Amnesty Journal Kuba 01. November 2019

An der Filmrolle gedreht

Eine Gebäude mit einer Filmankündigung, im Vordergrund ein schwarzes Auto und ein Fahrradfahrer.

Die Filmszene auf Kuba wird künftig von einem nationalen Institut überwacht. Das Yara-Kino in Havanna.  

Die kubanische Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, mit dem die unabhängige Kulturszene reguliert werden soll. Filmemacher und Schauspieler protestieren.

Aus Havanna Nicolás Ardila

"Fresa y Chocolate" heißt die Bar gegenüber dem Nationalen Institut für Kunst und Film (ICAIC) in der 23. Straße von Havanna. Benannt ist sie nach dem legendären Film aus dem Jahr 1993, der die Realität homosexueller Paare in Kuba schildert. Miguel Coyula ist hier Stammgast. Diesen Sommer sollte der Regisseur auf einem Podium sitzen und mit anderen Regisseuren über das unabhängige Kino auf der Insel diskutieren. Doch zwei Tage vor der Veranstaltung wurde der 32-Jährige ausgeladen.

Coyula ist überzeugt, dass sein Name auf einer schwarzen Liste unbequemer Kulturschaffender steht. Grund könnte sein, dass der Regisseur und Drehbuchautor sich nicht scheut, Heikles zu thematisieren. In seinem Dokumentarfilm "Nadie" hinterfragt er den Werdegang der kubanischen Revolution und die Bedeutung Fidel Castros aus der Perspektive von Rafael Alcides, einem ehemals bekannten kubanischen Poeten. Obendrein ist der verstorbene Revolutionsführer abseits von historischen Momenten zu sehen – auch das ein Tabu. In Kuba hat der Film keine Chance, in einem offiziellen Kino gezeigt zu werden – er sei "incomodo", unbequem, heißt es auf der Insel. Wer Denkverbote nicht akzeptieren will, muss wie Coyula im "Guerilla-Stil" arbeiten: ohne Drehgenehmigung, ohne ein Drehbuch oder ­Treatment vorzulegen und nur mit schmalem Budget, aus eigener Tasche finanziert.

Im September trat ein neues Gesetz zur "Regulierung unabhängiger audiovisueller Produktionen" in Kraft, das keine Autonomie in der Kunst vorsieht. Miguel Coyula bezeichnet Gesetz 373 als "einen Frontalangriff" auf das kritische Kino: "Drehbuchautoren, Filmemacher und Produktionsfirmen werden in ein Korsett gepresst, und das Nationale Kunst- und Filminstitut wird zur staatlichen Kontrollinstanz erhoben." Ein nationales Register soll künftig Kino- und TV-Regisseure, Drehbuchautoren und kleine unabhängige Produktionsfirmen, wie die "Producciones Pirámide", die "Nadie" produzierte, erfassen.

Das ICAIC wird nicht nur für das Register zuständig sein, es soll auch über die Qualität der Produktionen wachen, Gelder aus dem neu aufgelegten Fonds zur Filmförderung verteilen und Genehmigungen für Filmvorführungen und Drehgenehmigungen erteilen. Nach welchen Kriterien, fragen sich unter anderem der Filmkritiker Gustavo Arcos und die Schauspielerin Lynn Cruz. "Transparenz Fehlanzeige", kritisiert Cruz und zieht eine Parallele zu dem 2018 in Kraft getretenen Gesetz 349, das eine Welle der Kritik ausgelöst hatte, da es den autonomen Kunstbetrieb regulieren soll. "Beide Gesetze weisen in die gleiche Richtung. Autonomie ist unerwünscht, die künstlerische Freiheit wird beschnitten", sagt die Schauspielerin und Theaterregisseurin.

Eine Frau und ein Mann, dahinter ein dunkler, leicht geröteter Himmel.

Die kubanische Schauspielerin Lynn Cruz und der kubanische Regisseur Miguel Coyula.

Während das Gesetz 349 Künstlern, die nicht offiziell als Kulturschaffende registriert sind, mit Sanktionen für Aufführungen und Performances droht, lässt das Gesetz für audiovisuelle Produktionen diese Frage offen. Abwarten lautet deshalb die Devise vieler unabhängiger Filmschaffender. Einhellig positiv bewerten sie die Tatsache, dass unabhängige Produktionsfirmen nun offiziell anerkannt werden, ein eigenes Bankkonto eröffnen dürfen und sich ganz offiziell als Selbstständige anmelden können, anstatt in einer Grauzone agieren zu müssen.

Für die Performancekünstlerin Tania Bruguera ist jedoch alarmierend, dass die staatlichen Institutionen definieren, wer Künstler ist und wer nicht. "Nur wer offiziell registriert ist, darf auftreten, ausstellen, vorführen – die staatliche Kontrolle reicht bis hinter die eigene Haustür", sagt Bruguera. Sie hat 2015 das "Institut für Kunstaktivismus Hannah Arendt" in ihrem Elternhaus gegründet und hat bereits Besuch von staatlichen Kontrolleuren erhalten. Diese erklärten ihr Institut für illegal, weil sie angeblich Geld aus regierungskritischen US-Fonds erhalten habe. Dabei hat Bruguera das Projekt durch Crowdfunding auf die Beine gestellt.

"Die Regierung versucht, Freiräume für unabhängige Kunst und Reflexion per Gesetz zu schließen, sie stellt die Kunst unter Beobachtung", lautet der Vorwurf der Künstlerin. Bruguera hat sich an den Protesten gegen das Gesetz 349 beteiligt, Interviews gegeben, Artikel auf Facebook gepostet und wurde im Dezember 2018 dreimal bei Demonstrationen vor dem Kulturministerium in Havanna festgenommen. Einschüchtern lässt sie sich davon nicht. Im Sommer liefen gleich drei Filme von Miguel Coyula in einer Veranstaltungsreihe zum unabhängigen Kino in ihrem autonomen Institut. Thema waren auch die beiden Gesetze, die die freie Kunst und das unabhängige Kino nun regulieren sollen.

Gegen das Gesetz 349 haben ein Dutzend Künstler, darunter Michel Matos und Amaury Pacheco, offiziell Beschwerde eingelegt. "Wegen Verstoßes gegen Verfassungsrechte", erklärt der Dokumentarfilmer Michel Matos. Auf juristischer Ebene ist zwar nichts geschehen, "aber unser Protest hat für Aufsehen gesorgt und zumindest für eine Reaktion der Verantwortlichen". Dem Protest hatten sich auch prominente Künstler wie der Liedermacher Silvio Rodríguez angeschlossen. Ende vergangenen Jahres, wenige Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes, kündigte das Kulturministerium an, bei den Bestimmungen zur Umsetzung auf die Kritik einzugehen. Doch geschehen ist seitdem nichts.

Viel Hoffnung haben Matos und Pacheco daher nicht, dass das Ministerium die Umsetzungsbestimmungen liberalisieren wird. "Mir scheint, es wird nach der alten Maxime Fidel Castros vorgegangen: Alles innerhalb der Revolution, nichts gegen die Revolution", sagt der Poet und Performancekünstler Pacheco. Unter dem Slogan aus dem Jahr 1961 erfolgte damals der Aufbau von Kulturorganisationen, denen sich Künstler und Intellektuelle anzuschließen hatten. Das könnte sechzig Jahre später erneut die politische Strategie sein.

Miguel Coyula hat bereits angekündigt, auch weiterhin vollkommen autonom Filme machen zu wollen – im Guerilla-Stil.

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