Foltergefahr
Aleksei Sokolov
© Aleksei Sokolov
Der russische Menschenrechtsverteidiger Aleksei Sokolov ist von Folter und Misshandlung bedroht. Er wird derzeit im Untersuchungsgefängnis von Nowosibirsk im Westen Sibiriens in Haft gehalten und soll dort vom Wachpersonal geschlagen worden sein. In den nächsten Tagen steht seine Verlegung nach Sibirien in eine Haftanstalt in der Region Krasnojarsk bevor, tausende Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Auch dort ist er vor weiteren Folterungen und Misshandlungen nicht geschützt.
Appell an
LEITER DER STRAFVOLLZUGSBEHÖRDEN
Aleksandr A. Reimer
Ul. Zhitnaya 14, GSP-1
11991 Moskau
RUSSLAND
(korrekte Anrede: Dear Director)
Fax: (007) 495 982 19 50 oder (007) 495 955 59 12
STAATSANWLAT VON NOVOSIBIRSK
V.P. Ponomarev
Novosibirsk Prosecutor’s Office
Pr.Dezerzhinskogo,5
63005 Novosibirsk
RUSSLAND
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor)
Fax: (007) 383 279 11 14
Sende eine Kopie an
OMBUDSMANN FÜR DIE RUSSISCHE FÖDERATION
Vladimir P. Lukin
Ul. Miasnitskaia, 47
Moscow, 107048, RUSSLAND
Fax: (007) 495 607 74 70
BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S.E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65, 10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 14. Oktober 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.
PLEASE SEND APPEALS TO ARRIVE AS QUICKLY AS POSSIBLE, IN RUSSIAN, ENGLISH OR YOUR OWN LANGUAGE
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urging the Russian authorities to ensure that Aleksei Sokolov is not tortured or otherwise ill-treated;
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urging the Russian authorities to conduct a prompt, thorough and impartial investigation into allegations that Aleksei Sokolov has been beaten by the prison officers and to bring those responsible to justice;
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expressing concern that Aleksei Sokolov may be a prisoner of conscience;
- urging the authorities to transfer Aleksei Sokolov to a place of detention closer to his home in Yekaterinenburg.
Amnesty fordert:
SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN
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Stellen Sie sicher, dass Aleksei Sokolov in Haft weder gefoltert noch anderweitig misshandelt wird.
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Leiten Sie unverzüglich umfassende und unparteiische Ermittlungen zur Aufklärung von Vorwürfen ein, denen zufolge Aleksei Sokolov vom Gefängnispersonal geschlagen worden ist, und sorgen Sie dafür, dass die Täter strafverfolgt werden.
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Ich bin darüber beunruhigt, dass Aleksei Sokolov ein gewaltloser politischer Gefangener zu sein scheint.
- Ich appelliere an Sie, Aleksei Sokolov in einer näher an seinem Wohnort Jekaterinenburg gelegenen Hafteinrichtung unterzubringen.
Sachlage
Aleksei Sokolov, Leiter einer nichtstaatlichen russischen Menschenrechtsorganisation, wurde im Mai 2010 in einem offenbar unfairen Gerichtsverfahren des Diebstahls und des Raubüberfalls schuldig gesprochen und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. In der Berufung erfolgte eine Herabsetzung des Strafmaßes auf drei Jahre Haft. Die Verteidiger_innen von Herrn Sokolov erwägen derzeit, weitere Rechtsmittel einzulegen. Nach Einschätzung von Amnesty International könnte es sich bei ihm um einen gewaltlosen politischen Gefangenen handeln, der allein wegen seines Engagements für die Menschenrechte strafrechtlich belangt wurde.
Laut Angaben der Anwält_innen von Aleksei Sokolov ist ihrem Mandanten offiziell mitgeteilt worden, dass er seine Haftstrafe in Krasnojarsk ableisten muss. Die Stadt liegt mehr als 2000 km von seinem Wohnort Jekaterinenburg entfernt, wo er bis zum 25. August in Haft gehalten worden war. Am 26. August wurde Aleksei Sokolov in das zwischen Jekaterinenburg und Krasnojarsk gelegene Haftzentrum FGU IZ-54/1 nach Nowosibirsk gebracht. Aus örtlichen Quellen verlautete, Aleksei Sokolov sei kurz nach seiner Ankunft in Nowosibirsk vom Wachpersonal geschlagen und mehrere Stunden lang in eine Einzelzelle gesperrt worden. Amnesty befürchtet, dass ihm in Krasnojarsk eine ähnliche Behandlung droht.
