Aktuell 26. Mai 2010

Naher Osten und Nordafrika

Amnesty Report 2010

"Sie zeigten mir ein fotokopiertes Blatt Papier, auf dem stand: 'Seit den Wahlen versuchen einige Leute, Chaos und Unruhe zu verbreiten. Es ist erforderlich, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, ... um die Drahtzieher und ihre Komplizen zu identifizieren.' Das hörte sich ziemlich merkwürdig für mich an. Ich fragte: 'Was hat das denn mit mir zu tun?' Sie erklärten, dass das ein Haftbefehl ohne Nennung der gesuchten Person sei. Dann brachten sie mich zum Wagen."

So beschrieb Shiva Nazar Ahari, eine iranische Menschenrechtsverteidigerin, ihre am 14. Juni erfolgte Festnahme durch Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums.

Das Jahr begann mit dem Beschuss Gazas durch Kampfflugzeuge der israelischen Luftwaffe im Rahmen eines 22 Tage andauernden Militäreinsatzes, bei dem Hunderte von Palästinensern getötet wurden, und es endete mit zunehmender Repression im Iran, als wieder Tausende von Demonstranten auf die Straße gingen, um gegen das umstrittene Ergebnis der Präsidentschaftswahlen und das darauf folgende gewaltsame Vorgehen gegen Andersdenkende und Oppositionelle zu protestieren.

Beide Fälle illustrierten auf unterschiedliche Weise, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen, wenn ein Kreislauf von Menschenrechtsverstößen durchbrochen werden soll. Beide Fälle zeigen aber auch, welche Hindernisse auf dem Weg zur Erreichung dieses Ziels noch zu überwinden sind. Nach dem Konflikt in Gaza stellte eine UN-Untersuchung fest, dass beide Konfliktparteien, sowohl Israel als auch die Hamas, Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und forderte beide auf, wirksame Untersuchungen durchzuführen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Bis Ende 2009 hatte jedoch keine der beiden Seiten effiziente Schritte unternommen, um dieser Forderung nachzukommen.

Währenddessen schienen die iranischen Behörden mehr daran interessiert zu sein, Vorwürfe über Vergewaltigungen und andere Misshandlungen von Gefangenen zu vertuschen als diese zu untersuchen. Anstatt den von ihnen eingegangenen internationalen Verpflichtungen nachzukommen, Menschenrechtsverletzungen ordnungsgemäß zu untersuchen und die dafür Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, versuchten die Behörden die Schuld abzuwälzen. Die von ihren Sicherheitskräften begangenen Tötungen wurden denjenigen angelastet, die diese anprangerten. Als Urheber der Menschenrechtsverletzungen hatten die Behörden viel zu verbergen.

Die Vorgänge in Gaza und im Iran illustrierten auch in besonders extremer Form die anhaltende Unsicherheit, der Millionen von Menschen in der gesamten Region des Nahen Ostens und Nordafrikas ausgesetzt sind. Wie schon die vorangegangenen Jahre war auch das Jahr 2009 geprägt von tief verwurzelten politischen, religiösen und ethnischen Spaltungen, von zunehmend um sich greifenden Verhaltensmustern der Intoleranz und von Unrecht und gewaltsamen Konflikten. Angesichts dieser Situation können diejenigen, die für die Menschenrechte eintreten oder für Reformen plädieren, dies allzu oft nur unter Gefahr tun. Diese Spaltungen und Spannungen wurden im Jahr 2009 durch die ausländische Einmischung in der Region – insbesondere durch die Präsenz ausländischer Militärkräfte – und durch die Auswirkung der globalen Finanzkrise noch verschärft.

