus belegt werden konnte. Als sie nach einer Operation wieder zu sich kam, war Belén umringt von Polizist_innen und wurde einer Untersuchung im Genitalbereich unterzogen, die grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen kann. Laut dem Völkerrecht und anderen internationalen Standards stellt die Weitergabe von persönlichen medizinischen Informationen gegen den Willen eines Patienten / einer Patientin eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre dar. Dies gilt auch dann, wenn die Informationen an Ordnungskräfte weitergegeben werden.

Belén wurde zunächst wegen des Herbeiführens eines Schwangerschaftsabbruchs angeklagt und für mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft genommen. Die Staatsanwaltschaft hat die Anklage später in "Mord" umgewandelt, sodass ihr bei einem Schuldspruch bis zu 25 Jahre Haft drohten. Am 19. April 2016 verurteilte die Strafkammer (Sala III de la Cámara Penal) von Tucumán Belén zu acht Jahren Haft wegen Mordes. Am 3. Mai legten die Verteidiger_innen von Belén Rechtsmittel gegen das Urteil ein und forderten ihre sofortige Freilassung. Das Gericht lehnte das Rechtsmittel jedoch am 12. Mai ab und begründete dies damit, dass Fluchtgefahr bestünde. Die Verteidigung von Belén habe nicht beweisen können, dass sie schutzbedürftig ist und keine Gefahr bestehe, dass sie die Provinz verlassen würde. Belén befindet sich weiter in Untersuchungshaft, da ihr Urteil noch nicht unterzeichnet wurde. Untersuchungshaft stellt eine unter bestimmten Umständen erlaubte Einschränkung des allgemein gültigen Freiheitsgrundsatzes dar. In Verbindung mit dem geltenden Grundsatz der Unschuldsvermutung hat der Staat die Beweislast und muss begründen, warum Belén weiter in Haft festgehalten werden soll.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Gemäß internationalen Menschenrechtsnormen stellt die Untersuchungshaft eine Ausnahme des allgemein gültigen Freiheitsgrundsatzes dar. Der Freiheitsentzug ist die schwerwiegendste Maßnahme, die gegen eine Person ergriffen werden kann, die unter Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben. Daher sind außergewöhnliche Umstände erforderlich, um die Untersuchungshaft zu begründen, deren Verhängung durch die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Unschuldsvermutung, Notwendigkeit und Angemessenheit eingeschränkt ist, welche in einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar sind. Die willkürliche Verlängerung einer Untersuchungshaftanordnung stellt einen Freiheitsentzug als Strafmaßnahme dar, die nur ergriffen werden darf, wenn die strafrechtliche Verantwortung der betroffenen Person nachgewiesen wurde. Die Unschuldsvermutung ist eine Grundlage für die Verfahrensgarantien und bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft die Schuld der betroffenen Person beweisen muss. Sie besagt, dass niemand für schuldig erachtet werden darf, wenn eine strafrechtliche Verantwortung nicht eindeutig und zweifelsfrei belegt werden kann. Ist dies nicht der Fall, muss die betroffene Person freigelassen werden.

Sowohl Artikel 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte als auch Artikel 11 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention schützen das Recht auf Privatsphäre und verpflichten die Vertragsstaaten, sicherzustellen, dass die Vertraulichkeit von medizinischen Informationen – insbesondere innerhalb medizinischer Einrichtungen – durch angemessene Maßnahmen geschützt ist. Argentinien ist Vertragsstaat beider Abkommen. Mädchen und Frauen, die medizinische Einrichtungen aufsuchen, um einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, oder die eine Fehl- oder Totgeburt erleiden, sind durch die ärztliche Schweigepflicht geschützt.

Das Herbeiführen von Schwangerschaftsabbrüchen wird in Argentinien mit Haftstrafen von zwischen einem und vier Jahren bestraft. Das argentinische Recht erlaubt Schwangerschaftsabbrüche nur dann, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist oder wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung oder von Inzest ist. Fehlgeburten und anderweitige Komplikationen während der Schwangerschaft stehen nicht unter Strafe.

Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau und andere internationale Menschenrechtsorgane fordern eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Sicherstellung des Zugangs zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen per Gesetz und in der Praxis, zumindest für Fälle, in denen die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Schwangeren darstellt, eine schwere Fehlbildung des Fötus vorliegt oder dieser nicht lebensfähig ist oder die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung oder von Inzest ist.

Unabhängig der gesetzlichen Regelungen bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen haben Staaten die Verpflichtung, den Zugang zu hochwertigen und vertraulichen Gesundheitsleistungen für die Behandlung von Komplikationen sicherzustellen, die in der Folge von unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen und Fehlgeburten auftreten können. Diese Behandlung muss frei von Diskriminierung, Zwang und Gewalt sein.
Frauen und Mädchen, die in professionellen Einrichtungen Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit wahrnehmen wollen, sind häufig Misshandlungen wie sehr schmerzhaften Behandlungsmethoden ausgesetzt oder werden zu Behandlungsformen und Untersuchungen gezwungen, die Folter oder anderweitiger grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen können. Das Verweigern bestimmter Dienstleistungen sowie Misshandlungen im Zusammenhang mit sexuellen und reproduktiven Gesundheitsleistungen basieren häufig auf Geschlechterstereotypen. Beides stellt eine Form der Diskriminierung und der Gewalt gegen Frauen dar.

Sexuelle und reproduktive Rechte werden durch internationale und regionale Menschenrechtsnormen geschützt, in denen das Recht festgeschrieben ist, informierte Entscheidungen im Bereich der Sexualität und Reproduktion frei von Gewalt, Zwang oder Diskriminierung treffen zu können, und Staaten aufgefordert werden, sicherzustellen, dass diese Entscheidungen respektiert werden. Zu den sexuellen und reproduktiven Rechten gehören unter anderem das Recht auf Gesundheit, das Recht auf persönliche Unversehrtheit, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Gleichheit.