Aktuell 22. Juli 2014

Schluss mit Lippenbekenntnissen: Regierungen müssen endlich Schutzmaßnahmen gegen Folter ergreifen!

Aktionstag " Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer" mit Benno Führmann und Selim Caliskan

Aktionstag " Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer" mit Benno Führmann und Selim Caliskan

30 Jahre nach Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention ist klar: Es reicht nicht, wenn das absolute Folterverbot nur auf dem Papier steht. Die Staaten müssen auch zugehörige, konkrete Schutzmechanismen (engl. "safeguards") durchsetzen, die Folter und Misshandlung verhindern.

Mit der im Mai 2014 gestarteten Kampagne "Stop Folter" fordert Amnesty International Regierungen weltweit auf, effektive Schutzmaßnahmen gegen Folter zu ergreifen und sie konsequent umzusetzen. Die wichtigsten Schutzvorschriften gegen Folter finden sich in der UN-Antifolterkonvention und im UN-Zivilpakt.

Mit Schutzmechanismen sind generell alle Rechte, Institutionen, Handlungsverbote oder auch reale Personen gemeint, die einen Menschen konkret vor Folter schützen. Sie beantworten die Frage: Welche Handlungen muss ein Staat - neben Folter und Misshandlung selbst - unterlassen, welche Vorkehrungen muss er treffen, damit Folter und Misshandlung durch die eigenen Behörden keine Chance haben?

Die "safeguards" gegen Folter können als "Bausteine" jedes staatlichen Schutzsystems gegen Folter angesehen werden. Das Folterverbot allein ist erstmal nur ein Lippenbekenntnis der Staaten, das häufig jedoch nicht von ausreichendem politischen Willen begleitet wird, Folter und Misshandlung auch wirklich auszulöschen. Das konsequente Auslöschen von Folter und Misshandlung erfordert die Umsetzung zahlreicher Schutzvorkehrungen, der "safeguards". Indem man alle Staaten dazu anhält, diese "safeguards" zu etablieren, bringt man sie dazu im eigenen System "aufzuräumen" und Folter und Misshandlung den Nährboden zu entziehen.

Die wichtigsten dieser Schutzmechanismen sollen im Folgenden erklärt werden.

DIREKTE SCHUTZMASSNAHMEN, UM FOLTER IM EINZELFALL ZU VERHINDERN

Es gibt viele rechtliche Vorkehrungen, durch die staatliche Folter direkt verhindert werden soll. Am wichtigsten ist natürlich das absolute Folterverbot selbst, das die Staaten umsetzen müssen. Das Verbot bedeutet nicht nur, dass staatliche Behörden nicht foltern oder misshandeln dürfen. Der Staat muss Folter und Misshandlung auch in angemessener Form unter Strafe stellen und konsequent strafrechtlich verfolgen.
Das Folterverbot allein, das ja schon in Art. 7 des UN-Zivilpaktes und in Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert wurde, reicht aber in der Praxis nicht aus, um Folter und Misshandlung zu verhindern.

Daher gibt es weitere Vorschriften und Mechanismen, die als "safeguards" dafür sorgen sollen, dass Folter im Einzelfall keine Chance hat. Viele dieser Vorschriften setzen direkt dort an, wo die Gefahr von Folter und Misshandlung am größten ist: Wenn Menschen sich wegen des Verdachts einer Straftat in der Obhut der staatlichen Sicherheitsbehörden befinden, wenn ihnen also die Freiheit entzogen wird. Denn dann sind diese Personen dem Blick der Öffentlichkeit entzogen und darauf angewiesen, dass sich die Sicherheitsbehörden bei ihrer Arbeit an die rechtlichen Grenzen halten.

Es geht also konkret um Schutz in den "neuralgischen" Situationen Festnahme, Polizeigewahrsam, polizeiliche Vernehmung, Untersuchungshaft und Strafhaft.