Bewaffnete Konflikte und Unsicherheit

Der kurze, aber heftige Konflikt in Gaza und im Süden Israels Anfang 2009 war auf beiden Seiten durch eine mitleidlose Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben von Zivilisten gekennzeichnet, die folglich auch die große Mehrheit der Toten und Verwundeten ausmachten. Zivilpersonen – Menschen, die versuchten, inmitten des sie umgebenden Chaos ihr tägliches Leben fortzuführen – waren auch die Hauptleidtragenden des internen Konflikts in weiten Teilen des Irak. Zwar war die Zahl der im Irak getöteten Menschen 2009 niedriger als in den Vorjahren, dennoch wurden immer noch viele Zivilpersonen getötet. Bombenanschläge in Bagdad und anderen Städten, die auf das Konto obskurer bewaffneter Gruppen gingen, schienen häufig das Ziel zu verfolgen, so viele Zivilisten wie nur möglich zu töten oder zu verstümmeln sowie Konflikte zwischen den religiösen Gruppen zu schüren. Auch bewaffnete Milizen, die im irakischen Parlament vertretenen Parteien nahestanden, entführten und ermordeten Zivilisten.

Im Jemen wurden ebenfalls Tausende von Zivilisten aus ihren Heimatorten vertrieben. Ihre Zahl betrug am Jahresende fast 200000. Eine unbekannte Anzahl von Personen verlor ihr Leben bei den erneut und mit noch größerer Intensität aufflammenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Anhängern eines der schiitischen Minderheit angehörenden Predigers, der im Jahr 2004 getötet worden war. Der Konflikt im nördlichen Regierungsbezirk Sa’da griff auf das benachbarte Saudi-Arabien über, dessen Truppen gleichfalls mit den schiitischen Rebellen zusammenstießen. Vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher Probleme griff die Regierung des Jemen vermehrt zu repressiven Maßnahmen, um die im Süden zunehmenden Unruhen und Proteste gegen mutmaßliche Diskriminierungen einzudämmen.

In Ländern wie Ägypten und Algerien kamen Zivilpersonen bei Angriffen bewaffneter Gruppen, von denen einige Verbindungen zu Al-Qaida haben sollen, ums Leben. Diese Angriffe und die üblicherweise darauf folgenden Verhaftungswellen verschärften die unsichere Lage in der Region noch weiter. Zudem konnten die Angriffe auch als Reaktion auf das Vorgehen einiger Regierungen gedeutet werden, die es vorzogen, auf Opposition, und zwar auch auf friedliche Opposition, mit Repression und Missachtung der Menschenrechte zu reagieren, statt Maßnahmen gegen die dafür ursächlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Missstände zu ergreifen.

Unterdrückung abweichender Meinungen

Die politische Unsicherheit, die die ganze Region durchdringt, zeigte sich aber auch in der durchgängig festzustellenden Intoleranz der Regierungen gegenüber Kritik und abweichenden Meinungen, auch wenn sie friedlich zum Ausdruck gebracht wurden. So gewährten Regierungen in Ländern wie Libyen, Saudi-Arabien und Syrien praktisch keinen Raum für Meinungsfreiheit oder unabhängige politische Betätigung. In Libyen war allerdings eine geringe Lockerung zu beobachten. Amnesty International erhielt zum ersten Mal seit fünf Jahren die Erlaubnis, das Land zu besuchen. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit blieben jedoch in ihrer Gesamtheit stark eingeschränkt.

In Ägypten wurden die Urteilssprüche gegen führende Mitglieder der Muslimbruderschaft – allesamt Zivilisten – bestätigt. Sie waren im Jahr 2008 in einem unfairen Verfahren vor einem Militärgericht zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Mitglieder und Anhänger dieser Organisation, die zwar verboten ist, jedoch breite Unterstützung genießt, wurden weiterhin schikaniert und inhaftiert. Im Westjordanland ging die von der Fatah geleitete Palästinensische Autonomiebehörde hart gegen Anhänger der Hamas vor, während in Gaza die De-facto-Verwaltung der Hamas Anhänger der Fatah ins Visier nahm. In beiden Gebieten wurden Gefangene gefoltert oder auf andere Weise misshandelt. Bei Feuergefechten, die sich die gegnerischen Fraktionen lieferten, wurden Unbeteiligte verwundet oder getötet.

