Dringend medizinische Versorgung benötigt

Stanislav Klykh wird derzeit in einer Untersuchungshafteinrichtung festgehalten, nachdem er am 26. Mai in einem unfairen Verfahren zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Er befindet sich in einem sehr schlechten psychischen Gesundheitszustand und muss dringend behandelt und von unabhängigen Ärzt_innen untersucht werden. Grund für seine psychischen Probleme sind wahrscheinlich die Folter und anderweitigen Misshandlungen, die er erlitten hat. Die russischen Behörden weigern sich, die Misshandlungsvorwürfe zu untersuchen.

Appell an

GENERALSTAATSANWALT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Yuriy Yakovlevich Chaika
Prosecutor General’s Office
Ul. B. Dmitrovka, d.15a
125993 Moscow GSP- 3
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 987 58 41 oder (00 7) 495 692 17 25

STAATSANWALT DER REPUBLIK TSCHETSCHENIEN
Abdul-Kadyrov Sharpuddi
Ul. Idrisova 42
364000 Grozny
REPUBLIK TSCHETSCHENIEN
(Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
E-Mail: procurat-chech@mail.ru

Sende eine Kopie an

LEITER DES UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSSES
Aleksandr Bastrykin
Tekhnicheskii pereulok, d. 2
105005 Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 17. August 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stellen Sie sicher, dass der psychische Gesundheitszustand von Stanislav Klykh umfassend durch unabhängige ausländische Expert_innen untersucht wird und jegliche erforderliche medizinische Behandlung erhält.

  • Veranlassen Sie bitte eine sofortige, wirksame und unparteiische Untersuchung der Foltervorwürfe von Stanislav Klykh und Mykola Karpyuk.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the authorities to ensure Stanislav Klykh is provided with a full mental healthcare assessment by an independent expert from outside of Chechnya and that he is provided with adequate medical treatment as required.

  • Calling on them to carry out a prompt, effective and impartial investigation into the torture allegations by Stanislav Klykh and Mykola Karpyuk.

Sachlage

Der ukrainische Staatsbürger Stanislav Klykh wurde am 26. Mai 2016 in einem unfairen Verfahren zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er war zusammen mit Mykola Karpyuk angeklagt worden, als Angehöriger einer Gruppe von Kämpfer_innen während des Tschetschenienkonflikts 1994 bis 1996 30 russische Soldat_innen getötet zu haben. Stanislav Klykh, der sich derzeit in einem Untersuchungsgefängnis im tschetschenischen Grosny befindet, hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Bisher wurde noch kein Termin für eine Anhörung im Rechtsmittelverfahren festgelegt, und auch seine Vorwürfe über Folter und anderweitige Misshandlungen wurden abgewiesen, wodurch ihm die Möglichkeit auf ein faires Verfahren vorenthalten wurde.

Stanislav Klykh und Mykola Karpyuk geben an, nach ihrer Festnahme im August bzw. März 2014 gefoltert worden zu sein. Ihre Rechtsbeistände erhielten über mehrere Monate nach der Festnahme weder Zugang zu ihren Mandanten noch grundlegenden Informationen zu deren Aufenthaltsort. Stanislav Klykh erzählte seiner Anwältin, man habe ihm mehrere Tage nichts zu essen und zu trinken gegeben und ihn gezwungen, im Hof auf Kies zu knien. Außerdem musste er bis zur Bewusstlosigkeit Wodka trinken und erhielt Psychopharmaka. Man hing ihn an Stangen in der Zelle auf und verabreichte ihm Elektroschocks. Zwischen August 2014 und September 2015 befand er sich in Einzelhaft und durfte keinen Besuch empfangen. Stanislav Klykh, der bisher keine psychische Erkrankung hatte, wirkte während des Verfahrens, das im Oktober 2015 begonnen hatte, psychisch schwer gestört. Er zog sich aus, stieß Beschimpfungen aus und hängte sich in dem Eisenkäfig, in dem die Angeklagten im Gerichtssaal festgehalten werden, kopfüber auf. Im November schnitt er sich selbst mit einer Klinge, um gegen die Weigerung der Behörden zu protestieren, eine medizinische Untersuchung zu veranlassen. Das Verhalten von Stanislav Klykh hat sich bei den letzten Treffen mit seiner Anwältin weiter verschlechtert; er war ihr gegenüber aggressiv und weigerte sich, mit ihr zu kooperieren.

