Amnesty Journal Iran 22. Januar 2013

Geistige Freiheit und ihr Preis

Die Islamische Republik sperrte sie ein, die Europäische Union zeichnet sie aus: Die Anwältin Nasrin Sotudeh und der Regisseur Jafar Panahi erhalten in diesem Jahr den "Sacharow-Preis für geistige Freiheit". Persönlich entgegennehmen werden die beiden Iraner die Auszeichnung aber wohl kaum.

Von Felicia Folivora

Sie winkt, lacht, schneidet Grimassen. Sie wirft ihrem fünfjährigen Sohn mit gespitzten Lippen Küsse zu, stiehlt ihm pantomimisch die Nase. Sie tut, was Mütter eben so tun, um ihre Kinder bei Laune zu halten. Es wäre kaum der Rede wert, wäre da nicht die dicke, schalldichte Panzerglasscheibe, die Nasrin Sotudeh von ihren beiden Kindern trennt.

Die 47-jährige Anwältin wird in diesem Jahr gemeinsam mit dem Filmemacher Jafar Panahi den Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments erhalten. Doch der Festakt im Straßburger Plenarsaal wird wohl ohne die Preisträger stattfinden. Sotudeh sitzt seit mehr als zwei Jahren im Frauentrakt des Teheraner Evin-Gefängnisses, Panahi steht unter Hausarrest.

Es ist nicht die erste Preisverleihung, der Nasrin Sotudeh fernbleiben muss. Als sie vor vier Jahren im italienischen Meran einen Menschenrechtspreis entgegennehmen wollte, wurde ihr am Teheraner Flughafen kurzerhand der Reisepass entzogen. Ihr Ehemann und ihre neunjährige Tochter nahmen die Urkunde schließlich in Empfang. Inzwischen wurde auch gegen die beiden Familienmitglieder ein Ausreiseverbot verhängt.

Nasrin Sotudehs Lebensgeschichte zeigt: Wer sich im Iran für politisch Verfolgte einsetzt, droht selbst Opfer der Verfolgung zu werden. Acht Jahre musste sie nach ihrem Juraexamen darauf warten, als Anwältin zugelassen zu werden. Danach machte sie im Eiltempo von sich reden. Sie kämpfte vor Gericht für die Rechte der Frauen, für misshandelte Kinder, für minderjährige Straftäter in der Todeszelle. Sie verteidigte prominente Oppositionelle, darunter Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, und stritt für junge Aktivisten, die während des Volksaufstandes im Jahre 2009 verhaftet worden waren. Ihr Engagement wurde ihr zum Verhängnis: Sie, die stets um das Wohl ihrer Mandanten bangte, musste bald um ihr eigenes Schicksal fürchten. Im September 2010 wurde sie verhaftet und kam in Isolationshaft. Man warf ihr vor, sie habe Propaganda gegen das islamische Regime verbreitet und die nationale Sicherheit gefährdet. Ein Berufungsgericht verurteilte sie zu sechs Jahren Haft und legte fest, dass sie nach ihrer Entlassung zehn Jahre lang weder ihren Beruf ausüben, noch ihre Heimat verlassen dürfe. Jüngst trat sie zum dritten Mal in Hungerstreik, um gegen ihre Haftbedingungen zu protestieren.

Jafar Panahi, der zweite Preisträger, gilt als einflussreichster iranischer Regisseur seiner Generation. Im Ausland wurden seine Filme mit Trophäen überhäuft, in seiner Heimat dürfen sie nicht aufgeführt werden. Denn Panahi bringt auf die Leinwand, was es im iranischen Gottesstaat eigentlich nicht geben darf: Drogensüchtige, Prostituierte, Arbeitslose – und immer wieder: entrechtete Frauen.

Jahrelang hatte sich der heute 52-Jährige mit den iranischen Sittenwächtern ein irrwitziges Katz-und-Maus-Spiel geliefert. Mal reichte er bei den Behörden ein falsches Skript ein, um eine Drehgenehmigung zu ergattern, mal engagierte er mehrere Filmcrews gleichzeitig, um die Zensoren zu verwirren. Seinen letzten vollendeten Film ließ er in einem Kuchen aus dem Land schmuggeln.

Im Dezember 2010 verurteilte ihn ein Revolutionsgericht zu sechs Jahren Haft und zwanzigjährigem Berufsverbot, weil er in seinem Wohnzimmer heimlich einen Film über die Oppositionsbewegung drehte. "Mir ist es unmöglich, mit dem Arbeiten aufzuhören", sagte Panahi einmal, "denn nur wenn ich Filme mache, lebe ich". Seine Haftstrafe musste er bislang nicht antreten, doch sein Leben als Filmemacher ist vorerst beendet.

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