Derweil gingen die marokkanischen Behörden mit zunehmender Härte gegen die Befürworter der Unabhängigkeit der seit 1975 unter marokkanischer Verwaltung stehenden Westsahara vor sowie gegen sahrauische Menschenrechtsverteidiger. Im November wiesen sie die sahrauische Menschenrechtlerin Aminatou Haidar kurzerhand auf die Kanarischen Inseln aus, mit der Begründung, dass sie ihre Staatsangehörigkeit verleugnet habe. Erst angesichts zunehmenden internationalen Drucks und nachdem Aminatou Haidar einen Monat lang im Hungerstreik gewesen war und so ihr Leben für die Verteidigung ihrer Menschenrechte aufs Spiel gesetzt hatte, gaben die Behörden nach und erlaubten ihr die Rückkehr in ihren Heimatort Laayoune.

In allzu vielen Staaten wurden diejenigen, die den Mut besaßen, die jeweilige Regierungspolitik in Frage zu stellen oder die Situation der Menschenrechte zu kritisieren, noch immer als Staatsfeinde gebrandmarkt, festgenommen und zu Freiheitsstrafen verurteilt.

In Syrien wurde im Juli der Menschenrechtsanwalt Muhannad al-Hassani festgenommen. Er musste mit einer 15-jährigen Gefängnisstrafe rechnen, weil er Defizite und unfaire Verfahren eines berüchtigten Sondergerichts aufgedeckt hatte, das vor allem für politische Prozesse genutzt wird. Die staatliche Rechtsanwaltkammer untersagte ihm die weitere Ausübung seines Berufs. Trotz seines Alters von 78 Jahren sah sich der politische Aktivist und Rechtsanwalt Haytham al-Maleh wegen seiner kritischen Äußerungen während eines Fernsehinterviews gleichfalls der möglichen Verurteilung zu einer 15-jährigen Gefängnisstrafe gegenüber.

Einige haben die friedliche Ausübung ihres Rechtes auf freie Meinungsäußerung sogar mit ihrem Leben bezahlt: In Libyen wurde Fathi el-Jahmi, ein langjähriger Kritiker der Regierung, nach mehr als fünfjähriger Haft zu einer verspäteten medizinischen Behandlung nach Jordanien ausgeflogen, als klar war, dass sein Tod bevorstand. Er starb zwei Wochen später.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medien

In den meisten Ländern der Region wurden die Medien streng überwacht. Medienverantwortliche und Journalisten mussten sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Vorschriften beachten und auf Themen verzichten, die als Tabu galten. Dazu gehörte die Kritik am Machthaber, seiner Familie und seinen Günstlingen sowie an staatlicher Korruption oder anderweitigem Machtmissbrauch durch die Herrschenden. Wer sich nicht daran hielt, musste mit Drangsalierung, Festnahme und strafrechtlicher Verfolgung unter der Anklage krimineller Diffamierung rechnen. Nicht nur die Massenmedien litten darunter. In Ägypten und Syrien wurden z. B. Blogger festgenommen und wegen ihrer Kommentare verurteilt. Überall in der Region blockierten die Behörden den Zugang zu Internetseiten, die Kommentare oder Informationen enthielten, die ihrer Ansicht nach ihren Interessen zuwiderliefen. Im Iran erreichte dieses Vorgehen in den Monaten nach der Präsidentschaftswahl im Juni extreme Ausmaße. Die Behörden kappten Telefon- und E-Mail-Kommunikationen, um zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kam. Insbesondere sollten mit Mobiltelefonen aufgenommene Fotos, auf denen gewaltsame Angriffe auf Demonstrierende durch die paramilitärischen Basij-Milizen und andere Schlägertrupps der Regierung zu sehen waren, nicht in Umlauf gelangen.

