In geheimer Haft

Vladimir Bezobrazov und vier weitere Männer (die Namen liegen Amnesty International vor, können jedoch nicht veröffentlicht werden) werden vermutlich in einer geheimen Hafteinrichtung des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine (SBU) in Charkiw im Nordosten des Landes festgehalten. Im vergangenen Monat wurden 13 Menschen aus der Hafteinrichtung entlassen. Die ukrainischen Behörden bestreiten jedoch weiterhin, jemals Personen in geheimer Haft festgehalten zu haben.

Appell an

OBERSTER MILITÄRSTAATSANWALT DER UKRAINE
Anatoliy Matios
Vul. Riznytska 13/15
01601, Kyiv
UKRAINE
(Anrede: Dear Mr Matios / Sehr geehrter Herr Matios)
Fax: (00 380) 44 280 2603
E-Mail: press-service@gp.gov.ua

LEITER DES UKRAINISCHEN INLANDSGEHEIMDIENSTES SBU
Vasyl Hrytsak
Volodymyrska St., 35
01601 Kyiv 34, UKRAINE
(Anrede: Dear Mr Hrytsak / Sehr geehrter Herr Hrytsak)
Fax: (00 380) 44 226 3431
E-Mail: pressinfo@ssu.gov.ua

Sende eine Kopie an

PRÄSIDIALER KONTROLLKOMMISSAR DES UKRAINISCHEN INLANDSGEHEIMDIENSTES SBU
A.M. Polyakh
Vul. Bankova, 11
01220 Kyiv
UKRAINE
E-Mail: polyakh@apu.gov.ua

BOTSCHAFT DER UKRAINE
S. E. Herrn Andrii Melnyk
Albrechtstraße 26
10117 Berlin
Fax: 030-2888 7163
E-Mail: emb_de@mfa.gov.ua

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 10. Oktober 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

LUFTPOSTBRIEFE, FAXE ODER E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Geben Sie bitte die Aufenthaltsorte von Vladimir Bezobrazov und den vier anderen Männern bekannt, die in geheimer Haft in einer Hafteinrichtung des SBU in Charkiw festgehalten werden sollen.

  • Lassen sie die Männer bitte sofort frei, sofern sie nicht einer als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden und unverzüglich Zugang zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien erhalten.

  • Führen Sie bitte zeitnah eine wirksame und unparteiische Untersuchung der Vorwürfe des Verschwindenlassens von Personen durch den SBU, einschließlich des Falls von Vladimir Bezobrazov, durch. Untersuchen Sie bitte auch die Vorwürfe der rechtswidrigen Inhaftierungen beim SBU in Charkiw und stellen Sie alle Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Ukrainian authorities to disclose the whereabouts of Vladimir Bezobrazov and the four other men believed to be held in secret detention in the SBU compound in Kharkiv.

  • Urging them to either charge these men with a recognizable criminal offence and ensure their immediate access to a lawyer and their family, or release them immediately.

  • Calling on them to carry out a prompt, effective and impartial investigation into the allegations of enforced disappearances carried out by the SBU, including that of Vladimir Bezobrazov, and into the allegations of unlawful detentions at the SBU compound in Kharkiv, and bring all those responsible to account in fair trial proceedings.

Sachlage

Der russische Staatsangehörige Vladimir Bezobrazov wurde am 17. Mai 2014 festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich im Familienurlaub in Karolino-Buhaz in der Region Odessa. Der Leiter der lokalen Grenzposten hörte, wie Vladimir Bezobrazov in einem Café positive Kommentare über die pro-russischen Separatist_innen machte und nahm ihn noch vor Ort fest. Nach zwei Tagen in der Zentrale des Grenzschutzes in Karolino-Buhaz "gestand" Vladimir Bezobrazov, dass er in die Ukraine gekommen sei, um pro-russische Separatist_innen zu rekrutieren. Er wurde in ein Gefängnis in Odessa gebracht und wegen versuchter Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine (Paragraf 110 des ukrainischen Strafgesetzbuchs) angeklagt. Vladimir Bezobrazov zog sein "Geständnis" vor Gericht zurück und sagte, dass er dieses unter Zwang abgelegt habe.

Am 2. März 2015 haben ukrainische Vermittler_innen, die den Austausch von Gefangenen organisieren, sich an Vladimir Bezobrazovs Rechtsbeistand gewandt. Sie boten an, Vladimir Bezobrazov im Austausch gegen einen ukrainischen Kämpfer, der von den pro-russischen Separatist_innen in Luhansk festgenommen worden war, freizulassen, wenn er sein "Geständnis" vor Gericht bestätigen würde. Vladimir Bezobrazov stimmte zu. Am 6. März 2015 verhängte das Bezirksgericht in Owidiopol eine dreijährige Bewährungsstrafe gegen ihn. Als Vladimir Bezobrazov das Gerichtsgebäude verließ, fuhr ein Lieferwagen vor den Eingang. Mehrere Männer stiegen aus, zogen ihn ins Fahrzeug und fuhren davon. Seitdem wird er vermisst. Im Mai 2015 erfuhr Lyudmila Korobova, Vladimir Bezobrazovs Mutter, von einem Mann, der aus der geheimen Haft beim Geheimdienst in Charkiw freigelassen worden war, dass ihr Sohn dort festgehalten werde. Zwischen Mai 2015 und August 2016 erhielt Lyudmila Korobova einen Telefonanruf von Vladimir Bezobrazov und mehrere Anrufe von ehemaligen Mithäftlingen ihres Sohnes, die seine Haft in der Hafteinrichtung des Geheimdiensts bestätigten.