Nach internationalen Menschenrechtsstandards ist dafür Sorge zu tragen, dass Gefangene ihre Haftstrafe möglichst nah am Wohnort ableisten können, insbesondere um Familienbesuche nicht zu erschweren. Die Verlegung von Aleksei Sokolow nach Sibirien würde nicht nur diesen Standards zuwiderlaufen, sondern auch den Austausch mit seinen Anwält_innen erschweren. Da Herr Sokolow plant, weitere Rechtsmittel gegen Urteil und Strafmaß einzulegen, könnte durch den erschwerten Kontakt zu seinen Anwält_innen sein verbriefter Anspruch auf ein faires Verfahren missachtet werden. Die Anordnung zur Verlegung des Gefangenen soll kurz nach der Herabsetzung seiner Strafe von den Strafvollzugsbehörden Russlands getroffen und eine entsprechende Benachrichtigung an die Gefängnisverwaltung in Jekaterinenburg weitergeleitet worden sein.
Hintergrundinformation
Aleksei Sokolov leitet die von ihm und anderen gegründete Nichtregierungsorganisation Pravovaia Osnova (Rechtliche Grundlage), die sich für ein Ende der Folterungen und anderen Misshandlungen in russischen Gefängnissen und Haftzentren einsetzt. Die Arbeit von Pravovaia Osnova führte auch zu mehreren Ermittlungen gegen Polizeibeamt_innen, denen unter anderem vorgeworfen wurde, Folter eingesetzt zu haben, um Verdächtige zu einem "Geständnis" zu zwingen.
Aleksei Sokolov wurde bekannt, als er im Jahr 2006 einen Film über Folter und andere Misshandlungen in einer provisorischen Hafteinrichtung in der Gefängniskolonie IK-2 in Jekaterinenburg herausbrachte. Der Film fand weite Verbreitung, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, und führte zur Schließung der provisorischen Hafteinrichtung.
Darüber hinaus untersuchte Aleksei Sokolov mögliche Fälle von Korruption in einigen Strafvollzugseinrichtungen in Jekaterinenburg und fand dabei heraus, dass einige BeamtInnen dazu beigetragen hatten, dass die Verantwortlichen in IK-2 straflos blieben. Im Jahr 2008 wurde Aleksei Sokolov zum Mitglied der Kommission für die Kontrolle von Hafteinrichtungen ernannt und besuchte in dieser Eigenschaft eine Reihe von Haftanstalten. Nach seiner Inhaftierung im Mai 2009 wurde er aus dieser Funktion entlassen.
Im Jahr 2008 erfuhr er außerdem, dass einige Gefangene zu falschen Geständnissen gezwungen worden waren. In den "Geständnissen" hieß es, dass Aleksei Sokolov an mehreren Verbrechen beteiligt gewesen war, so auch an einem Raubüberfall im Jahr 2004 und einem Diebstahl im Jahr 2001. Die Ermittlungen zu dem Diebstahl von 2001 und dem Raubüberfall von 2004 waren einige Male eingestellt worden, weil die Täter_innen nicht identifiziert werden konnten, wurden aber kurz vor der Festnahme von Aleksei Sokolov wieder aufgenommen. Nach seiner Inhaftierung soll die Polizei dem Gefangenen wegen seiner Arbeit zur Verteidigung der Menschenrechte Folter angedroht haben. Nach Einschätzung von Amnesty International handelt es sich bei Aleksei Sokolov um einen gewaltlosen politischen Gefangenen, dessen Strafverfolgung durch sein Engagement für die Menschenrechte ausgelöst worden ist.
Am 13. Mai 2010 verurteilte das Gericht der Stadt Bogdanowitsch den Menschenrechtler wegen Diebstahls und Raubsüberfalls, angeblich begangen im Jahr 2001 beziehungsweise 2004, zu fünf Jahren Freiheitsentzug in einer Gefängniskolonie. Von der dritten Anklage, im Jahr 2004 einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, wurde Aleksei Sokolov freigesprochen.
Die Rechtsanwält_innen von Aleksei Sokolov gaben an, das Gericht habe sein Urteil ausschließlich auf die Aussagen der Mitangeklagten in dem Prozess gestützt, die bereits wegen der verhandelten und anderer Straftaten Freiheitsstrafen verbüßen. Die Anwält_innen beklagten ferner mehrere Verstöße gegen die Strafprozessordnung sowohl vor als auch während des Gerichtsverfahrens.