In Tunesien benutzten die Behörden konstruierte Anschuldigungen, um einige ihrer Kritiker strafrechtlich zu verfolgen. Gleichzeitig wurden die Medien manipuliert, um andere zu verleumden und zu diffamieren. Die davon Betroffenen erfuhren keinen rechtlichen Schutz. Nachdem die größte Journalistengewerkschaft des Landes größere Medienfreiheit eingefordert hatte, wurden ihre Vorstandsmitglieder abgesetzt und durch einen neuen Vorstand ersetzt. Der wiederum sprach sich dann offen für die Wiederwahl des 70-jährigen Präsidenten und damit eine bisher noch nie da gewesene fünfte Amtsperiode aus. Menschenrechtsverteidiger waren gleichfalls nach wie vor anhaltenden Schikanen, repressiver Überwachung und anderen Verletzungen ihrer Rechte durch die tunesischen Machthaber ausgesetzt. Die Regierung bemühte sich indes darum, vor der internationalen Öffentlichkeit ein menschenrechtsfreundliches Image zu pflegen.

Öffentliche Sicherheit

In Ägypten und Syrien hielten die Behörden über Jahrzehnte hinweg Ausnahmezustände aufrecht, die ihrer Sicherheitspolizei außerordentliche Vollmachten zur Festnahme und Inhaftierung von "Verdächtigen" verliehen. Sie war ermächtigt, diese Personen ohne Kontakt zur Außenwelt und unter Bedingungen festzuhalten, die Folter und anderen Misshandlungen und Übergriffen Vorschub leisteten. Im Westjordanland wandte Israel gegenüber den dort lebenden Palästinensern weiterhin ein Militärgerichtssystem an, während die Palästinenser in Gaza den israelischen Gesetzen unterlagen, die ihnen sogar noch weniger Rechte zubilligten.

In der gesamten Region stellten die Regierungen ihren Sicherheitskräften im Namen der staatlichen Sicherheit und des Schutzes der Öffentlichkeit außergewöhnliche Freibriefe aus. Die Sicherheitskräfte wurden als Reaktion auf Forderungen nach größerer Offenheit, freien Wahlen und politischem Wandel auch häufig zur Verfolgung parteipolitischer Interessen und zur Aufrechterhaltung von Machtmonopolen eingesetzt.

Folglich waren Folter und andere Misshandlungen weiter an der Tagesordnung und wurden in den meisten Fällen nicht geahndet. Es war allgemeine Praxis in der Region, Personen, die politischer Vergehen verdächtigt wurden, oft wochen- oder monatelang ohne Kontakt zur Außenwelt in geheimen oder inoffiziellen Gefängnissen festzuhalten. Dort wurden sie gefoltert und misshandelt, um sie zu zwingen, "Geständnisse" abzulegen und die Namen von Gleichgesinnten preiszugeben, die dadurch in Gefahr gerieten. Ferner beabsichtigten die Behörden mit der Methode der Folter und Misshandlung, die Festgenommenen zu Spitzeln zu machen oder sie schlichtweg zu quälen. Gegen viele dieser Gefangenen wurden häufig Verfahren vor Sondergerichten eingeleitet, deren Prozessführung im Widerspruch zu den internationalen Standards für ein faires Verfahren stand. Dabei wurden die von ihnen erhobenen Foltervorwürfe üblicherweise ignoriert, und sie wurden auf der Grundlage ihrer erzwungenen "Geständnisse" verurteilt.

Im Iran inszenierten die Behörden eine Reihe von "Schauprozessen", die an die Verfahren erinnerten, die mit einigen der totalitärsten Regime des 20. Jahrhunderts assoziiert werden. Hierbei ging es um die Bestrafung derjenigen, die beschuldigt wurden, beim Ausbruch der Proteste der Bevölkerung gegen die offiziellen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl federführend gewesen zu sein. In Saudi-Arabien gab die Regierung bekannt, dass mehr als 300 Personen unter terrorrelevanten Anklagen verurteilt worden seien, gab jedoch keine Einzelheiten über die Verfahren bekannt, die im Geheimen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und offenbar ohne Zulassung von Rechtsbeiständen durchgeführt wurden. Ein Todesurteil soll verhängt worden sein. Andere Angeklagte erhielten Haftstrafen von bis zu 30 Jahren.