1. Rechte von Beschuldigten während Festnahme, Vernehmung, Polizeigewahrsam, Haft

Für alle Phasen eines Strafverfahrens, also von der Festnahme angefangen über Polizeigewahrsam, Vernehmung, möglicher Untersuchungshaft, Gerichtsverfahren bis hin zur möglichen Strafhaft im Gefängnis, gelten bestimmte Schutzbestimmungen. Viele dieser Bestimmungen gelten für das gesamte Strafverfahren, einige nur für bestimmte Situationen. Die wichtigsten "safeguards" für die Behandlung von Beschuldigten, die festgehalten und ggf. vernommen werden, sind:

• Festgelegte gesetzliche Voraussetzungen – Schutz gegen Willkür

Ein "safeguard" gegen Folter ist bereits die Regelung in Art. 9 und 13 UN-Zivilpakt, nach der Personen nicht willkürlich, sondern nur unter ganz bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen einer Festnahme, der Untersuchungshaft etc. unterworfen werden dürfen: So darf das autorisierte Sicherheitspersonal nur bei akut drohender Gefahr, die vom Festgenommenen ausgeht, oder bei dringendem Verdacht einer Straftat Personen festnehmen. Die Untersuchungshaft, die ja vor der Gerichtsentscheidung über die Schuld eines Verdächtigen angeordnet wird, erfordert als Ausnahmeanordnung ebenfalls ganz bestimmte Gründe: Sie ist nur zulässig, wenn z.B. eine die akute Gefahr besteht, dass die verdächtige Person flieht und sich dem Verfahren entzieht.

• Informationsrecht

Auch das Recht der beschuldigten Person, jederzeit über staatliche Maßnahmen informiert zu werden, schafft Transparenz und beugt damit Folter vor. Jede Person, die festgenommen, verhört oder inhaftiert wird, muss sofort über die Gründe hierfür und über den möglichen Strafverdacht gegen sie informiert werden. Nur so hat die beschuldigte Person auch die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen, ob sie aussagen will oder nicht und welche Verfahrensschritte sie einleitet.

• Zugang zum Anwalt:

Einer der wichtigsten "safeguards" gegen Folter überhaupt ist die Anwesenheit von dritten Personen neben dem potentiellen Folteropfer und dem Sicherheitspersonal. Sie verhindern, dass Folter und Misshandlung im Verborgenen geschehen können und bringen buchstäblich Licht ins Dunkel. Daher darf jede Person, die festgenommen, vernommen oder inhaftiert wird, jederzeit einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Dieser Rechtsbeistand kann den oder die Beschuldigte/n nicht nur darin beraten, wie das Verfahren abläuft und wie er/sie sich im Verfahren verhalten soll. Er kann außerdem die Umsetzung weiterer Schutzrechte gegen Folter überwachen.

• Kontakt zur Familie

Ähnlich wie der Rechtsbeistand ist auch der Kontakt zur Familie oder anderen Personen ein Schutz davor, aus dem Blickfeld zu verschwinden. Bereits direkt nach der Festnahme muss der/die Beschuldigte die Möglichkeit haben, eine dritte Person (Familie oder andere) über den Aufenthaltsort und die Festnahme zu informieren. Gleiches gilt auch für inhaftierte Personen: Auch sie müssen regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie halten können. Geheime Haft ohne Kontakt zur Außenwelt (incommunicado Haft) ist nach internationalem Recht absolut verboten – sie begünstigt Folter, Misshandlung und Verschwindenlassen.

• Recht auf medizinische Untersuchung und Behandlung

Zu jedem Zeitpunkt im Strafverfahren hat der/die Beschuldigte ein Recht auf medizinische Behandlung. Außerdem muss er/sie auf Wunsch gezielt auf Misshandlungsvorwürfe hin untersucht werden.

• Pflicht zur Dokumentation der Verfahrensschritte

Ebenfalls der Transparenz dient die Pflicht der Sicherheitsbehörden, jeden Verfahrensschritt, jede Vernehmung und z.B. auch die Freilassung eines Beschuldigten zu dokumentieren. Damit werden die einzelnen Maßnahmen für den/die Beschuldigte/n selbst, aber auch für den Rechtsbeistand nachvollziehbar. Die Dokumentation kann eingesehen werden und Beschwerden können konkretisiert werden.

• Recht auf gerichtliche Überprüfung der Maßnahme

Insbesondere die Festnahme und die Inhaftierung einer Person müssen jederzeit gerichtlich überprüfbar sein. So müssen Polizei und andere Sicherheitsbehörden festgenommene Personen "unverzüglich" einem Richter vorführen, damit dieser über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs entscheiden kann. Auch wer in Untersuchungshaft sitzt, darf diese gerichtlich überprüfen lassen – und muss sofort freigelassen werden, wenn sie rechtswidrig ist.

