Amnesty Journal Russische Föderation 28. September 2016

"Wir stecken jetzt die Zukunft ab"

"Wir stecken jetzt die Zukunft ab"

Einsame Existenz: Oliver Stones Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) in einem Hotelzimmer, Szene aus "Snowden"

Regisseur Oliver Stone sieht in Edward Snowden eine zentrale Figur unserer Zeit. Ein Interview über Politik im Kino.

Interview: Jürgen Kiontke

Zu Oliver Stone
Ein Geschehen dramatisieren, um die Ereignisse bekannt zu machen: Seit 40 Jahren schreibt und filmt Oliver Stone, 70 Jahre alt und Mitglied von Amnesty USA. Das Spektrum reicht von Comic-Stoffen ("Conan, der Barbar"), über medienkritische Spielfilme ("Natural Born Killers") bis hin zu kontroversen Filmbiografien ("The Doors", "JFK", "Nixon") und historischen Stoffen ("Alexander"). Der dreimalige Oscar-Gewinner mischt sich selbst oder mit seinen Filmen immer wieder in Debatten ein, zudem gelten seine Filme – allesamt kontrovers diskutiert – als cineastische Meilensteine, weil er die ganze Bandbreite optischer Möglichkeiten einsetzt.

Wann sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über ­Edward Snowden zu drehen?
Ich hatte ihn bereits Ende Januar 2014 getroffen, sechs Monate nach dem "Event", als er die Daten an die Medien gegeben hatte. Ich war mir gar nicht so sicher, ob ich einen Film über ihn machen wollte – was glauben Sie, wie viel Ärger und Gerichtsverfahren ich schon mit Filmen hatte! Ich habe ihn dann aber über mehrere Monate insgesamt drei Mal in Moskau besucht und irgendwann stand der Entschluss. Diskussionen um Details haben den Prozess dann noch um Einiges verzögert.

Vieler Ihrer Filme handeln von großen historischen Figuren, etwa John F. Kennedy oder Alexander der Große. Ist die Figur Edward Snowdens eine Fortschreibung dieser Art des Kinos?
Nun, Kennedy und Alexander sind ja historische Figuren mit einem ganz entscheidenden Unterschied: Sie sind tot! Mit Snowden haben wir eine lebende Persönlichkeit zum Thema, da ist die Intention doch eine ganz andere. Alexanders Zeit war komplett anders, es gab keine Medien, nur Klatsch und Gerüchte. Er eroberte eine Welt, von der er nicht viel wusste. Die Welt Snowdens ist hingegen sehr gut erforscht, er selbst ist mit den neuesten elektronischen Mitteln unterwegs. Er hat das unbändige Verlangen, sich in dieser digitalen Welt zu bewegen, der Mann liebt das Internet, es verheißt ihm Freiheit. Dass es in ein Überwachungsinstrument verwandelt wird, ist für ihn komplett gegen seine eigentliche Bestimmung.

Wie bringt man Politik und Kunst zusammen?
Das ist eine schwierige Frage. Politik ist vielschichtig, mit vielen Perspektiven, sie ist ein schwieriger Job. Ich frage mich manchmal, wie Menschen überhaupt in der Lage sind, sinnvolle Politik zu machen. Aber irgendwie versucht man das ja überall auf der Welt. Politiker wollen populär sein, kein Wunder, sie wollen ja auch die nächste Wahl gewinnen. Einen Film zu machen, ist erstmal etwas ganz anderes, aber auch die Kunst sucht nach Popularität, nach größtmöglicher Öffentlichkeit. Indem man eine gute Geschichte hat, die man spannend erzählen kann. Eine, die die Leute dazu bringt, unbedingt wissen zu wollen, was als Nächstes passiert.

Was erhoffen Sie sich für Ihren Film?
Am besten führt er das Publikum als unterhaltende, spannende Dramatisierung zur Person Snowdens und den Umständen, für die er steht. Ich hoffe, dass sich mehr Leute mit dem Fall beschäftigen, sich genauer informieren. Und so künftig eine kritische Haltung gegenüber der Massenüberwachung entwickeln.

Trauen Sie sich nach dem Film noch, digitale Medien zu nutzen?
(Lacht.) Persönlich bin ich gar nicht so heiß drauf, Facebook und Co. zu nutzen. Ich verlasse mich da so weit wie möglich auf meine Assistenten, die deutlich jünger sind als ich. Aber ja, ich nutze sie weiter; nicht, weil ich soziale Medien so toll finde, sondern weil ich sie brauche.

Ist Snowden einer der vielen Flüchtlinge, die derzeit rund um die Welt Zuflucht suchen?
Nein, das ist er nicht. Er ist im politischen Exil. Er ist in Russland gestrandet, ohne gültigen Pass. Ein hochgebildeter Mann, ein Technik-Profi.

Was sollten die Zuschauer in Deutschland, die deutschen Amnesty-Mitglieder aus Ihrem Film mitnehmen?
"Sollte" ist kein Wort für mich! Als Regisseur kann ich schlecht die Reaktionen auf einen Film diktieren. Regisseure können nur das Beste innerhalb ihrer Grenzen tun: einen Film so gut machen, wie sie können – ihn so aufregend machen, wie es geht. Ich hoffe, dass das Publikum über "Snowden" redet, über seine Kernthemen: Geheimdienste, Exil, Amnestie. Die ganze Geschichte zieht sich nun schon über mehr als zwei Jahre hin. Die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten haben Snowden nicht einmal erwähnt! Vielversprechend sieht es gerade nicht für ihn aus.

"Snowden" ist auch ein Film über den Einsatz neuester Technologien. Hätten Sie nicht Lust, einen Science-Fiction-Film zu drehen?
Da gibt es derzeit ja eine Menge ganz guter Beispiele im Kino. Ich schaue mir die Filme gern an und amüsiere mich dabei. Aber für meine eigene Arbeit ist das weniger interessant. Man könnte sagen, ich betreibe eine Art Science Fiction in der Realität, eine "Science Real": eine in unserem jetzigen Universum. Die Zukunft geschieht gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt. Weil wir derzeit abstecken, wie man sie kontrolliert.

Dieser Artikel ist in der Oktober/November-Ausgabe 2016 des Amnesty Journal erschienen

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