Mehrere Regierungen wandten die Todesstrafe nach wie vor sehr häufig an. Sie rechtfertigten diese Praxis damit, dass die Verhängung der Todesstrafe durch die Scharia vorgeschrieben sei. Außerdem würden dadurch Verbrechen verhindert und die öffentliche Sicherheit garantiert. In einer Reihe anderer Staaten der Region vollzogen die Behörden jedoch keine Hinrichtungen. Zu den häufigsten Vollstreckern von Todesurteilen gehörten die Länder Iran, Irak und Saudi-Arabien. In all diesen Ländern erfolgten Hinrichtungen häufig nach rechtlichen Verfahren, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstießen. Darüber hinaus waren im Iran unter den Todeskandidaten auch jugendliche Straftäter, die für Verbrechen bestraft wurden, die sie begangen hatten, bevor sie das 18. Lebensjahr vollendet hatten. Im Gegensatz dazu hielten sich die Behörden in Staaten wie Algerien, Libanon, Marokko und Tunesien weiterhin an De-facto-Moratorien, unter denen in den letzten Jahren keine Exekutionen mehr stattfanden. Dies spiegelte den international wachsenden Trend zur Beendigung von Hinrichtungen wider.

Wirtschaftliche Probleme – Wohnen und Lebensgrundlagen

Trotz der Bemühungen der neuen US-Regierung, den Nahost-Friedensprozess wiederzubeleben, vergrößerte sich im Jahr 2009 die Kluft zwischen Israelis und Palästinensern noch weiter – nicht nur wegen der Toten und der Zerstörungen, die die Operation "Gegossenes Blei" hinterließ, sondern auch aufgrund der Auswirkungen der anhaltenden Blockade, die Israel 2007 über den Gazastreifen verhängt hatte. Die Blockade schloss weiterhin mehr als 1 Mio. Palästinenser vom Rest der Welt ab, isolierte sie innerhalb von Gazas engen Grenzen und schränkte den Import lebensnotwendiger Güter und Hilfslieferungen drastisch ein. Hierdurch wurden die Entbehrungen, die die Bevölkerung von Gaza bereits erdulden musste, noch weiter verschärft. Der Zugang der Menschen zu Gesundheitsversorgung und Bildung war in erheblichem Maße eingeschränkt, Industrien und Lebensgrundlagen waren zerstört.

Die Blockade war nach Angaben der israelischen Regierung verhängt worden, um bewaffnete palästinensische Gruppen davon abzuhalten, Granaten auf israelisches Gebiet abzuschießen. Tatsächlich stellte sie jedoch eine Kollektivstrafe gegen die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen dar. Wie nicht anders zu erwarten, traf die Blockade die Schutzlosesten am härtesten – die Kinder, die Alten, die Obdachlosen und die Kranken, unter ihnen auch Personen, die auf medizinische Behandlung außerhalb Gazas angewiesen waren. Dagegen waren die bewaffneten Kämpfer, die für den Abschuss der Raketen verantwortlich waren, von der Blockade weniger betroffen.

Die Blockade des Gazastreifens und Israels Strategien im Westjordanland, darunter Straßensperren und Reisebeschränkungen sowie die Zerstörung von Häusern – all dies trug zur Verarmung der Palästinenser bei, als sei es beabsichtigt gewesen. In anderen Teilen der Region lebten Millionen von Menschen in informellen Siedlungen – Slums – in unterschiedlichen Abstufungen der Armut. Im Großraum Kairo wohnten z. B. viele Menschen in Gebieten, die von den ägyptischen Behörden als "unsicher" eingestuft wurden, weil die ständige Gefahr plötzlichen Steinschlags bestand oder Hochspannungsleitungen ein Unfallrisiko darstellten. Gegen die Bewohner konnte jederzeit ohne vorherige Benachrichtigung oder angemessene Konsultation eine Zwangsräumung angeordnet werden. Andere Personen, die im Jahr 2008 nach einem Erdrutsch mit mehr als 100 Toten in Ausweichquartieren untergekommen waren, hatten kein sicheres Wohnrecht in ihren neuen Unterkünften.