2. Das Auslieferungs- und Abschiebungsverbot in die Folter: Non-Refoulement

Auch Staaten, die selbst nicht daran beteiligt sind, haben die Pflicht, Menschen vor Folter und Misshandlung zu schützen. Das regelt die UN-Antifolterkonvention in Art. 3: Danach dürfen Regierungen Personen nicht in Staaten abschieben oder sie ausliefern, in denen für sie die Gefahr besteht, gefoltert oder misshandelt zu werden.

SCHUTZMASSNAHMEN, DIE LÄNGERFRISTIG FOLTER VERHINDERN SOLLEN

Wenn die oben aufgeführten einzelnen Verfahrensrechte eines Beschuldigten gewahrt werden, sind die wichtigsten unmittelbaren Schutzvorschriften gegen Folter und Misshandlung in Kraft. Die Gefahr für den Einzelnen ist dann schon deutlich verringert. Darüber hinaus gibt es weitere "safeguards", die der langfristigen Prävention von Folter und Misshandlung dienen sollen:

1. Beweisverwertungsverbot

Nach Art. 15 der UN-Antifolterkonvention dürfen Beweise, die unter Folter und Misshandlung entstanden sind, in keinem Verfahren verwertet werden.
Dieser "safeguard" setzt zwar erst ein, wenn es schon zu Folter oder Misshandlung gekommen ist. Trotzdem soll und kann dieses Verbot auch Folter verhindern. Denn wenn erfolterte Beweise für die Justiz wertlos sind, fällt langfristig der Anreiz weg, zur "Beweisbeschaffung" Folter oder Misshandlung einzusetzen.

2. Untersuchungs- und Ermittlungspflicht der Staaten

Wenn Folter- oder Misshandlungsvorwürfe erhoben werden, hat jeder Vertragsstaat der UN- Antifolterkonvention nach Art. 12 und Art. 13 die Pflicht, diese Vorwürfe zu untersuchen und gegebenenfalls Ermittlungen einzuleiten. Obwohl die Folter- oder Misshandlung dann bereits geschehen ist, trägt eine effektive, unverzügliche und unabhängige Untersuchungspraxis dazu bei, dass erst gar kein Umfeld entsteht, in dem Folter toleriert wird. Eine konsequente Untersuchungspraxis setzt ein Zeichen gegen Folter und trägt dazu bei, sie in Zukunft zu verhindern. Umgekehrt ist ein Klima der Straflosigkeit und Toleranz von Foltervorkommnissen ein Nährboden für Misshandlung und Folter.

3. Mindeststandards für die Behandlung und Unterbringung von Gefangenen

Weil Personen, die in Gewahrsam oder Haft sitzen, besonders gefährdet für Folter und Misshandlung sind, gibt es besondere Mindeststandards für die Behandlung und Unterbringung von Gefangenen. Schlechte Haftbedingungen können einerseits selbst einer Misshandlung oder unter Umständen Folter gleichkommen. Sie begünstigen Folter und Misshandlung aber auch direkt. Daher finden sich unter anderem in den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung der Gefangenen, dem UN- Grundsatzkatalog und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen besondere Regelungen zu Maximalbelegung, Zellengröße, Sanitäreinrichtungen, Lichtzufuhr, Temperatur, Nahrungszufuhr, Zeit an der frischen Luft und möglichen Aktivitäten.

4. Zusatzprotokoll zur UN-Antifolterkonvention: Nationale Präventionsmechanismen

Alle Vertragsstaaten des Zusatzprotokolls zur UN-Antifolterkonvention müssen einen Nationalen Präventionsmechanismus einrichten, dessen Aufgabe ein regelmäßiges Monitoring aller Gefängnisse und ähnlicher Einrichtungen ist. Die durch das Zusatzprotokoll festgeschriebenen Zugangsgarantien und Kompetenzen dieser nationalen Monitoring-Stellen und des sie unterstützenden UN- Unterausschusses zur Verhütung von Folter umfassen den unangekündigten Zugang zu allen Haftanstalten, ein regelmäßiges Monitoring und private Interviews mit den Gefangenen. Vorausgesetzt, die Vertragsstaaten sorgen für die Einrichtung einer effektiven Nationalen Monitoring-Stelle, so agieren alle Sicherheitsbehörden in dem Wissen, dass ihre Hafteinrichtungen jederzeit besucht werden können.

Weitere Informationen zur Kampagne "Stop Folter" finden Sie hier: http://www.amnesty.de/stopfolter-kampagne

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