Stanislav Klykh wurde in einem staatlichen psychiatrischen Krankenhaus in Tschetschenien zweimal untersucht und für verhandlungsfähig erklärt. Im Februar 2016 kam ein von seiner Anwältin beauftragter unabhängiger Experte für Psychiatrie zu dem Schluss, dass er Zeichen einer psychischen Erkrankung zeige und umfassend untersucht werden müsse. Das Gericht nahm diese Feststellung jedoch weder in die Prozessakte auf, noch ordnete es eine umfassende und unabhängige Untersuchung an. Die Behörden machten keine Angaben zu der Behandlung, die Stanislav Klykh erhalten hat, aber seine Anwältin geht davon aus, dass ihm möglicherweise ein Medikament verabreicht wurde, das gewöhnlich zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der Prozess gegen Mykoloa Karpyuk und Stanislav Klykh gehört zu einer Reihe politisch hochbrisanter Verfahren, die im vergangenen Jahr in Russland gegen ukrainische Staatsangehörige geführt wurden. Im August 2015 wurden Oleg Senstsov und Aleksandr Kolchenko wegen Terrorismusvorwürfen zu langen Haftstrafen verurteilt (http://www.amnesty.de/journal/2015/oktober/im-falschen-film). Im März 2016 wurde Nadiya Savchenko zu mehr als 20 Jahren Haft verurteilt, weil sie während der Kämpfe in der ukrainischen Region Lugansk zwei russische Journalisten getötet haben soll (https://www.amnesty.org/en/documents/eur46/3710/2016/en/, in englischer Sprache). Nadiya Savchenko wurde im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen. All diese politisch brisanten Verfahren haben große Bedenken hinsichtlich fairer Verfahren ausgelöst und wurden in Russland zu Propagandazwecken gegen die Ukraine eingesetzt.

Die Wahl Tschetscheniens als Schauplatz für das Verfahren gegen Mykola Karpyuk und Stanislav Klykh hat die Bedenken hinsichtlich der Fairness noch verschlimmert. Die tschetschenischen Behörden unter der Führung von Ramzan Kadyrov kontrollieren praktisch jeden Bereich des Lebens in der nordkaukasischen Republik der Russischen Föderation, auch die Justiz. Jede Form von abweichender Meinung wird brutal unterdrückt, und Menschenrechtsverteidiger_innen, Medienschaffende und politische Aktivist_innen, die in irgendeiner Form Kritik an der tschetschenischen Führung und ihrer Politik üben, sind Drohungen, Drangsalierungen und häufig auch physischer Gewalt ausgesetzt. Dies betrifft auch jene, die nicht aus Tschetschenien stammen und seltener auch Angehörige der allgemeinen Öffentlichkeit (https://www.amnesty.org/en/documents/eur46/3255/2016/en/, in englischer Sprache). Der Ermordung der Journalistin Anna Politkosvskaya 2006 sowie der Entführung und Ermordung der tschetschenischen Menschenrechtsverteidigerin Natalia Estemirova 2009 waren ähnliche Drohungen vorausgegangen.

Die tschetschenische Führung übt direkten Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai 2016 berief Ramzan Kadyrov alle Richter_innen ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Wie Nachforschungen der unabhängigen Zeitung Novaya Gazeta zeigten, gab es wiederholt Fälle, in denen Richter_innen und Geschworene in Tschetschenien direkte Anweisungen erhielten, um eine Verurteilung zu gewährleisten. Wer diesen nicht Folge leistete, musste mit schweren Repressalien rechnen. 2011 sprachen Geschworene vier mutmaßliche Angehörige einer bewaffneten Gruppe nach einem Prozess frei. Alle Geschworenen wurden daraufhin von bewaffneten Sicherheitskräften festgenommen und in einen Wald gebracht, um an einer Sicherheitsoperation gegen die "Mitglieder der bewaffneten Gruppe teilzunehmen", die sie hätten "gehen lassen". Der Richte und die Anwält_innen, die an dem Fall beteiligt waren, wurden von tschetschenischen Beamt_innen einberufen, um ihre Rolle in dem Fall zu "erklären".

Angesichts dieses Vorgehens kann nicht davon ausgegangen werden, dass Psychiater_innen und andere Expert_innen in Tschetschenien eine unparteiische Einschätzung zu Patient_innen abgeben, die in einem politisch brisanten Strafverfahren in der Republik angeklagt sind.