Diskriminierung

In der gesamten Region waren Frauen und Mädchen weiterhin rechtlicher und anderweitiger Diskriminierung ausgesetzt. Ihnen wurde keine Möglichkeit zur Inanspruchnahme ihrer Rechte auf Bildung, Gesundheit und politische Beteiligung eingeräumt. In den meisten Ländern benachteiligten Familien- und Personenstandsgesetze Frauen gegenüber Männern in Bezug auf Erbschaft, Scheidung und das Sorgerecht für Kinder. Ebenso sind diese Gesetze ein Grund dafür, dass Frauen nur unzureichend gegen Gewalt in der Familie oder gegen geschlechtsspezifische Gewalt geschützt sind. Staaten wie Irak, Jordanien und Syrien hielten an Gesetzen fest, die es Männern, die Gewalt gegen Frauen ausgeübt haben, ermöglichen, einer Bestrafung zu entgehen oder nur geringfügig bestraft zu werden, wenn sie ihre Verbrechen "in einem Wutanfall" und zur Aufrechterhaltung der "Familienehre" begangen haben. Es war deshalb ein Fortschritt, als im Juli in Syrien der Präsident anordnete, dass Männer, die weibliche Familienmitglieder aufgrund derartiger Beweggründe töten oder verletzen, eine Mindeststrafe von zwei Jahren Gefängnis erhalten sollen. Sogenannte Ehrenmorde an Frauen wurden aus Jordanien, aus den Palästinensischen Autonomiegebieten und aus Syrien gemeldet. Im Irak wurden Frauen angegriffen und bedroht, weil sie sich nicht an die strikten Moralkodizes gehalten hatten, und weibliche Gefangene berichteten einem Parlamentsausschuss, dass sie während ihrer Haft vergewaltigt worden seien. Im Iran nahmen die Behörden weiterhin Menschenrechtsverteidigerinnen und Frauenrechtlerinnen ins Visier, die die zivilgesellschaftliche Kampagne für die Beendigung der rechtlichen Benachteiligung von Frauen anführten.

Im Jahr 2009 waren jedoch auch einige Fortschritte zu verzeichnen. In Kuwait wurden zum ersten Mal vier Frauen direkt ins Parlament gewählt, nachdem Frauen im Jahr 2005 das aktive und passive Wahlrecht erhalten hatten. In Saudi-Arabien wurde zum ersten Mal eine Ministerin ernannt – für Frauenbildung. Im Jemen gab es eine Gesetzesänderung, die es jemenitischen Frauen mit ausländischen Ehepartnern erlaubt, ihre Staatsangehörigkeit auf die Kinder zu übertragen. Die Entscheidung über einen Vorschlag, das Mindestalter zur Eheschließung für Mädchen anzuheben, steht jedoch noch aus, obwohl Früh- und Zwangsverheiratungen von Mädchen Berichten zufolge weiterhin üblich sind und möglicherweise zu Jemens hoher Müttersterblichkeitsrate beitragen. Katar trat im Juni unter Vorbehalten dem UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau bei, während die Regierungen Algeriens und Jordaniens zwar einige ihrer früheren Vorbehalte gegenüber dem Vertragswerk aufhoben, andere hingegen beibehielten, so dass sie weiterhin den Wesensgehalt der Übereinkunft, als ein Instrument zur Beendigung geschlechtsspezifischer Diskriminierung, unterlaufen.

