Aktuell 13. April 2010

Feo Aladag: Die Fremde

Zwischen Liebe Ehre und Familie
Als Zeichen ihrer Achtung verbeugt sich Umay (Sibel Kekilli) vor ihrem Vater (Settar Tanriögen)

Als Zeichen ihrer Achtung verbeugt sich Umay (Sibel Kekilli) vor ihrem Vater (Settar Tanriögen)

Als Umay mit ihrem Sohn Cem nach Berlin kommt, ist die Freude zunächst groß. Eine Ewigkeit scheint die junge Mutter nicht mehr bei Eltern und Geschwistern in Deutschland gewesen zu sein. Die euphorische Stimmung kippt jedoch schnell: Umay will nicht zu ihrem Ehemann nach Istanbul zurückkehren. Sie ist mit dem kleinen Cem vor Gewalt und Misshandlungen geflohen, will zurück in Berlin ein selbstbestimmtes Leben führen.

"Ich will mit Cem hier bleiben anne (AdR: "Mutter" auf türkisch). Geld verdienen, arbeiten, zur Schule gehen", sagt Umay bestimmt zu ihrer Mutter, weiß jedoch, dass sie ihrer Familie damit viel zumutet. Umay hofft auf familiäre Liebe, die schwerer wiegt als der gesellschaftliche Druck. Eltern und Geschwister sind hin und her gerissen. "Hör auf zu träumen", wirft ihr die Mutter an den Kopf, als Umay von ihren Plänen erzählt. Umays Geschwister stehen ihr zunächst treu zur Seite, leiden jedoch zunehmend unter dem Druck ihres sozialen Umfelds. Und Kade, der seine Tochter zwar innig liebt, für den Tradition und Ehre als Familienvater jedoch an oberster Stelle stehen, fordert Umay auf nach Istanbul zurückzukehren.

Um sich und ihren Sohn zu schützen, sieht Umay schließlich keine Möglichkeit, als aus dem Haus der eigenen Familie zu fliehen. Die wiederum sieht ihr bisheriges, ausgeglichenes Leben in Berlin schwinden und kann Umay dies nicht verzeihen.

"Die Fremde" behandelt Themen, die aus den Nachrichten bekannt scheinen: Extremismus, Zwänge, Ehrenmord. Vielschichtig und nachvollziehbar zeichnet Feo Aladag, Regisseurin, Produzentin und Drehbuchautorin, ein ergreifendes Familienportrait. Bei aller gesellschaftlichen Brisanz, ist ihr ein aufwühlendes Drama gelungen, das eine erstaunlich differenzierte Sicht auf das Problem "Ehrenmord" bietet und Schuldzuweisungen vermeidet. Realistisch und erschreckend empathisch werden Motive und mögliche Gründe für einen Ehrenmord aufgezeigt – ohne dabei die muslimische Gesellschaft zu verurteilen. Die Autorin tappt nicht in die Falle, Ehrenmord als Phänomen der Türkei oder des Islam darzustellen – während Ehrverbrechen und Zwangsheirat hierzulande oft als pauschaler Beleg für Rückständigkeit und mangelnde Integrationsfähigkeit der Einwanderer aus diesen Gesellschaften herangezogen werden. Das ist jedoch eine verkürzte Betrachtungsweise: Es gibt im Islam keine religiöse Rechtfertigung für "Ehrenmorde" und die meisten in Deutschland lebenden Türken und Kurden verurteilen Ehrenmord sowie Zwangsheirat.

"Die Fremde" ist keine Opfergeschichte, zeigt die Frau nicht als unterdrücktes ergebenes Wesen ohne eigene Stimme. Das Thema Tradition/Ehre/Ehrverbrechen wird differenziert dargestellt – was kluge Ratschläge und Lösungen (aus dem Westen) zwar schwieriger macht, doch Potential bietet, den ständigen Debatten eine dringend benötigte Vielschichtigkeit zu verleihen.

Von Wiebke Fröhlich

"Die Fremde". D, 2010. Regie: Feo Aladag. Darsteller: Sibel Kekilli, Florian Lukas, Settar Tanriögen, Derya Alabora, u.a. Start: 11. März 2010

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber.

Schlagworte

Aktuell

Weitere Artikel