Eine Untersuchung zum "Verschwinden" von Vladimir Bezobrazov, die nach einer Beschwerde der Mutter vom Mai 2015 von der Polizei eingeleitet worden ist, führte bisher zu keinen Ergebnissen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 21. Juli veröffentlichten Amnesty International und Human Rights Watch gemeinsam den englischsprachigen Bericht Ukraine: "You Don’t Exist": Arbitrary Detentions, Enforced Disappearances, and Torture in Eastern Ukraine (https://www.amnesty.org/en/documents/eur50/4455/2016/en/). Der Bericht dokumentiert Menschenrechtsverstöße wie zum Beispiel Fälle von Verschwindenlassen in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Er liefert zudem Nachweise dafür, dass in Hafteinrichtungen des Inlandsgeheimdienstes (SBU) in Charkiw, Kramatorsk, Isjum und Mariupol Personen rechtswidrig in geheimer Haft gehalten werden. Der Bericht beinhaltet detaillierte und glaubhafte Aussagen von drei Personen, die eigenen Angaben zufolge für einen Zeitraum von sechs Wochen bis 15 Monaten vom SBU rechtswidrig in geheimer Haft gehalten wurden.

Als Vertreter_innen von Amnesty International und Human Rights Watch sich im Juli 2016 mit einigen ukrainischen Beamt_innen trafen, teilte man ihnen mit, der SBU unterhalte außer in Kiew keine weiteren Hafteinrichtungen und wende keine geheime Haft an. Gleichzeitig versicherte der Oberste Militärstaatsanwalt der Ukraine, dass alle Vorwürfe aus dem Bericht untersucht werden würden.

Offizielle Untersuchungen mutmaßlicher Menschenrechtsverstöße, die durch Angehörige ukrainischer Truppen und sogenannter freiwilliger Bataillone zur Bekämpfung separatistischer Kräfte in der Ostukraine begangen worden sein sollen, stellten sich in der Vergangenheit als nicht sonderlich wirkungsvoll heraus.

Kostyantyn Beskorovaynyi wurde 2014 in der Ostukraine Opfer des Verschwindenlassens (siehe UA-017/2016, unter: www.amnesty.de/urgent-action/ua-017-2016/verbleib-unbekannt). Derzeit lebt er in dem Teil der Ukraine, der von der Regierung kontrolliert wird. Er wurde im Februar 2016 aus der geheimen Haft entlassen und wird seinen Angaben zufolge seitdem bedroht und schikaniert, um ihn dazu zu bringen, seine Aussage abzuändern und eine andere Erklärung für seine 15-monatige Abwesenheit von zuhause und von seinem Arbeitsplatz anzuführen.

Die Praxis des Verschwindenlassens scheint im Zusammenhang mit dem Gefangenenaustausch der Konfliktparteien im Donbass in der Ostukraine zu stehen. Beide Seiten des Konflikts begannen im Frühjahr 2014 mit einem Gefangenenaustausch, in dessen Verlauf es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Amnesty International und Human Rights Watch präsentieren in ihrem Bericht Nachweise dafür, dass die Inhaftierten in einigen Fällen effektiv als "Tauschobjekte" eingesetzt werden.

Nach Veröffentlichung des Berichts am 21. Juli 2016 wurden am 25. Juli sechs Personen und am 2. August sieben Personen aus der geheimen Hafteinrichtung des Inlandsgeheimdiensts in Charkiw freigelassen. Amnesty International sprach mit sieben von ihnen und alle bestätigten unabhängig voneinander die Existenz der geheimen Hafteinrichtung und die Informationen, die im Bericht zu der Praxis des Verschwindenlassens von Personen durch den SBU aufgezeigt wurden. Außerdem nannten sie weitere Details und lieferten ausführlichere Informationen zur Behandlung von Insass_innen in der Hafteinrichtung. Des Weiteren bestätigten sie, dass zum Zeitpunkt ihrer Freilassung am 2. August weiterhin fünf Männer, darunter Vladimir Bezobrazov, in Charkiw festgehalten wurden. Amnesty International hat die Namen der fünf Männer an den Obersten Militärstaatsanwalt, den Leiter des Geheimdienstes und die Präsidialverwaltung der Ukraine weitergeleitet.