In den erdöl- und erdgasreichen Golfstaaten waren es zumeist die aus Asien kommenden Arbeitsmigranten, die mit ihrer Arbeitskraft die nationalen Volkswirtschaften stützten und dabei halfen, den größten Wolkenkratzer der Welt zu erbauen, der im Dezember mit einem großen Spektakel in Dubai eröffnet wurde. Die Arbeitsmigranten hatten in harter Arbeit das Bauwerk in die Höhe getrieben, aber wenn es um die Menschenrechte ging, dann zählten sie zu den Verlierern: misshandelt, ausgebeutet und häufig dazu verdammt, unter armseligen Bedingungen außer Sichtweite des Reichtums zu leben. Sowohl in den Golfstaaten als auch in anderen Ländern, wie im Libanon, standen Arbeitsmigrantinnen, die als Hausangestellte arbeiteten, am unteren Rand der Gesellschaft. Zumeist waren sie sogar von den geringen arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen ausgeschlossen, die für die im Baugewerbe und anderen Industriezweigen arbeitenden Migranten galten. Sie gehörten zu denen, die ohne Schutz der Ausbeutung und Misshandlung ausgeliefert waren. Sie wurden dreifach diskriminiert: als Ausländerinnen, als schutzlose Arbeitskräfte und als Frauen.

Die Situation ausländischer Migranten gab in der gesamten Region Anlass zu großer Besorgnis. Tausende Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus aus den afrikanischen Staaten südlich der Sahara, die Arbeit suchten oder nach Europa weiterreisen wollten, wurden in Algerien, Libyen und anderen Staaten festgenommen oder kollektiv ausgewiesen. Einige von ihnen sollen geschlagen oder in anderer Weise misshandelt worden sein. Die ägyptischen Sicherheitskräfte erschossen mindestens 19 Migranten, die versucht hatten, die Grenze nach Israel zu überqueren, und schoben 64 Migranten trotz der damit verbundenen Risiken für ihre Menschenrechte nach Eritrea ab. Die algerische Regierung erklärte das "unerlaubte" Verlassen des Landes zu einem Straftatbestand – sowohl für Staatsbürger des Landes als auch für Ausländer. Ein dem israelischen Parlament vorliegender Gesetzentwurf sah eine Bandbreite von Gefängnisstrafen vor, die gegen Ausländer, die illegal nach Israel einreisen, verhängt werden sollen. Für bestimmte Nationalitäten sind darin besonders harte Strafen vorgesehen.

Flüchtlingen und Asylsuchenden wurde ebenfalls nur in seltenen Fällen der ihnen rechtmäßig zustehende Schutz gewährt. Im Libanon erhielt die große, seit langem dort angesiedelte Gemeinschaft palästinensischer Flüchtlinge nach wie vor keinen Zugang zu angemessenem Wohnraum und zu Arbeitsstellen. Auch die Inanspruchnahme anderer wirtschaftlicher und sozialer Rechte wurde diesen Flüchtlingen verwehrt. Tausenden von Menschen, die aus dem Flüchtlingslager Nahr al-Bared geflohen waren, um den Kämpfen im Jahr 2007 zu entgehen, war es mehr als zwei Jahre nach Beendigung der Kämpfe noch immer nicht möglich, in ihre früheren Unterkünfte zurückzukehren. Darüber hinaus stoppten die libanesischen Sicherheitsbehörden einen Prozess, der darauf abzielte, die Lage der auf mehrere Tausend geschätzten Flüchtlinge ohne gültige Papiere zu verbessern.

Frauen, Migranten und Flüchtlinge waren aber nicht die einzigen, die 2009 unter Diskriminierung und Gewalt litten. Im Iran, im Irak und in anderen Staaten waren auch Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten Diskriminierung und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. In Syrien waren Tausende von Kurden faktisch staatenlos, und politisch aktive Angehörige der kurdischen Minderheit wurden festgenommen und inhaftiert. Die Behörden von Katar hielten Angehörigen eines Stammesvolkes, denen man einen Putschversuch von 1996 zur Last legte, weiterhin die Staatsangehörigkeit und somit auch die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme und die Ausübung anderer Rechte vor. Zu den anderen Minderheiten, die Diskriminierung erfuhren, gehörte die Gruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen. So wurden z. B. in Ägypten der Homosexualität verdächtigte Männer auf der Grundlage eines Gesetzes gegen "moralische Verwerflichkeit" gezielt verfolgt und erniedrigender Behandlung unterzogen. Und im Irak wurden homosexuelle Männer von islamistischen Milizen entführt, gefoltert, ermordet und verstümmelt. Die Täter wurden nicht zur Verantwortung gezogen.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Im Jahr 2009 gab es kaum Fortschritte bei der Aufarbeitung von Menschrechtsverletzungen der Vergangenheit, obwohl viele Überlebende sowie Familien der Opfer unermüdliche Anstrengungen unternahmen, um die Wahrheit über das Geschehene zu erfahren und Gerechtigkeit zu erlangen. Die algerische Regierung schien entschlossener denn je zu sein, die Tötungen und Fälle von "Verschwindenlassen" in den 1990er Jahren aus dem öffentlichen Gedächtnis zu tilgen, und die syrische Regierung zeigte kein Interesse daran, das Schicksal derjenigen aufzuklären, die unter der Herrschaft des Vaters des gegenwärtigen Präsidenten "verschwanden". Im Libanon erreichten Menschenrechtsgruppen einen Gerichtsbeschluss zur Offenlegung der Ergebnisse einer früheren Untersuchung über "verschwundene" Personen, aber es gab wenig Anzeichen dafür, dass die Regierung – eine mühsam ausbalancierte Kompromisslösung unterschiedlicher Fraktionen – willens war, mit Nachdruck nach der Wahrheit zu suchen. In den Niederlanden wurde das Sondertribunal für den Libanon eingerichtet mit dem Mandat, die Verantwortlichen der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri und der damit zusammenhängenden Anschläge strafrechtlich zu verfolgen. Es wurden jedoch keine ergänzenden Schritte eingeleitet, um in vielen weiteren Fällen zu ermitteln. In Marokko und Westsahara müssen rechtliche und institutionelle Reformen, die schon vor Jahren von der Kommission für Gerechtigkeit und Versöhnung empfohlen worden waren, noch umgesetzt werden.

Ferner sind noch immer keine Schritte unternommen worden, um denjenigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, deren Rechte unter der Herrschaft von König Hassan II. verletzt worden waren, als staatliche Kräfte mit besonderer Gewalt gegen Dissidenten und Oppositionelle vorgingen. Im Irak wurden weitere Verfahren gegen Personen eingeleitet, denen die Anklage zur Last legt, Verbrechen unter dem Regime von Saddam Hussein begangen zu haben. Die Prozesse fanden allerdings vor einem mit gravierenden Defiziten behafteten Gericht statt, das weitere Todesurteile verkündete. In Libyen warteten die Angehörigen der im Jahr 1996 im Abu-Salim-Gefängnis getöteten Häftlinge noch immer auf das Ergebnis der verspäteten und offenbar geheimen amtlichen Ermittlungen.

Fazit

Zehn Jahre nach dem Beginn eines neuen Jahrtausends bleibt noch sehr viel zu tun, um die Menschenrechte zu verwirklichen, die vor mehr als 60 Jahren in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamiert worden sind. In der gesamten Region haben sich insbesondere die Behörden als zu zögerlich oder unwillig erwiesen, ihren aus internationalen Verträgen resultierenden Pflichten zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte nachzukommen. Angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus hat sich diese Tendenz noch verschärft. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung wurde das härtere Vorgehen gegen berechtigte Kritik und abweichende Meinungen gerechtfertigt. Ungeachtet aller Repressionen erheben jedoch mutige Menschen überall in der Region unbeirrt ihre Stimme, um für ihre eigenen Rechte und die Rechte anderer Menschen einzutreten.

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